„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Können Atheisten moralisch sein?

Zuhauf werden Atheisten bezichtigt, sie besäßen keine Moral. Was ist dran an diesem Vorwurf?

  • Vielmehr ist es oft so, dass gerade im Namen eines Gottesglaubens die Unmoralistischsten Dinge passiert sind bzw. passieren. Wirklich Keiner muss Angst haben, wenn er einem Atheisten fehlende Moral vorwirft, dieser wird Ehre und Contenance bewahren. Aber versuchen sie mal, in einem hochreligiösen Raum wie dem Arabischen, die Moral von Starkgläubigen zu kritisieren, sie werden nicht weit kommen. Anders ist es in säkularisierten Staaten mit einem hohen Atheistenanteil, wie den skandinavischen, die übrigens auch moralische Vorreiter in Sachen Entwicklungshilfe, Umweltschutz und Sozialstandards sind.
  • Der Vorwurf funktioniert also wenn dann andersherum: Theisten haben sich im Laufe der Geschichte als die Blutrünstigen und Unmoralischen erwiesen, vor denen sich Atheisten fürchten mussten – bzw. z.T immer noch müssen.
  • Wenn die Moral eine Erfindung der Religion wäre, hätte es vor der Religion keine Moral geben dürfen. Tatsächlich beobachten wir aber bereits bei höheren Säugetieren Ansätze von moralischem Handeln. Und diese Tiere glauben definitiv nicht an einen Gott, d.h. sie sind Atheisten.
  • Entscheidend ist doch, dass zwar sowohl Atheisten als auch Theisten unmoralisch handeln, es aber nur auf Seiten der Theisten Leute gibt, die dies aufgrund ihrer Überzeugung tun. "Hey, tötet diesen Menschen, er ist Gläubiger", so hat noch nie ein Atheist gesprochen.
  • Man muss sich sogar fragen, ob es im klassischen Theismus überhaupt Moral geben kann. Die Moral ist primär dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht zum Eigennutz verübt wird. Die großen Religionen versprechen wohltätigen Leuten aber Eigennutz, sei es in Form eines Himmels und eines Nirwanas, und drohen andernfalls mit der Hölle oder mit der Wiedergeburt. Offensichtlich ist das kein moralisches Handeln mehr, wenn man etwas tut, damit man nachher in den Himmel und nicht in die Hölle kommt. Das ist kalkulierter Egoismus. Zu Moralischem Handeln wird es erst dann, wenn man ohne Heilsversprechen, ohne Drohgebärden und ohne primitivste Angstpädagogik immer noch das Richtige tun würde.
  • Moral stammt offensichtlich nicht von Gott, denn es gibt viele Tiere, Menschen und Kulturen mit einer hoch entwickelten Moral, die keinen Gott kennen. Als ein Beispiel ist die chinesische Kultur zu nennen, die älteste existierende Hochkultur der Welt. Bis zum Eintreffen der ersten christlichen Missionare gab es in der chinesischen Sprache kein Wort für Gott, aber sehr wohl schon juristisch verbindliche Moralvorschriften.
  • Woher aber kommt die Moral denn, wenn nicht von Gott? Wie bereits erwähnt finden Forscher bereits bei unseren Primaten-Verwandten Moralen, sie sind die evolutionären Vorläufer der menschlichen, komplexeren Moral. Die Bedingungen, unter denen sich der Mensch entwickelte, sprechen genau für die Annahme, dass sich „moralische“ Verhaltensweisen lohnen, dass sie einen evolutionären Vorteil mit sich bringen. Sie bevorzugen klar die Gene, die zu Kooperation und „nettem“ Verhalten anregen, gleichzeitig bestrafen sie Lug und Betrug. So wird durch natürliche Selektion Moral erzeugt. Zu diesen (rudimentären) selektierten Verhaltensweisen kommen dann menschliche Überlegungen hinzu, die das unter Freunden und Familie ererbte Kleingruppenverhalten auch über diese Grenzen hinaus anwendbar macht.
  • Eine säkulare, durch Evolution und Freies Reflektieren entstandene Moral ist schon allein deshalb einer starr-religiösen Moraldoktrin vorzuziehen, weil sie erheblich flexibler gegenüber neuen Umständen und Zeigen ist. Und eine säkulare, atheistische Moral kann ethisch Relevantes von völlig Irrelevantem trennen. Das schafft religiöse Moral nicht. Religiöse Moral muss sich darum scheren, was wir essen, lesen, tragen und mit wem wir Sex haben, weil es in der Bibel steht. Und sie wirft dies mit wirklich moralisch relevanten Aspekten wie Mord und Kindesmissbrauch zusammen.

