Tragik der Allmende

Es vergeht kaum eine Woche ohne einen größeren Bericht in den Medien über die drohende Zerstörung einer wertvollen Umweltressource. Im Februar 2011 berichtet DIE ZEIT beispielsweise über den Niedergang der Fischbestände in der Nordsee und im Nordostatlantik.[1] Das Problem war wohl, dass lange Zeit jeder fischen durfte, sich aber niemand für den langfristigen Erhalt der Fischbestände verantwortlich fühlte. Dieses Muster ist auch als "Tragik der Allmende" bekannt und findet sich in anderen Problemfällen wie der Plünderung von Wildtierbeständen und Wäldern wieder. Lässt es sich vielleicht auch auf die globale Erderwärmung übertragen - und wie können wir ihm begegnen? Diese Fragen sollen im Folgenden erörtert werden.

1. Allmendegut

Ein Gut ist ganz allgemein ein Mittel, das Nutzen stiftet respektive menschliche Bedürfnisse befriedigt. Güter können auf verschiedene Weisen klassifiziert werden, eine davon orientiert sich an den Eigenschaften Ausschließbarkeit  und  Rivalität:

(1) Ausschließbarkeit: Ein Gut ist ausschließbar, wenn ein potentieller Nutzer von dem Konsum dieses Gutes ausgeschlossen werden kann. Die Nutzung eines Freizeitparks ist beispielsweise ausschließbar, insofern sie nur Ticketkäufern zusteht und zahlungsunwillige Individuen ausgeschlossen werden können. Die Nutzung von Luft ist dahingegen nicht ausschließbar, weil sie jeder nutzen und ihre Verfügbarkeit nicht wirklich begrenzt werden kann. Das liegt daran, dass die Eigentumsrechte an der Luft weder klar zugeordnet (wem sollte die Luft gehören?) noch durchgesetzt (wie sollte man jemand von der Nutzung der Atemluft abhalten?) werden kann. Es existieren aber auch Grauzonen: Deiche werden beispielsweise oft als klassische Beispiele für nicht-ausschließbare Güter genannt, können aber sehr wohl um ein Haus herumgebaut werden, sodass dieses vom Hochwasserschutz ausgeschlossen ist.

(2) Rivalität: Ein Gut ist rival, wenn sein Konsum durch einen Konsumenten durch die gleichzeitige Nutzung eines anderen Konsumenten be- oder verhindert wird. Der Konsum eines Apfels ist beispielsweise rival, insofern er, wenn er von einer Person konsumiert wurde, nicht mehr durch eine andere Person konsumiert werden kann. Der Konsum von nicht-kostenpflichtigem Privatsendern ist dahingegen nicht rival, weil sie jeder konsumieren kann und der Konsum des einzelnen dadurch nicht schlechter wird. Auch hier bestehen wieder Grauzonen: Die Nutzung einer Autobahn ist zunächst nicht rival, da ein zweites Auto den einzelnen Fahrer nicht stört. Bei stark zunehmenden Verkehr wird jedoch auch die Autobahnbenutzung rival. Auch Luft wird gewöhnlich als nicht-rivales Gut betrachtet, bei Sauerstoffknappheit in einem steckengebliebenen Aufzug wird ihr Konsum indes rival.

 

Nicht-ausschließbar

ausschließbar

Nicht-rival

Öffentliches Gut (z.B. Luft)

Klubgut (z.B. Pay-TV)

rival

Allmendegut (z.B. Fischbestand)

Privates Gut (z.B. Eis)

Die hier zentralen Allmendegüter sind nicht-ausschließbar, aber rival. Ein typisches Beispiel für Allmendegüter sind die eingangs erwähnten Fischbestände im Meer. Diese sind einerseits nicht ausschließbar, insofern man Menschen nicht einfach am Fischen hindern kann. Andererseits sind Fischbestände aber rival, da sie eindeutig begrenzt sind und die Überfischung durch den einen Fischereibetrieb zweifellos den anderen Fischereibetrieb schadet.

