„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Christentum und Wahrscheinlichkeit

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Wahrscheinlichkeit und große, schwarze Räume

Wie steht es nun um die Wahrscheinlichkeit, dass die christliche Religion wahr ist? Denn es wird häufig damit argumentiert, dass es eben vielleicht doch wahr sein könne (meist dann, wenn am Ende seiner Argumente angekommen ist). Nun, vielleicht ist auch der Islam wahr (dann landen Christen in der Hölle!) oder der Hinduismus oder Buddhismus oder ... 

Aber zurück zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit. Dazu ein kurzer Ausflug in die Wahrscheinlichkeitsrechnung (keine Angst, über die Rechenlehre des vierten Schuljahres gehe ich nicht hinaus). Angenommen, ein großer, schwarzer Raum existiert, angefüllt mit Gegenständen von großer Bedeutung. Leider habe ich keinen Zugang zu diesem Raum und kann auch nicht in ihn hineinsehen. 

Wie sicher kann ich mir sein, über den Inhalt Bescheid zu wissen? 

Angenommen, ich wüsste mit 50%iger Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Objekt "X" in dem Raum befindet. Weiterhin weiß ich, dass sich ein Objekt "Y" darin befinden könnte, auch mit 50%iger Wahrscheinlichkeit. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich beide Objekte in dem Raum befinden? 

Es gibt vier Möglichkeiten (wenn wir annehmen, dass beide Objekte voneinander unabhängig sind):

  1. Objekt X und Y sind vorhanden.
  2. Objekt X und Y sind nicht vorhanden.
  3. Objekt X ist vorhanden, Y ist nicht vorhanden.
  4. Objekt X ist nicht vorhanden, Objekt Y ist vorhanden.

Somit beträgt die Wahrscheinlichkeit 25%, dass beide Objekte vorhanden sind (einer von vier Fällen ist zutreffend). 

Wenn die Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 betrachtet wird, was 0% bzw. 100% bedeutet, dann ist dies mathematisch gesehen: 

0,5 * 0,5 = 0,25 

Wahrscheinlichkeiten werden also multiplikativ (durch malnehmen) miteinander verknüpft, nicht additiv (durch Addition). 

Bei drei Objekten mit einer Wahrscheinlichkeit von je 50% (= 0,5) ist die Gesamtwahrscheinlichkeit 0,5 * 0,5 *0,5 = 0,125, also 12,5%. Wir können uns dies leicht ausrechnen, wenn wir feststellen, dass wir jetzt 8 Kombinationsmöglichkeiten haben und 100 / 8 = 12,5. 

Wir können dies auch als Wahrheitswahrscheinlichkeit betrachten. Wie wahrscheinlich ist es, dass die folgende Aussage wahr ist? 

Objekt X und Objekt Y sind beide vorhanden. 

Die Antwort lautet natürlich ebenfalls 25%. 

Sie kennen das Sprichwort: "Jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied". Bei Wahrscheinlichkeiten gilt dies nicht, tatsächlich ist die Kette schwächer als ihr schwächstes Glied, nur in Extremfällen (Wahrscheinlichkeit 0 oder 1) ist eine Kette aus zwei Gliedern so stark wie ihr schwächstes Glied. 

Wenn wir also ein Aussagensystem haben, in dem Aussagen stecken, deren Wahrscheinlichkeit wir bestenfalls abschätzen können, dann sinkt mit jeder zusätzlichen Aussage die Wahrscheinlichkeit, dass das Gesamtsystem wahr ist (sofern die Aussagen eine Kette bilden). 

Mit jeder Annahme über den schwarzen Raum, die wir treffen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass wir insgesamt Recht haben! Und sie sinkt stets tiefer als unsere schwächste Annahme. 

Jetzt sehen Sie einen wichtigen Grund für 
Ockhams Rasiermesser. Man sollte stets so wenig unbegründete oder unbeweisbare Annahmen wie nur irgend möglich machen, weil jede zusätzliche Annahme die (Wahrscheinlichkeit für die) Wahrheit des Gesamtsystems vermindert. 

Dies widerspricht unserer Intuition und unserer Anschauung. Wir Menschen sind wahrscheinlichkeitsblind. Deswegen widersprechen Denksportaufgaben, bei denen es um Wahrscheinlichkeit geht meist auch dem, was wir intuitiv als richtig ansehen. Menschen trauen aber eher der eigenen Intuition als der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Jede Versicherung, die so handelte, wäre innerhalb kürzester Frist pleite. Auch Spielbanken profitieren von dieser Blindheit. 

Wenn wir also die folgenden Annahmen betrachten:

  • Gott existiert.
  • Gott interessiert sich für uns.
  • Gott sagt stets die Wahrheit.
  • Gott offenbart sich in der Bibel (und zwar nur in der Bibel).
  • Die Schreiber der Bibel sind von Gott inspiriert und haben daher die Offenbarung korrekt wiedergegeben.
  • Die Aussagen in der Bibel sollen von uns verstanden werden (und zwar jetzt, nicht erst in 1.000 Jahren).
  • Wir verstehen diese Aussagen auch tatsächlich (d. h. Gott hat ein Interesse daran, dass wir ihn verstehen - das Ganze könnte auch eine Denksportaufgabe sein, um zu testen, wie weit die Menschen selbstständig denken können).
  • Jesus hat gelebt.
  • Jesus war ein Gesandter Gottes.
  • Jesus Lehren sind von seinen Jüngern verstanden worden.
  • Die Schreiber der Bibel bestätigen, dass Jesus existiert hat und die Wahrheit sagt.
  • Usw. usf.

