„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Der Schluss auf die beste Erklärung

Vertreter des Intelligenten Designs versuchen, die Annahme einer Schöpfung von Lebewesen mithilfe eines so genannten “abduktiven Schlusses” zu begründen. Dieser Schluss wird gelegentlich als “Schluss auf die beste Erklärung” bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Analogieschluss, der sich an technischem Erfahrungswissen orientieren soll.

 

Wir wissen beispielsweise, dass Menschen in der Lage sind, durch planerische Akte funktionale, zweckmäßige und zugleich “nichtreduzierbar komplexe” technische Apparate herzustellen, also künstliche Systeme mit hochkomplexer Interaktion ihrer Bestandteile (Computer oder Uhren beispielsweise), die dazu führt, dass die Wegnahme eines beliebigen Teils den Zusammenbruch der Funktion der Systeme bedingt. Wir wissen ebenfalls, dass solche Apparate, also Uhren, Computer usw., niemals “spontan” entstehen oder evolvieren, das heißt, man braucht einen intelligenten Konstrukteur. Findet man nun solche “nichtreduzierbar komplexen” Strukturen auch in Biosystemen, kann dem Analogieschluss zufolge auf gleiche (intelligente) Entstehungsursachen geschlossen werden.

 

Da etwaige Vorstufen nichtreduzierbar komplexer Systeme scheinbar funktionslos sind und somit nicht über selektionspositive Etappen evolvieren könnten, verstärkt sich die Plausibilität des Arguments nach Auffassung ihrer Protagonisten und verdichtet sich zum Schluss auf die beste Erklärung. Der Begriff “Abduktion” beschreibt den erkenntniserweiternden Schluss auf eine Hypothese, die einen beobachteten Umstand erklären kann –  in diesem Fall die Entstehung nichtreduzierbar komplexer Strukturen durch intelligentes Design.

 

Der Evolutionsgegner Reinhard Junker spricht inzwischen lieber von spezifischem Design, weil er erkannt hat, dass ein allgemeines, nicht näher Beschriebenes “Design”-Prinzip nicht ausreicht, um daraus prüfbare Folgerungen zu entwickeln (Junker 2009). “Intelligent Design” muss spezifiziert, also mit Zusatzannahmen werden (SD-Modell), und hier kommt Erfahrungswissen aus der Technik ins Spiel: Wenn, so der Grundgedanke, menschliches Design studiert wird, lassen sich darin spezifische “Muster” oder “Design-Signale” erkennen, nach denen man auch in biologischen Systemen suchen kann. Findet man solche Design-Signale auch in Lebewesen (üblicherweise nichtreduzierbar komplexe Strukturen), dann sei es der naheliegende Schluss, auch beim Leben einen schöpferischen Ursprung vorauszusetzen.

Die formale Begründung des abduktiven Schlusses

Zur Begründung dieses Schlusses kann der folgende Formalismus dienen. Junker (2009, 10):

Nichtreduzierbar komplexe Apparate entstehen durch Einsatz von Intelligenz (Regel)

Resultat: Der Bakterienmotor ist nichtreduzierbar komplex

___________________________________________________________

 

Der Bakterienmotor ist möglicherweise durch Einsatz von Intelligenz entstanden (Fall)

Über die genaue Identität der Intelligenz muss dabei nichts gesagt werden, wohl aber, dass die Design-Indizien solchen Kennzeichen gleichen, wie wir sie von menschlicher Aktivität her kennen (SD-Modell). Dieser abduktive Schluss kann auf zwei Weisen geschwächt werden: zum einen, dass der Bakterienmotor (Abb. xx) ohne Verlust der Motorfunktion in kleinen Schritten abgebaut werden kann, denn dann wäre er nicht nichtreduzierbar komplex. Zum anderen durch den Nachweis, dass nichtreduzierbar komplexe Apparate auch ohne Einsatz von Intelligenz entstehen können. Solange beides nicht gelingt, kann dieser abduktive Schluss auf die beste Erklärung (s.u.) gelten.