2. Tragik der Allmende

Die "Tragik der Allmende" besteht nun darin, dass Allmendegüter einerseits rival sind, da gegenseitige Nutzungsansprüche um ihr begrenztes Vorkommen konkurrieren und deshalb ihre Nachfrage eigentlich reguliert werden sollte. Andererseits besitzen sie auf dem freien Markt keine regulativen Preise, da ihr Konsum nicht ausgeschlossen werden kann und niemand für die Nutzungskosten frei-verfügbarer Güter zahlen möchte (Trittbrettverhalten). Die Folge ist ein Marktversagen in Form von erstens einer suboptimalen Allokation und zweitens einer ineffizienten Nutzung (Übernutzung) der Allmenderessourcen.

Der Ökologe Garrett Hardin fand in seinem gleichnamigen Aufsatz[2] ein sehr bekanntes, weil instruktives, Beispiel für die Tragik der Allmende. Dieses Beispiel wurde später auch als Gefangenendilemma formalisiert[3]: Man stelle sich vor, die Akteure eines Spiels seien Hirten, die sich ein gemeinsames und allen frei zugängliches Weideland teilen. Es können höchstens L Tiere auf diesem Weideland grasen und am Saisonende noch gut genährt sein. Das Weideland ist somit ein Allmendegut, insofern es frei verfügbar, aber begrenzt ist. Bei einem kooperativen 2-Personenspiel lässt also jeder Hirte L/2 Tiere weiden und bekommt am Ende der Saison sagen wir 10 "Profiteinheiten". Als rationales Wesen versucht jeder Herdenbesitzer [aber] seinen Nutzen zu maximieren. Explizit oder implizit, mehr oder weniger bewusst, fragt er sich: 'Welchen Nutzen habe ich, wenn ich meine Herde um ein Tier vergrößere?' (Hardin[4]) Da der Herdenbesitzer an jedem weiteren Schaf in seiner Herde direkt profitiert, keinen verbindlichen Kontrakt schließt und nur ein Bruchteil potentieller Überweidungskosten trägt (Moral Hazard), wird er zu dem Entschluss kommen, dass es für ihn unabhängig vom anderen Hirten besser ist, seine Herde zu vergrößern. Die dominante Strategie besteht für jeden Hirten also darin, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen. Wenn beide Hirten aber nicht kooperieren, kommt es zu einer Übernutzung der Weidefläche und am Ende haben beide Hirten 0 "Profiteinheiten." Es hat aber auch keiner der beiden Hirten einen Anreiz, als einziger von seiner dominanten Strategie abzuweichen, da er ansonsten -1 "Profiteinheiten" und der "Sturrgebliebene" auf seine Kosten 11 "Profiteinheiten" machen würde. Die Kombination aus Defektion-Defektion entspricht folglich auch dem einzigen Nash-Gleichgewicht:

                                  

A kooperiert

A defektiert

B kooperiert

10/10

-1/11

B defektiert

11/-1

0/0

Das "Dilemma" besteht nun darin, dass keiner der beiden Hirten einen Grund hat, vom Nash-Gleichgewicht abzuweichen, obwohl das Nash-Gleichgewicht hier nicht pareto-optimal ist. Das heißt, obwohl beide Hirten auf ihre dominante Strategie setzen und keiner einen Grund hat, alleinig davon abzuweichen, könnten sie beide bessergestellt werden, wenn beide kooperieren würden.

Der Begriff der "Tragödie" ist also auch nicht zufällig gewählt. In einer literarischen Tragödie ist der Niedergang des Helden, trotz aller Gegenanstrengungen, unausweichlich durch die äußeren Umstände determiniert. Und in Hardins Beispiel folgt aus dem kollektiven Verhalten scheinbar rationaler, nämlich auf den eigenen Vorteil bedachter, Hirten unausweichlich ihr individuelles Scheitern in Form einer Übernutzung des Allmendeguts.

"Darin liegt die Tragik. Jeder Hirte ist der Gefangene eines Systems, das ihn zwingt, seine Herde grenzenlos zu vergrößern - in einer Welt, die begrenzt ist. Verfolgt jeder seinen maximalen Eigennutz in einer Gesellschaft, die an die freie Verfügbarkeit von Allmenden glaubt, rennen alle in ihr sicheres Verderben"
- Garrett Hardin: The Tragedy of the Commons, S. 1244