Dann sinkt mit jeder der unbestätigten Annahmen die Wahrscheinlichkeit, dass dies alles richtig ist. Je mehr Bibelzitate also jemand anführt, um die Richtigkeit seiner Annahmen zu begründen, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Recht hat. Psychologisch gesehen scheint zwar jede Zusatzannahme das Gesamtgebäude besser abzustützen, aber faktisch ist exakt das Gegenteil der Fall. Ist in dieser Kette von Argumenten auch nur ein einziges falsches Glied, dann liegt die Wahrscheinlichkeit insgesamt bei 0% (und sinkt dann auch nicht tiefer, gleichgültig, was wir noch für Annahmen machen)  [1]. 

Es handelt sich hier um eine Kette von Aussagen. Im Gegensatz zu dem Beispiel der Objekte X und Y, die unabhängig voneinander existieren, ist dies bei den Aussagen der Religion nicht der Fall. Nur: Wenn Gott nicht existiert, dann ist die ganze Kette falsch bzw. unsinnig (ein Gott, der nicht existiert, kann sich auch nicht für uns interessieren). Wenn Gott sich nicht für uns interessiert, dann wissen wir nicht, was er mit seiner Offenbarung bezweckt. Wenn Gott lügt, sich aber offenbart, ist seine Offenbarung wertlos. Wenn die Schreiber der Bibel dabei Fehler gemacht haben, und wir wissen nicht mit Sicherheit wo, dann ist die Religion wohl eher falsch etc. Was hier übersehen wird, ist die Annahme, dass wenn Gott existiert auch alles andere richtig ist, sich auf nichts stützt. Im Gegenteil, wenn nur eine einzige Annahme falsch ist, dann ist das Christentum als Gesamtheit falsch und kann nur teilweise aufrecht erhalten werden! Und daher darf man das Verfahren so anwenden, wie ich es tat, um die Gesamtwahrscheinlichkeit aller Aussagen zu beurteilen. Eine kausale Abhängigkeit ändert nichts daran. 

Wenn die Aussagen teilweise voneinander abhängig sind und teilweise nicht, dann muss man etwas anders vorgehen und die Aussagen so umformulieren, dass sie völlig voneinander unabhängig sind. 

Aber wenn die Aussagen voneinander logisch abhängig sind und eines aus dem anderen folgt, dann geht dies nur, wenn es auch eine logische Abhängigkeit zwischen diesen Aussagen gibt. Das würde bedeuten, dass alle Aussagen über Gott der Logik folgen. Nur, wenn wir die Logik auf die Aussagen anwenden können, dann ist ihre Wahrscheinlichkeit noch sehr, sehr viel geringer als hier angenommen. Damit wäre das Argument, dass diese Kette sehr schwach ist, noch sehr viel stärker. Nun wird aber häufig behauptet, dass bestimmte oder alle Aussagen über Gott sich nicht nach der Logik richten oder damit betrachtet werden können. Andererseits wird, wenn man eine logische Kette annimmt, dem widersprochen. Was gilt denn nun? Ich nehme zugunsten der oben skizzierten Aussagenkette an, dass es keine logische Folgerichtigkeit zwischen den Aussagen gibt, dass wir sie also als unabhängig charakterisieren können. Außerdem müsste man für jedes Folgeglied genau angeben, woraus die logische Abhängigkeit besteht, für die meisten der Kettenglieder ist dies aber noch nie gemacht worden. 

Der große, schwarze Raum ist eine Metapher für Metaphysik. Deswegen nützt es uns auch so wenig, wenn jemand kommt und behauptet, er kenne den Inhalt des Raumes ganz genau, denn wir haben hier einige zusätzliche Annahmen über den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen. In der Geschichte von Hank sehen wir, dass alles noch viel unwahrscheinlicher wird, wenn man den indirekten Weg über Karl nimmt, um die Behauptungen von Hank zu prüfen. 

Daher ist am Glauben kein Zweifel erlaubt. Setzt man irgendwo den Hebel kritischen Prüfens an, d. h. den Zweifel, dann zerreißt das gesamte Netz schon bei der geringsten Belastung, weil mit jedem neuen Knoten die Gesamtstabilität sinkt, wobei den Gläubigen, die mindestens genauso wahrscheinlichkeitsblind sind wie jeder von uns, das Gegenteil vorgegaukelt wird. Glauben selbst ist nicht tragfähig und für eine rationale Gesellschaft als Grundlage auch nicht tragbar. 

Es gibt noch einen weiteren formalen Beweis dafür, dass die Existenz von Gott extrem unwahrscheinlich ist - und ironischerweise baut der Beweis auf den Annahmen auf, die von Kreationisten gegen die Evolution angeführt werden. Sie finden den Beweis hier: 
Komplexität und Gott.

Konfusius, er zitiert: "Glauben ist ein alogisches Vertrauen in das Unwahrscheinliche." (H. L. Mencken)


Anmerkungen:

[1] Ein häufig geäußerter Einwand lautet, dass viele der Dinge kausal miteinander verkettet sind, und daher nicht unabhängig voneinander, wie ich hier unterstellt habe. Interessanterweise kommt der Einwand meist von Leuten, die behaupten, dass Gott über jeder Kausalität steht und ihr nicht unterliegt. Wenn sie Recht haben, dann ist ihr Einwand irrelevant, die Annahme einer Kausalkette wäre unsinnig. Wenn wir aber über Kausalketten auch auf Gott rückschließen könnten - dann hätten wir einen Gottesbeweis. Da es keinen Gottesbeweis gibt, halte ich die Anwendung von Kausalität in diesem Fall nicht für möglich. Folglich ist meine Annahme korrekt.

Gastbeitrag von: Volker Dittmar

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