Was ist zu diesem Schluss zu sagen? Zunächst einmal, dass dieser Schluss nicht formal zu beanstanden ist, das heißt er ist durchaus logisch folgerichtig: Wenn (alle) nichtreduzierbar komplexe(n) Apparate durch Einsatz von Intelligenz entstehen (Prämisse 1) und wenn der Bakterienmotor nichtreduzierbar komplex ist (Prämisse 2), dann ist der Bakterienmotor durch Intelligenz entstanden (Folgerung). Allerdings hilft Logik allein nicht, um einen Sachverhalt theoretisch zu erschließen und zu überprüfen. Um ein offensichtlich absurdes Beispiel zu bemühen:

Prämisse 1: Das Explodieren von Sternen wird durch Dämonen verursacht

Prämisse 2: Der Stern in der Supernova 1987A ist explodiert

___________________________________________________________

 

Folgerung: Die Supernova 1987A wurde durch einen Dämon verursacht

Auch dieses Beispiel ist nicht absurd, weil der Schluss logisch ungültig wäre, im Gegenteil: Unter Voraussetzung beider Prämissen ist die Schlussfolgerung korrekt! Damit dieser Schluss aber auch beweiskräftig wird, also als beste Erklärung taugt, müssen beide Prämissen wahr (bzw.empirisch wohl begründet) sein. Auf Prämisse 2 trifft dies zu, nicht aber auf Prämisse 1. Die Aussage “Das Explodieren von Sternen wird durch Dämonen verursacht” ist offensichtlich falsch, zumindest ist sie nicht wissenschaftlich begründet, sondern an den Haaren herbei gezogen.

Ist der abduktive Schluss auf Design stichhaltig?

Ist Junkers abduktiver Schluss ebenfalls an den Haaren herbei gezogen? Nein, so einfach ist es nicht, immerhin greift er auf Erfahrungwissen aus der Technik zurück. Doch halt: Was wissen wir wirklich? Alles, was wir wissen, ist, dass bestimmte Klassen nichtreduzierbar komplexer Apparate durch den Einsatz von Intelligenz erzeugt werden. Die Regel “Nichtreduzierbar komplexe Apparate entstehen durch Intelligenz” ist in dieser allgemeinen Form falsch, zumindest nicht empirisch-wissenschaftlich begründbar. Und genau hier liegt das Problem mit dem abduktiven “Schluss auf die beste Erklärung”.

 

Junker müsste, um den Schluss auf Design zu einem beweiskräftigen Schluss zu machen, Prämisse 1 (“Nichtreduzierbar komplexe Apparate entstehen durch den Einsatz von Intelligenz”) um mindestens einen Zusatz erweitern. Streng genommen muss sie umformuliert werden in: “Nichtreduzierbar komplexe technische Apparate entstehen durch den Einsatz von Intelligenz”. Lässt man diese Spezifikation weg, wird das, was Junker zu belegen beabsichtigt, nämlich dassauch Biosysteme durch Einsatz von Intelligenz entstehen, bereits in der Prämisse vorweg genommen. Das Ergebnis ist ein fataler Zirkel wechselseitiger Selbstbestätigung. Berücksichtigt man hingegen die Spezifikation, verliert der “abduktive Schluss” seine formale Gültigkeit, denn Biosysteme wie Bakterienmotoren sind keine technischen Apparate. Die formale Begründung des “abduktiven Schlusses” sticht also nicht.

 

Aus schöpfungstheoretischer Sicht kann man das Dilemma auf zwei Arten umgehen: Die erste Möglichkeit besteht darin, die Prämisse als Möglichkeitsaussage zu formulieren, etwa: “Nichtreduzierbar komplexe Apparate können durch den Einsatz von Intelligenz entstehen” – dann freilich kann auch eine Bakterienflagelle durch Intelligenz entstanden sein. Dadurch verkommt der “Schluss auf die beste Erklärung” aber zu einer trivialen Allerklärung, denn solche Möglichkeitsaussagen bestreitet auch der Naturalist nicht. Im Gegenteil, einer der Haupteinwände gegen die Wissenschaftlichkeit von ID ist ja gerade, dass unter Voraussetzung eines “Designs”, über dessen Wirkmechanismus man nichts weiß, überhaupt alles möglich (bzw. denkbar) ist. Ob Schöpfung im konkreten Fall nicht nur denkbar, sondern auch evident ist, der abduktive Schluss auf Design also tatsächlich auch den Schluss auf die beste Erklärungverkörpert, steht auf einem anderen Blatt. Möglichkeitsaussagen sind hier zunächst nicht mehr als Denkmöglichkeiten und nicht zu verwechseln mit einem Indiz.