Ginge es bei den "Allmenden" nur um ein paar Weideflächen oder Fischergründe, wäre die Tragik der Allmende sicher nur vom geringen öffentlichen Interesse. So ist es aber nicht. Hardin selbst betrachtete sich in der Tradition Robert Malthus´[5] und gebraucht das gemeinsame Weideland als Metapher für das Problem der Überbevölkerung. Dieses und andere ökologische Probleme führte er auf das Problem der Allmendegüter zurück. Hardin wird deshalb auch oft als Verfechter eines „laissez-faire Kapitalismus“ gelesen, da einige Güter erst vom Staat kostenlos bereitgestellt werden. Diese Interpretation ist indes falsch: Hardin zufolge wäre die Tragik der Allmende das unvermeidliche Schicksal der Menschheit, würde sie nur nach technologischen Marktlösungen suchen. Um diesem Schicksal zu entgehen, muss der Staat als Leviathan auftreten und strikte Kontrollen, unter anderem für Geburten, einführen. Hardin ist also alles andere als ein Verfechter einer Marktlösung. Damit wendet er sich auch explizit gegen die Auffassung bei Adam Smith, das egoistische Streben des Individuums führe unbewusst, aber zwangsläufig, zu einer Anhebung des Allgemeinwohls.

Mit der Forderung nach staatlichen Kontrollen geht auch eine Perspektivenverschiebung einher: Aus der Sicht eines einzelnen Hirten oder eines einzelnen Paares mit Kinderwunsch sind staatliche Kontrollen sicherlich nicht wünschenswert, da sie so nicht ihren individuellen Wünsche (der dominanten Strategie) nachgehen können. In Summe würden diese individuellen Wünsche aber in eine kollektive Katastrophe führen. Aus diesem Grund müssen wir die Perspektiven wechseln und die Tragik der Allmende nicht mehr nur als einzelne Individuen, sondern als eine (staatliche) Gemeinsamschaft betrachten und angehen. Hardin sprach sich also, entgegen früherer Rezeptionen, explizit für einen staatlichen Interventionismus aus. Dabei zeigt er auch Verständnis für individuelle Interessen („Who enjoys taxes? We all grumble about them.“[6]). Meint aber, dass die Menschen nach dem Perspektivenwechsel anerkennen werden, dass staatliche Eingriffe für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Güter notwendig sind.

3. Geschichte

Hardin war aber nicht der erste, der die Tragik der Allmende erkannte. Schon Aristoteles schrieb in seinem berühmten Werk Politik, dass "dem Gut, das der größten Zahl gemeinsam ist, die geringste Fürsorge zuteilwird. Jeder denkt hauptsächlich an sein eigenes, fast nie an das gemeinsame Interesse."[7] Auch Thomas Hobbes´ Parabel vom Menschen im Naturzustand spiegelt die Tragik der Allmende wider: Der Mensch hat von Natur aus ein Interesse an seiner Selbsterhaltung, das den Charakter einer naturgegebenen Pflicht (Gebot der Vernunft) annimmt. Um dieser Pflicht folgen zu können, hat er im Naturzustand das Recht (Naturrecht), alles zu beanspruchen, was dazu dienlich sein könnte. Zwar besitzt der Mensch auch im Naturzustand eine kollektive Moral (lex naturalis), aber die Vernunft verbietet es ihm, dieser zu folgen, wenn die anderen dies nicht ebenfalls tun. Die Situation des Menschen im Naturzustand entspricht also der der Hirten bei Hardin. Um ein "Krieg aller gegen alle" (bellum omnium contra omnes) zu verhindern, schlägt Hobbes, genauso wie Hardin, schließlich eine staatliche Lösung vor. Der Staat müsse als übergeordnetes Gewaltmonopol (Leviathan) auftreten, das die Einhaltung allgemeiner Gesetze und Rechte garantiert sowie ihre Verletzungen mit Strafen belegt. In Bezug auf Hardins Beispiel würde das bedeuten, dass der Staat beiden Hirten verbietet, mehr als L Tiere weiden zu lassen und so eine pareto-optimale Lösung des Dilemmas ermöglicht.