Fazit: Atheisten sind nicht morallos, ganz im Gegenteil: Sie besitzen sowohl in intentionaler, inhaltlicher als auch konsequentialistischer die besseren Moralsysteme. Diese schlichte, doch zutreffende Erkenntnis hat sich in religiösen Kreisen noch nicht herumgesprochen. Beharrlich wird dort das Schreckensgespenst an die Wand gemalt, bei weiterem Verlust des Glaubens in Deutschland (oder sonstwo) würden die Menschen ohne Werte durch die Gegend laufen und das Chaos bräche über uns herein. Dies ist das stärkste Motivans für die angestrebten Rechristianisierungsbemühungen – und wieder wird ein Popanz aufgebaut, um den Menschen Angst einzujagen. Aber wir müssen keine Angst haben vor einer Welt ohne tradierte Schafshirtenmythen, wir sollte uns auf sie freuen!

  • Böckenförde Fehlschluss: Ihr habt schon öfter gehört, dass nur Religionsgemeinschaften allein in der Lage seien, allgemein verbindlich Moralnormen zu kreieren? Diese Aussage basiert auf dem Böckenförde-Diktum und ist ein Trugschluss.
  • Effektiver Altruismus
  • Intelligenz: Man ist als Atheist gg. den klassischen Gottesvorstellungen weder automatisch ein besserer, noch automatisch ein schlechtere Mensch. Man ist aber manchmal ein besserer, konsequenterer Nachdenker über religiöse Fragen.

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Kommentare: 15
  • #15

    WissensWert (Donnerstag, 01 Juni 2017 16:54)

    Christopher Hitchens hat mal gefragt, ob es einen einzigen moralischen Akt gibt, den ein Atheist nicht begehen kann.

    Den gibt es tatsächlich - genau das "stellvertretende Vergeben eines Vergehens". Dazu sind Atheisten nicht in der Lage, fast alle würden das auch als unsinnig zurückweisen, für sich selbst als auch für alle anderen.

    Das ist aber auch schon die einzige moralische Handlung, die ein Atheist nicht ausführen kann oder wird. Bei allem anderen gibt es keine Unterschiede zwischen Gläubigen und Ungläubigen aller Art.

    Deswegen auch diese Art der Kritik: Uns kann nicht einleuchten, was der Tod von Christus am Kreuz für einen Sinn hatte. Wir können das nicht verstehen, und kein Christ kann uns das erläutern (Versuche dazu, wie hier, gibt es immer wieder, was dann dazu führt, dass die Diskussion sofort auf Nebengleise geführt wird).

    NOCHMAL: Kein Atheist versteht das Konzept des "stellvertretenden Vergebens von Sünden". Das liegt daran, dass KEIN Christ erklären kann, was das soll. Das ist genau DER Grund, warum damals die Heiden das Christentum als "Torheit" angesehen haben. Dieser Vorwurf konnte bis heute nicht ausgeräumt werden.

    Ich kenne etwas mehr als ein halbes Dutzend theologischer Konzepte. Keines davon hat eine Mehrheit von Christen für sich, sondern ALLE werden von einer christlichen Mehrheit von Gläubigen wie auch Theologen abgelehnt. Ich halte JEDES dieser Konzepte für puren Unsinn. Es ergibt weder logisch, noch moralisch, noch theologisch einen Sinn. Ich denke, ich habe auch über diese Frage sehr viel mehr nachgedacht als die Mehrheit aller Gläubigen.

  • #14

    max (Mittwoch, 07 Dezember 2016 15:50)

    KARL MARX: "RELIGION IST DAS OPIUM DES VOLKES"

  • #13

    WissensWert (Samstag, 05 November 2016 19:15)

    https://www.youtube.com/shared?ci=fadwe9cReFM

  • #12

    WissensWert (Sonntag, 30 Oktober 2016 13:05)

    Atheist are routinely asked how people will know not to rape and murder without religion telling them not to do it, especially a religion that backs up the orders with threats of hell. Believers, listen to me carefully when I say this: When you use this argument, you terrify atheists. We hear you saying that the only thing standing between you and Ted Bundy is a flimsy belief in a supernatural being made up by pre-literate people trying to figure out where the rain came from. This is not very reassuring if you’re trying to argue from a position of moral superiority.

    10 Myths Many Religious People

  • #11

    WissensWert (Dienstag, 18 Oktober 2016 01:11)

    "Entweder es geht letztlich nur um die Werte, die ich für wesentlich halte, dann brauche ich keine heiligen Texte, aus denen ich diese Werte mühsam auslesen bzw. herauslesen muss. Oder ich unterstelle mich der Autorität der heiligen Texte, dann darf ich nicht nach eigenem Gutdünken daraus auswählen."

    Hubert Schleichert, Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren, C.H. Beck, München 1999, S. 97 f.

  • #10

    WissensWert (Freitag, 16 September 2016 19:06)

    https://www.youtube.com/watch?v=Rhvg4IXmWY8

  • #9

    WissensWert (Samstag, 27 August 2016 15:00)

    Das olle Klischee vom konsumzerfressenen hedonistischen Atheisten. Die meisten Skeptiker, die ich kenne, sind gleichzeitig Kritiker eines gedankenlosen Konsums. Viele von ihnen sind Minimalisten. Sie wertschätzen Momente, Begegnungen, Empfindungen, Mitmenschlichkeit, Altruismus statt materiellen Gewinn. Viele von ihnen sind Veganer.