 

Auch die evolutionskritische Komponente des Arguments, wonach die Design-Option erst vor dem Hintergrund der Unplausibilität einer schrittweisen evolutionären Entwicklung den Status der “besten Erklärung” erlange, hilft nicht weiter. Das Argument, dass dass etwaige Vorstufen nichtreduzierbar komplexer Systeme aufgrund ihrer scheinbaren Funktionslosigkeit nicht selektionspositiv sein können, schwächt zwar die Plausibilität bestimmter Evolutionsszenarien, hätte aber nur dann Gewicht, wenn sich zeigen ließe, dass nichtreduzierbar komplexe Strukturen für die Evolution eine unüberwindbare Schranke darstellen. Dieser Nachweis kann derzeit aber nicht geführt werden; darüber hinaus tragen zahlreiche Entstehungsmodelle der evolutionskritischen Komponente des Arguments bereits Rechnung, werden durch die Evolutionskritik also gar nicht erfasst.

 

Das Äußerste, was sich im Einzelfall konstatieren lässt, ist also immer die derzeitige Nicht-Erklärtheit eines Evolutionsprozesses, nicht dessen generelle Nicht-Erklärbarkeit, so dass die Design-Option schlussendlich nicht über den Status einer unbegründeten Hypothese hinaus gelangt. Denn was nützt die beste Evolutionskritik, wenn der Schluss auf “Design” keine eigene, innere Plausibilität aufweist, die unabhängig ist vom Status der Evolutionstheorie? Selbst wenn alle Evolutionstheorien widerlegt wären, wäre der Schluss auf Design nicht automatisch der Schluss auf die beste Erklärung, denn es gäbe noch immer etliche weitere  Hypothesen zum Ursprung des Lebens (beispielsweise die Ewigkeitshypothese, die Entstehung von “Boltzmann-Gehirnen” durch quantenphysikalische Effekte usw. usf.), mit denen “Design” konkurrieren müsste. Der Fehlschluss zu meinen, die Design-Hypothese würde durch Schwächung von evolutionären Alternativ-Hypothesen plausibler, nennt man gemeinhin argumentum ad ignorantiam.

 

Die zweite Möglichkeit, das Dilemma zu umgehen, besteht in der Abschwächung der logischen Struktur des Schlusses. Man könnte Prämisse 1 beispielsweise umformulieren in:

Prämisse 1: Wenn Systeme intelligent designt werden, dann sind sie (oft) nichtreduzierbar komplex

Prämisse 2: Der Bakterienmotor ist ein nichtreduzierbar komplexes System

___________________________________________________________

 

Folgerung: Der Bakterienmotor ist (wahrscheinlich) das Ergebnis von Design

Man beachte, dass der Schluss nicht mehr wahrheitsbewahrend ist, wie im oben genannten Fall, denn er ist nicht formallogisch gültig. In den Naturwissenschaften bleibt aber gar nicht anderes übrig, als genau so zu verfahren: Man muss immer zunächst eine Theorie voraussetzen, daraus eine Folgerung ableiten (“Wenn…, dann…”) und diese Folgerung dann anhand der Beobachtung überprüfen. Wird die Folgerung bestätigt, wird auf die (zumindest partielle) Richtigkeit der Theorie zurück geschlossen, obwohl die Richtigkeit der Theorie nicht formallogisch beweisbar ist.

Auch dazu ein einfaches Beispiel (nach Junker 2009, 9):

Wenn es regnet, wird die Straße nass

 

Die Straße ist nass, ergo hat es (wahrscheinlich) geregnet.

Man beachte, dass es auch alternative Erklärungen gibt, z.B. könnte ein Sprengwagen für eine nasse Straße verantwortlich gewesen sein. Trotzdem erhärtet sich der Schluss auf Regen, falls Alternativerklärungen nicht plausibel sind.