Der britische Wirtschaftsautor William Forster Lloyd explizierte 1833 als erster den englischen Terminus "Tragedy of the commons".[8] Er beschrieb dafür ein ganz ähnliches Beispiel mit Viehhirten und Überweidung wie rund 100 Jahre später Hardin. Und bereits 1954 schreib H. Scott Gordon am Beispiel der Fischerei:

"Offenbar steckt also in dem konservativen Diktum, das Eigentum aller sei niemanden Eigentum, ein Körnchen Wahrheit. Niemand misst einem Besitz, der allen zur freien Verfügung steht, einen Wert bei, weil jeder, der so tollkühn ist zu warten, bis er an die Reihe kommt, schließlich feststellt, dass ein anderer seinen Teil bereits weggenommen hat... Für den Fischer sind die Fische im Meer wertlos, weil er keine Garantie hat, dass sie morgen noch da sein werden, wenn er sie heute nicht fängt.[9]

Hardin hat also weder den Begriff noch das Konzept der „Tragödie der Allmende“ entworfen, sein eigentliches Verdienst besteht darin, beide populär gemacht und auf internationale Probleme übertragen zu haben. 

4. Lösungsansätze

4.1. Staat

Es wurde bereits klar, dass sowohl Garrett Hardin als auch Thomas Hobbes eine staatliche Lösung für das Allmendeproblem bevorzugten. Das Allmendeproblem ist dabei im Kern ein Allokationsproblem und diese werden in der, die gegenwärtige Volkswirtschaft dominierende, Neoklassik unter anderem durch externe Effekte erklärt. Ein externer Effekt ist eine unkompensierte Auswirkung ökonomischer Entscheidungen auf Dritte. In unserem Hirtenbeispiel wirkt sich die Entscheidung des Hirten 1, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen, beispielsweise negativ auf den Hirten 2 aus, man spricht dann auch von einem negativen externen Effekt. Das Problem besteht offensichtlich darin, dass der Hirte 1, der mehr als L/2 Schafe weiden lässt, selbst nicht die (gesamten) Kosten seiner Entscheidung trägt. Der klassische Lösungsversuch dieses Problems besteht darin, die externen Kosten der ökonomischen Entscheidung zu internalisieren. Der Staat kann dabei beispielsweise eine Pigou-Steuer erheben, die dem Grenzsschaden (den sozialen Kosten) jedes über L/2 eingesetzten Schafes entspricht. Dies macht es nicht zwingend, dass Hirte 1 umdenkt, aber er erhält durch die Weidegebührt jetzt zumindest die passenden Preissignale und Hirte 2 könnte durch die so generierten Einnahmen entschädigt werden. Der Staat kann auch noch einen Schritt weiter gehen und die Anzahl der Schafe für jeden Hirten auf L/2 beschränken, damit schränkt er aber auch direkt die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftsakteure ein. Ein Zwischenweg zwischen Preis- und Mengenregulierung stellt der Zertifikationshandel dar: Hier wird der Staat beiden Hirten Zertifikate zuteilen, die es ihnen erlauben, jeweils L/2 Schafe weiden zu lassen. Wenn der Grenznutzen eines weiteren Schafes für Hirte 1 nun höher ist als für Hirte 2, kann er von Hirte 2 solange Zertifikate aufkaufen, bis der Grenznutzen eines weiteren Schafes dessen Grenzkosten entspricht. Auf diese Weise ist garantiert, dass sich eine nachhaltige und pareto-optimale Lösung einstellen wird. 

4.2. Markt

Wie kann eine vergleichbare Internalisierung der externen Kosten durch den Markt bewirkt werden? Indem man eindeutige Eigentumsrechte für ein Allmendegut festlegt, das heißt, aus ihm ein privates Gut macht. Wenn Hirte 1 und 2 je die Hälfte des Weidelandes zugeschrieben bekommen, tragen sie von nun an auch die kompletten Kosten einer Überweidung ihrer Hälfte, die Grenzkosten wurden folglich internalisiert. Der ursprüngliche Anreiz, mehr als L/2 Schafe weiden zu lassen, weil man nicht die kompletten Kosten seiner Handlung trägt, ist somit weg. Natürlich garantiert auch dieser Weg nicht, dass Hirte 1 seine Hälfte trotzdem überweidet, aber das ist nun nur noch sein Problem.