    Sie stellen ihr Leben in den Dienst der Ethik, nicht einer irrationalen Illusion.

    Das Kerndogma des Christentums, es gebe einen unsichtbaren Schöpfergeist, der sich in einem alten Buch offenbart habe, ist irrationaler Nonsense. Kein ehrlich und rational denkender Mensch kann das für glaubhafter halten als das Gegenteil: Dass auch dieses Buch nur von bloßen Menschen erfunden wurde.

    Sorry if the truth pains you.

  • #8

    WissensWert (Montag, 01 August 2016 02:31)

    Morality is doing what is right regardless of what you are told.
    Religion is doing what you are told regardless of what is right

  • #7

    WissensWert (Donnerstag, 14 Juli 2016 03:37)

    http://derstandard.at/2000025163557/Religion-macht-uns-nicht-moralischer?ref=article

  • #6

    WissensWert (Mittwoch, 06 Juli 2016 23:21)

    Unsere emotionale Konstitution, die teils kulturell und ontogenetisch, teils phylogenetisch festgelegt ist, führt zu gewissen Schlussfolgerungen aus der Existenz der seiner selbst bewussten Subjektivität. Aus dem Überlebensvorteil der Sozialität (die es ähnlich in der Vorstufe auch schon beim Schritt vom Einzeller zum Mehrzeller gab) entstand die Empathiefähigkeit, d.h. die Fähigkeit, sich projizierend in die Gefühlslage von Artgenossen hineinzuversetzen, was aber auch sogar über die Artgrenze hinaus möglich ist.
    Aus diesem Empathieempfinden entstand bei uns Menschen durch die Reflektion über uns mittels symbolisierender Sprache relativ schnell die Vorstellung einer Würde des erlebenden erleidenden Subjekts. Darauf bauten kulturelle Strukturen wie Religionen, Gesetze, politische Bewegungen bis hin zu der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf.
    Dadurch, dass wir mitfühlen können, uns in andere hineinversetzen, entstand der ethische Ansatz, dass wir eben nicht alles tun dürfen, was wir wollen und dass es uns selbst "seelische" Schmerzen bereitet, wenn jemand anders unter unserem Handeln oder dem Dritter leiden muss.
    Allerdings gilt das nicht für alle Menschen, da Empathiefähigkeit auch dysfunktionalisiert werden kann, sowohl durch eine gestörte Persönlichkeitsentwicklung, z.B. eine lieblose Erziehung, als auch durch geeignete kulturelle Strukturen und Technologien des Empathieabbaus wie z.B. Feindbilder, Schuldzuweisung, Entmenschlichung, In-group / Out-group, Fernwaffen, Desinformation, Verantwortungsübertragung auf Autoritäten, Uniformierung, Isolation durch Technologie (siehe Aggression im Autoverkehr). Eine zentralen Einschnitt in die Geschichte der Empathie stellte die Sesshaftwerdung und damit "Vermassung" der Sippe auf große Stämme, Städte, Völker und Nationen dar, weil unser Neocortex offenbar phylogenetisch auf die Verwaltung von maximal 100-250 Individuen (Dunbars Zahl) ausgelegt ist.
    Trotz dieser teilweisen Dysfunktionalisierung bleibt der ethische Imperativ trotzdem erhalten. Weil er aber so schwer zu begründen ist, haben sich die Menschen stets Personalisierungen von Instanzen für diesen moralischen Imperativ entwickelt, wie z.B. Götter oder unpersonale Einrichtungen wie den Rechtsstaat.

  • #5

    WissensWert (Sonntag, 29 Mai 2016 03:42)

    https://youtu.be/OmbwBKtkTms

  • #4

    WissensWert (Sonntag, 22 Mai 2016 18:56)

    http://www.schmidt-salomon.de/atheismus.htm

  • #3

    WissensWert (Donnerstag, 28 April 2016 11:07)

    "Von wegen, ohne Gott gäbe es keine Moral! In vielen Fällen ist es doch erst die Religion, die zu Unterdrückung, Vertreibung, Ächtung und Mord anstiftet. Der überholte moralische Kompass, der nur zwischen dem guten Gott und dem bösen Teufel unterscheidet, gehört auf den Scheiterhaufen der Geschichte."
    - Philipp Möller

  • #2

    WissensWert (Donnerstag, 21 April 2016 04:33)

    https://m.facebook.com/GodIsNotGreat/photos/a.229927950379512.56096.229551967083777/1131891433516488/?type=3&source=48

  • #1

    WissensWert (Mittwoch, 06 April 2016 19:32)

    Ich als Normalmensch bin eine bessere moralische Instanz, als "Gott" es ist.
    Denn im Gegensatz zu "Gott" würde ich, wenn ich das Kind, das in den nächsten 3 Sekunden verhungern wird, retten könnte, das auch tun.


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