 

Taugt also der abduktive Schluss des Intelligenten Designs als Schluss auf die beste Erklärung, und die Evolutionskritik dazu, um diesen Schluss noch weiter zu erhärten? Leider nein, denn Prämisse 1 ist wieder nicht gut begründet: Ein Biosystem oder ein beliebiges anderes System ist nicht deswegen nichtreduzierbar komplex, weil es designt wurde, sondern schlicht, weil es sich um ein System handelt: Die Eigenschaft der nichtreduzierbaren Komplexität ist eine inhärente Eigenschaft von Systemen; es gibt kein System ohne diese Eigenschaft. Egal, wie Systeme entstehen, sie sind per se nichtreduzierbar komplex. Folgt daraus, dass es der naheliegende Schluss, sozusagen die “Nullhypothese” ist anzunehmen, dass Systeme “designt” wurden, bis man das Gegenteil zeigen konnte? Nein, das ist nicht der Fall – niemand entdeckt in der Natur ein System und geht automatisch davon aus, dass es designt wurde. Natürliche Systeme sind mehr der Natur als einem sich selbst organisierenden System analog als einem Artefakt.

 

Generell konnte nie gezeigt werden, dass “nichtreduzierbare Komplexität” eine für den Schluss auf “Design” brauchbare Eigenschaft ist. Im Gegenteil, nichtreduzierbar komplexe Strukturen sind alles andere als ein relevantes Erkennungskriterium für Design: Ob Tonkrüge, Mauern, Teller, Asphaltdecken oder Lineale – keines dieser Dinge ist nichtreduzierbar komplex – undtrotzdem erkennen wir darin typische Designmerkmale. Für den Schluss auf Design ist also etwas vollkommen anderes ausschlaggebend: ihr Wiedererkennungswert, also das Erfahrungswissen, dass es sich bei solchen Dingen wirklich um designte Objekte handelt. [1]

 

Findet ein Archäologe Scherben von Tonkrügen oder Mauerreste, schließt er auf einen menschlichen Ursprung, weil er selbiges aus antiken Schriften bzw. aus der Gegenwart bereits kennt. Ein Rechtsmediziner schließt bei einer Schussverletzung auf einen geplanten Mord, weil er aus Erfahrung weiß, dass mit Schusswaffen schon überdurchschnittlich häufig gemordet wurde. Und auch ein SETI-Forscher, der den Nachthimmel nach “Nachrichten” außerirdischer Zivilisationen durchforstet, sucht intuitiv nach solchen Ankerpunkten. Keineswegs eignet er sich Dembskis “Erklärungsfilter” für ein Intelligentes Design an oder sucht nach nichtreduzierbar komplexen Strukturen in der Nachricht. Vielmehr prüft er, ob einem extraterrestrischen Radio- oder Lichtsignal eine semantisch verwertbare Information mit Wiedererkennungswert aufmoduliert wurde (z. B. ein Radiosignal, das die Kreiszahl Pi auf 1000 Stellen genau übermittelt).

Warum der Schluss auf Design versteckte Glaubensannahmen enthält

Bei Lebewesen spricht unser Erfahrungswissen gegen den Design-Schluss, denn der abduktive Schluss von nichtreduzierbarer Komplexität auf ein Design von Biosystemen ist schon aufgrund der kategorialen Verschiedenheit der Objektklassen unbrauchbar: Bei menschlichen Artefakten spricht alles gegen eine Evolution und für Design, bei Biosystemen hingegen spricht vieles für eine natürliche Evolution, aber nichts aus der Erfahrung für ein Design.

 

Brauchbare Kriterien, an denen man “Design” (Kunstdinge) von “Naturdingen” unterscheiden kann, sind Eigenschaften wie Selbstorganisationnatürliches Zellwachstum und Mutabilität. Kunstdingen fehlen diese Eigenschaften, insbesondere die Fähigkeit zum Zellwachstum: Ein Roboter, ganz gleich wie einfach oder komplex er gebaut sein mag, ist und bleibt als Artefakt erkennbar, weil dieser niemals ein natürliches Zellwachstum durchlaufen und sich auf natürlicheWeise fortpflanzen kann. Allenfalls könnte ein Roboter wiederum andere Roboter aktiv zusammen bauen, womit die Design-Charakter offensichtlich bliebe. Ein Lebewesen, ganz gleich wie komplex es ist, bleibt dagegen immer als Naturding erkennbar, weil es wächst und sich auf natürliche Weise fortpflanzt, der Mutabilität und Selektion unterliegt etc. Nirgendwo in der Generationenkette taucht erkennbar ein Design auf. (Auch Züchtung ist kein Design, sondern nur eine künstliche Auswahl evolutionärer Varianten!) Unbelebte Dinge, die aktiv zusammengesetztwerden müssen, sind also als Artefakte erkennbar, Wachstum hingegen ist ein typisches Merkmal eines Naturdings. Weder das Feststellen nichtreduzierbar komplexer Strukturen noch der Nachweis fehlender evolutionärer Erklärungen ändern daran etwas – und reichen somit auch nicht aus, um den Schluss auf Design zu ziehen.