4.3. Commoning

Diese beiden Lösungsansätze sind jedoch auch mit Problemen verbunden. Die Durchsetzung von staatlichen Überwachungs- und Sanktionssystemen ist in der Regel sehr kostenintensiv und häufig ineffizient. Und auch eine Privatisierung ist oftmals schwierig, da es gerade zum Wesen von Allmendegütern gehört, dass ihre Eigentumsrechte nicht eindeutig definier- oder zuordnenbar sind. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom erarbeitete deshalb einen dritten Lösungsansatz, für den sie 2009 als bisher einzige Frau den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Ostrom betrachtete viele Allmenderessourcen weltweit und kam zu dem Schluss, dass diese oftmals viel nachhaltiger bewirtschaftet wurden, als es hiesige Theorien nahelegen. In diesen Fällen hatten sich die betroffenen Individuen vor Ort in geeigneten Institutionen zusammengefunden und die lokalen Allmende besser bewirtschaftet, als es Staat oder Markt hätten tun können. Diese Institutionen wiesen einige Parallelen auf, die nach Ostrom erfüllt sein müssen, damit eine langlebige Selbstorganisation von Allmendegütern gelingen kann:[10]

1) Die Nutzungsberechtigten wie auch die Grenzen der Allmenderessourcen selbst müssen durch klar definierte Grenzen bestimmt sein.
2) Die Aneignungs- und Bereitstellungsregeln sowie lokale Bedingungen müssen aufeinander abgestimmt und untereinander kongruent sein.
3) Die Betroffenen können über die Änderung dieser Regeln mitbestimmen.
4) Die Einhaltung dieser Regeln wird überwacht.
5) Die Nichteinhaltung dieser Regeln wird mit glaubhaften und abgestuften Sanktionen belegt.
6) Konflikte werden in kostengünstigen und lokalen Institutionen gelöst.
7) Externe staatliche Behörden akzeptieren das minimale Rechtssystem der lokalen Institution.

Ostrom bringt als eines von zahlreichen Positivbeispielen das Dorf Alanya in der türkischen Riviera an. Dort waren die Fischgründe zu Beginn der 1970er weitestgehend erschöpft. In dieser Problemsituation beschloss man die Einführung einer lokalen Kooperation mit den folgenden Eigenschaften: Jeder Fischer bekommt jeden Tag durch eine zentrale Institution einen neuen Meeresabschnitt zugeteilt, in dem er fischen darf (Prinzip 1 und 2). Die Überwachung ist einfach, da jeder Fangort täglich belegt ist (Prinzip 4), und die Sanktionen auch, da man sich bei einem Fehlverhalten einen Fangort teilen muss, was im besten Fall noch zu einem niedrigeren Ertrag führt (Prinzip 5). Auf diese Weise entsteht eine günstige und lokale Form der Selbstkontrollen unter den Fischern (Prinzip 6). Diese Regeln wurden durch die Fischer implementiert (Prinzip 3) und von den staatlichen Behörden anerkannt und unterstützt, so dass Rechtssicherheit besteht (Prinzip 7). Dadurch, dass jeder Abschnitt jeweils nur von einem Fischer bestellt wird, besteht auch nicht mehr die Gefahr einer Überfischung. Insgesamt scheinen sich die Leute in Alanya also ganz gut an die Prinzipien von Ostrom gehalten zu haben.

Das Prinzip (1) soll dabei offenkundig das Problem der Nicht-ausschließbarkeit lösen, und Prinzip (2) die Rivalität um ein Allmendegut regeln. Die restlichen Prinzipien (3) bis (7) betreffen die genauere Ausgestaltung des Regelsystems. Für Allmendegüter, die nicht-lokal und deswegen Teil größerer Systeme sind, gilt zusätzlich das Prinzip (8): Die Bewirtschaftung des Allmendegutes wird auf mehreren ineinander verschachtelten und nicht-hierarchischen Ebenen organisiert. Dieses Prinzip trägt dem Umstand Rechnung, dass mit der Größe eines Allmendegutes auch die Komplexität seiner Verwaltung ansteigt. Praktisch bedeutet es meistens die Einbettung eines Subsidiaritätsprinzip, dem zufolge alle Entscheidungen, die nur kleine Teileinheiten betreffen, direkt von diesen getroffen werden und nur solche Entscheidungen auf höhere Ebenen verlagert werden, die gleichzeitig mehrere oder sogar alle Einheiten eines komplexen Ressourcensystems betreffen. 