 

Junker (2009, 15f) hat diesen Einwand bereits vorweggenommen:

Es wurde jedoch noch nicht gezeigt, dass Fortpflanzungs- und Variationsfähigkeit und die anderen spezifischen Eigenschaften der Lebewesen tatsächlich zur Herausbildung neuer Strukturen führen. Die „Zusatzeigenschaften“ Fortpflanzungs- und Variationsfähigkeit der Lebewesen stellen das tertium comparationis des Analogieschlusses daher nicht in Frage. Lebewesen und technische Konstruktionen weisen zwar erhebliche Unterschiede auf, zeigen aber gerade in den für den Analogieschluss relevanten Aspekten auffallende Gemeinsamkeiten; sie sind nicht grundverschieden. Es müsste gezeigt werden, durch welche Mechanismen die Entstehung des evolutionär Neuen vor sich gegangen ist. Aus der Reproduktionsfähigkeit folgt keine Fähigkeit zur Neuproduktion und aus der Variationsfähigkeit folgt keine Innovationsfähigkeit.

Um es zu wiederholen: Bei Systemen, die sich von selbst vermehren, die natürlich wachsen und obendrein der Veränderlichkeit (Mutation und Selektion) unterliegen, ist “Design” nicht empirisch naheliegend – planerische Eingriffe sind in diesem Fall weder beobachtbar noch objektiv begründet. Indem Junker den Schluss auf Design dennoch zieht, ist sein Schluss kein reiner Analogieschluss mehr, sondern enthält Glaubensannahmen (Apriori-Annahmen) und entfernt sich damit immer weiter von der Wissenschaft (vgl. Mahner 2007). Und ein unplausibler Schluss lässt sich bekanntlich nicht dadurch retten, dass man eine Alternative (in diesem Fall die Evolutionstheorie oder bestimmte Evolutionsmodelle) torpediert – das ist der übliche Fehlschluss des argumentum ad ignorantiam.

 

Was die Evolutionstheorie zeigen oder nicht zeigen kann, steht auf einem anderen Blatt und ist logisch unabhängig von der Frage, ob der Schluss auf ein “Design” eine eigene, innere Plausibilität besitzt. Wie erwähnt wäre “Design” bestenfalls dann eine ernstzunehmende Option, wenn gezeigt werden könnte, dass nichtreduzierbar komplexe Strukturen durch Evolution nicht hervorgebracht werden können, was derzeit unmöglich ist.

 

Der “Schluss auf die beste Erklärung” lässt sich auch nicht dadurch rehabilitieren, dass man in den für die Fortpflanzungsfähigkeit verantwortlichen Merkmalen erneut nach nichtreduzierbar komplexen Systemen sucht. Junker (2009, 16):

Andererseits stellen sich für diese Fähigkeiten ebenso die Fragen nach deren Entstehung. Denn die Fortpflanzungsfähigkeit erfordert eine hochvernetzte Interaktion zwischen Informationsträgern und den korrespondierenden morphologischfunktionellen Merkmalen. Das biologische Design dafür verweist erst recht auf Planung. Statt einen Schlüssel für Evolution zu liefern könnten diese besonderen Fähigkeiten der Lebewesen die Frage nach ihrer Entstehung auch verschärfen.