5. Globale Allmende

Die Fischereiwirtschaft in Alanya mag noch auf einer Ebene organisierbar sein. Die internationalen Fischbestände sind es indes sicher nicht mehr. Selbst wenn einzelne lokale Kooperationen ihren Fischfang regulieren, haben sie wenig Einfluss auf das komplexe Gesamtsystem. Deshalb können und sollen Dörfer wie Alanya immer noch ihre Probleme vor Ort lösen, aber die Probleme, die den gesamten Globus betreffen, erfordern auch eine globale kooperative Lösung wie etwa einem supranationalen Fischereiabkommen gemäß den Prinzipien (1) - (7).

Lässt sich das Allmendeproblem auch auf andere drängende Probleme wie zum Beispiel die anthropogene Klimaveränderung anwenden? Auf den ersten Blick spricht vieles dafür. Insbesondere ist die Nutzung der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase nicht wirklich ausschließbar. Jedoch erscheint mir ihr Konsum nicht aktual-rival: Derzeit profitieren nahezu alle Parteien mehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe, als sie unter ihrer Folgen leiden. Das dürfte selbst auf subtropische Nationen mit vielen Küstenregionen und Klimatoten wie Indien zutreffen. Ohne den massiven Einsatz von fossilen Energieträgern wäre das massive Weltwirtschaftswachstum seit der industriellen Revolution niemals möglich gewesen. Die indische Wirtschaft und damit die indische Nahrungsmittelindustrie, die heute rund 1,3 Milliarden Staatsbürger ernähren kann, sowie deren Lebenserwartung-, und standards, hätten ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe niemals so schnell wachsen können. Deshalb dürften auch in Indien die „positiven“ Effekte der fossilen Energieträger die „negativen“ überwiegen. Fossile Brennstoffe wie Erdöl, Erdkohle und Erdgas haben nämlich den Vorteil, dass ihre Energiedichte enorm hoch und (im Gegensatz etwa zur Sonnen- und Windenergie) jederzeit abrufbar ist.

Die schlimmsten Auswirkungen ihrer Verbrennung sind jedoch erst in der Zukunft zu erwarten. Der Meeresspiegel dürfte beispielsweise weiter ansteigen und viele Küstenmetropolen unter sich begraben, außerdem werden die Weltmeere erhitzen und versauern, was zu einem massiven Absterben der Korallen, Algen und letztendlich deshalb der Meeresfische führen wird. Auch das Aussterben der Landtiere und damit der Rückgang der irdischen Biodiversität überhaupt, wird durch den Klimawandel mitbestärkt. Dazu kommen Veränderungen von landwirtschaftliche Erträgen, Vegetationszonen und gesundheitlichen Risiken. All das macht es wahrscheinlich, dass zukünftig Milliarden von Menschen unter dem jahrhundertelangen Einsatz fossiler Energien mehr leiden als davon profitieren werden. Das ausschlaggebende zwei-Partien Spiel, die Tragik der Globalallmende „Erdatmosphäre“, spielt sich also zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Generationen ab:

 

A (passiv)

B kooperiert

5/5

B defektiert

-1/9

Das Entscheidende an diesem Spiel über Zeit ist, dass alle Ergebnisse ein Pareto-Optimum darstellen. Die zukünftige Generation A kann sich aber nicht dafür entscheiden, auf unseren Kosten zu defektieren. Und die gegenwärtige Generation B besitzt ursprünglich keinen eigennützigen Grund, zu kooperieren. Es wäre aus Erfahrung aber naiv anzunehmen, dass unsere Generation uneigennützig kooperieren wird. Also müssen die von unserer Generation ausgehenden externen Effekte internalisiert werden, was gegenwärtig durch CO2-Steuern oder den EU-Emissionshandel auch bereits im (noch zu kleinem) Maß geschieht.

6. Einzelnachweise

[1] https://www.zeit.de/2010/07/GSP-Ueberfischung

[2] Garrett Hardin: The Tragedy of the Commons.

[3] Robyn M Dawes: Social Dilemmas

[4] zitiert nach: Global 2000: Der Bericht an den Präsidenten, S. 504

[5] Robert Malthus wurde bekannt für seine Theorie der Überpopulation

[6] Garrett Hardin: The Tragedy of the Commons, S. 13 (Science)

[7] Aristoteles: Politik, 2. Buch, 3. Kapitel

[8] William Forster Lloyd: Two Lectures on Population

[9] H. Scott Gordon: The Economic Theory of a Common-Property Research: The Fishery

[10] Paul Kevenhörster: Politikwissenschaft, Band 2, S. 357

Stand: 2018

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