Nein, das könnten sie nicht – in der Bioevolution zumindest nicht, denn die Fähigkeit zur Fortpflanzung und Veränderung (“evolvability”) war schon bei den ersten lebenden Zellen, vor über 3 Milliarden Jahren also, vorhanden und kann deshalb für die Erklärung der Evolution mehrzelligen Lebens einfach als “blackbox” vorausgesetzt werden. Davon abgesehen ist der Einwand  ja bereits dadurch entkräftet, dass nichtreduzibare Komplexität eben kein Erkennungskriterium für Design ist, und dass der Status der Evolutionstheorie an der Unplausibilität des Design-Schlusses nichts ändert.

Die historische Unplausibilität des abduktiven Schlusses

Gegen die Stichhaltigkeit des “abduktiven Schlusses” spricht ein weiterer Grund: Der Vergleich mit menschlicher Tätigkeit (oder zumindest menschenähnlichem Design) taugt bestenfalls so lange, wie die Extrapolation nicht zu weit in die Vergangenheit führt. Die Lebensentstehung aber führt weit zurück ins Präkambrium (d.h. also weit mehr als 3 Milliarden Jahre in die Vergangenheit). Für eine Zeit, aus der es weder Relikte menschenähnlicher Designer, geschweige denn komplizierte Syntheseapparaturen noch sonstige geistige Verursacher gibt, ist “Design” zwar immer eine logisch denkmögliche Erklärung (das ist es sowieso für grundsätzlich alles). Unter Berücksichtigung der historischen Randbedingungen hingegen ist es der denkbar unplausibelste Schluss.

 

So bemerkt auch der Theologe und ID-Kritiker Christoph Heilig in seinem Blog “Ursprungsfragen“,

… dass für die Beurteilung der Plausibilität einer Hypothese immer zwei Faktoren berücksichtigt werden müssen:
Auf der einen Seite muss dabei bedacht werden, bei welchem Antwortversuch das beobachtete X am besten erklärt werden kann.
Zum anderen muss aber auch evaluiert werden, inwiefern die Rahmenbedingungen eben jener Antwortversuche plausibel sind.
Der zweite Faktor wird von Junker in seinem Buch Spuren Gottes in der Schöpfung ausgeklammert und auch nach wie vor von Junker/Widenmeyer nicht richtig wahrgenommen.

So ist es: Die Beurteilung eines Arguments hängt immer von der Plausibilität derRandbedingungen ab, und die Plausibilität eines historischen Szenarios von den historischenRandbedingungen.

 

Die Plausibilität eines evolutionären Szenarios beispielsweise (abiotische Entstehung von Leben) hängt nicht unwesentlich davon ab, ob die Randbedingungen (z.B. Ozeane) eine Entstehung von Proteinen und DNA gestatten. In diesem Punkt stimmen die Evolutionsgegner sofort zu: Wenn die Rahmenbedingungen eine Bildung von Proteinketten vereiteln, dann ist eine chemische Evolution unplausibel. Genau so unterliegt aber auch der “abduktive Schluss” der Evolutionsgegner diesem Evaluierungsprozess: Man muss man sich fragen, was die Design-Hypothese Wert ist, wenn es in dem betreffenden Zeitraum nicht die geringsten Hinweise auf die Existenz einer wie auch immer gearteten Intelligenz gibt. Das ist keineswegs eine unerfüllbare Forderung, wie die Archäologie zeigt: Steinbruch kann nur dann vernünftig als Überrest eines (vermeintlichen) Tonkrugs interpretiert werden, wenn die zeitliche Zuordnung in einen Rahmen fällt, in dem Menschen lebten. Es hat dagegen wenig Sinn, einen menschlichen Ursprung in Erwägung zu ziehen, wenn das betreffende Geofakt aus dem Tertiär oder dem Kambrium stammt. Selbst wenn wir einen komplett erhaltenen Tonkrug in einer Kambrischen Schicht fänden, würden sofort Zweifel an der autochthonen Einbettung aufkommen, da kein vernünftiger Fundkontext existiert, der auf menschliche Existenzen oder gar auf eine ganze Artefaktindustrie aus dieser Zeit hinweist.

 

Der Schluss auf eine intelligente Planung muss also im historischen Kontext empirisch plausibel sein. Wenn man die Analogie mit technischem Design wählt, muss man diese Analogie auch in allen Belangen konsequent durchhalten und sich fragen, ob es Hinweise auf eine menschenähnliche, technische Hochkultur in ferner Zeit gibt. Anders gesagt: Man muss konkret aufzeigen, dass menschenähnliche Herstellungsweisen auch bei biologischen Merkmalen im Spiel gewesen sein könnten, und es müssen entsprechende Akteure bekannt sein, die als potenzielle Urheber infrage kommen. Man kann nicht willkürlich jene Eigenschaften zur Grundlage der Analogie erheben, die einem in den Kram passen (technische Apparate mit nichtreduzierbar komplexen Strukturen), andererseits aber alles ignorieren, was dieser Analogie im Weg steht, um letztendlich den erfahrungsfernsten Schluss zu ziehen. (Die meisten ID-Vertreter gehen ohnehin von einer göttlichen Schöpfung durch das “gesprochene Wort” aus, für die es überhaupt keine empirisch-wissenschaftlichen Anhaltspunkte mehr gibt.)

 

Auch dazu ein Beispiel: Im Falle einer unerwarteten Milzbrandepidemie liegt der Schluss auf einen geplanten Terrorakt nahe, da wir bereits aus Erfahrung wissen, dass es Akteure gibt, die aus militärischen Gründen mit solchen Erregern hantieren. Bei einer Vogelgrippe-Epidemie wäre dieser Schluss nicht naheliegend, da wir keine Akteure mit entsprechenden Absichten kennen. Und hätte vor 100 Mio. Jahren unter Dinos eine Grippe-Epidemie grassiert, wäre dieser Schluss vollkommen unplausibel, da in dieser Zeit keine intelligenten Akteure vorkamen.

Fazit

Evolutionsgegner behaupten üblicherweise, der Schluss auf eine “intelligente Planung” von Lebewesen sei im Hinblick auf die Existenz nichtreduzierbar komplexer Strukturen der naheliegendste Schluss – der Schluss auf die beste Erklärung. Darüber hinaus ließe sich dieser Schluss dadurch erhärten, dass man evolutionäre Erklärungen schwächt. Wie wir gesehen haben, ist dies falsch: Selbst wenn wir in keinem einzigen Fall wüssten, wie nichtreduzierbar komplexe Systeme entstanden sein könnten (in der Literatur gibt es zahlreiche Gegenbeispiele dafür, beispielweise zur Evolution der bakteriellen Flagelle), wäre dieser Schluss völlig unplausibel. Evolutionskritik ist also ein unnötiges Vorhutgefecht, weil es Intelligent Design nichts einbringt und letztlich davon ablenkt, dass der Schluss auf Design keine plausible Erklärungsalternative ist.

Quelle

  • Junker, R. (2009) Der Design-Ansatz in der Ursprungsforschung. http://www.genesisnet.info/pdfs/Intelligent_Design.pdf.
  • Mahner, M. (2007) Intelligent Design und der teleologische Gottesbeweis. In: Kutschhera, U. (Hg.) Kreationismus in Deutschland. Lit-Verlag, Münster, 340-351.

 

Fußnote

[1] Bei Lebewesen ist “nichtreduzierbare Komplexität” auch aus dem folgenden Grund kein brauchbares Erkennungskriterium für Design: Bereits im Jahr 1909 konnte der Nobelpreisträger Hermann Muller, ganz dem Boden der Darwinistischen Evolutionstheorie verhaftet, logisch zeigen, dass nichtreduzierbare Komplexität (Muller gebrauchte damals freilich andere Begriffe) zwangsläufig auftritt, wenn Biosysteme Schritt für Schritt durch Merkmalsaddition entstehen, dabei komplexer werden, später unbrauchbare Teile wieder verlieren und sich funktional diversifizieren. Nichtreduzierbare Komplexität bei Lebewesen ist also alles andere als ein “Design-Merkmal”, sondern ironischerweise die unmittelbare Konsequenz der Phylogenese!

Gastbeitrag von: Martin Neukamm (Buch)

zum vorherigen Blogeintrag                                                                         zum nächsten Blogeintrag 

 

Liste aller bisherigen Blogeinträge

Kommentare: 0

Impressum | Datenschutz | Cookie-Richtlinie | Sitemap
Diese Website darf gerne zitiert werden, für die Weiterverwendung ganzer Texte bitte ich jedoch um kurze Rücksprache.