„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Die evolutionären Wurzeln der Basisemotionen

Wenn Menschen lächeln oder weinen, spult ihr Gehirn ein Programm aus frühesten Zeiten ab. Denn einige Emotionen und ihr Ausdruck sind dem Manager in Tokio genauso angeboren wie dem Urvolk in Neu Guinea.

Copyright: Brand New Images / Lifesize / Getty Images
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Die Menschen mit dem krausen Haar und der dunklen Haut kannten keine Fotoapparate, kein Radio und kein Fernsehen. Sie  sprachen kein Englisch, ihre Haut bedeckten viele nur mit einem Lendenschurz, und manche ihrer Riten waren für Fremde mehr als befremdlich: So wurden etwa Stammesangehörige, die zeitlebens respektiert waren, nach ihrem Ableben von der Sippe verspeist. Der Volksstamm Fore wirkte noch in den 1960ern wie aus einer anderen Zeit. Und genau deswegen war er für den Psychologen Paul Ekman interessant: Der US-Amerikaner reiste zu dem Urvolk nach Papua-Neuguinea – auf der Suche nach nichts Geringerem als den Wurzeln der menschlichen Gefühle.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

 

·       Weltweit können Menschen bestimmte Gefühle zeigen und erkennen, die so genannten Basisemotionen.

·       Da auch Babys, Urvölker und blind-taube Menschen die Basisemotionen erkennen, sind diese vermutlich angeboren.

·       Der Ausdruck angeborener Gefühle wird durch kulturelle Regeln geprägt.

Forscherstreit über die Gefühle

Denn schon lange stritten sich die Emotionswissenschaftler: Müssen Menschen alle Gefühle und ihren Ausdruck erst erlernen? Oder gibt es eine Basisausstattung an Gefühlen und dazu passender Mimik, die das Neugeborene in China genauso kennt wie das Baby in Amerika?

 

Selbst zwischen den Verfechtern solch primärer Emotionenherrschte Zwist. Unklar war zum einen, was genau eine so genannte Basisemotion eigentlich ausmacht. Ungelernt müsste sie sein, meinte schon der Psychologe Orval Hobart Mowrer (1907-1982). Andere Wissenschaftler betonten vor allem die Handlungs-bereitschaft, die eine Basisemotion auslösen sollte, oder ihre feste neuronale Verankerung im Gehirn. Auch die Zahl der Basisemotionen war umstritten. Mowrer etwa betrachtete nur Lust und Schmerz als angeborene Gefühle, andere Kollegen führten bis zu zehn Basisemotionen zu Felde.

 

Ekman selbst postulierte viele Jahre nach seinen Forschungsreisen Kriterien, die verschiedene Ansätze unter einen Hut brachten: Basisemotionen entstehen unwillkürlich und schnell und dauern nur kurz an. Jede Basisemotion geht einher mit einem spezifischem Gefühl, einer typischen physiologischen Veränderung und einem charakteristischen Ausdruck – und zwar weltweit und auch bei Primaten. Heute weiß man durch zahlreiche Studien unterschiedlicher Forschergruppen: Verantwortlich für den spontanen Ausdruck der primären Gefühle sind vor allem der linke Präfrontallappen, das Cingulum, die Amygdala, der Thalamus und subcortikale Kerne.

Die Basisemotionen nach Paul Ekman: Überraschung, Ekel, Freude, Ärger, Trauer, Angst (von oben links nach unten rechts). Fotos: dasgehirn.info
Die Basisemotionen nach Paul Ekman: Überraschung, Ekel, Freude, Ärger, Trauer, Angst (von oben links nach unten rechts). Fotos: dasgehirn.info

Gesichter lesen im Urwald

Um die Existenz angeborener Emotionen zu beweisen, führte Ekman umfangreiche Studien durch. So legte er Studenten aus Japan, USA, Brasilien, Chile und Argentinien Fotos emotionaler Gesichter vor und bat die Probanden, den Bildern die passenden Emotionsbegriffe zuzuordnen. Sechs Emotionen fand Ekman, deren Mimik die meisten Studenten in den unterschiedlichen Kulturen identifizieren konnten: Ärger, Trauer, Freude, Angst, Ekel und Überraschung. (Globale Mimik)

 

Doch war das Wissen um diese Emotionen wirklich angeboren? Möglicherweise hatten die Studenten die Ausdrücke aus amerikanischen Filmen erlernt. Nur ein Volk wie die Fore, das über Jahrhunderte abgeschnitten von anderen Zivilisationen gelebt hatte, konnte hier Klarheit schaffen. Also reiste Ekman nach Papua-Neuguinea und legte die Fotos auch den Fore vor. Dazu erzählte er ihnen eine Geschichte, die in die Lebenswelt des Urvolkes passte. Etwa diese: Ein Wildschwein droht einen waffenlosen Mann zu beißen. Der Bedrohte ist allein im Dorf und fürchtet sich. Die meisten der Fore, ob Erwachsene oder Kinder, deuteten auf das Angstgesicht. Lediglich von dem Ausdruck der Überraschung konnten sie es schlecht unterscheiden.

 

Noch war Ekman nicht zufrieden: Er forderte die Fore auf, selbst zu den Geschichten passende Gesichtsausdrücke zu machen und filmte sie dabei. Die Videos spielte er amerikanischen Collegestudenten vor. Überdurchschnittlich häufig konnten die Amerikaner die dargestellten Gefühle der Fore korrekt erkennen. „Die Emotionen aller normalen Vertreter unserer Spezies werden auf derselben Klaviatur gespielt“, schreibt der Professor für Psychologie Steven Pinker von der Harvard University in seinem Buch „Wie das Denken im Kopf entsteht“ hierzu.

Evolution der Emotion

Dass die Basisemotionen wirklich angeboren sind, konnte der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt in den 1970er Jahren mit Studien bei blinden und tauben Kindern zeigen. Obwohl die Kinder die Mimik anderer nie beobachtet haben konnten, zeigten auch sie primäre Emotionen: Sie weinten, wenn sie traurig waren und lächelten, wenn sie sich freuten. Allerdings war der Ausdruck weniger graduiert als bei Sehenden und die Mimik verflachte mit zunehmendem Alter, da den Kindern kulturelle Vorbilder für die Mimik fehlten.

 

Stammesgeschichtlich liegt der Sinn angeborener Grundgefühle nahe: Wer die Angst im Angesicht des Anderen erkennt und losrennt, entkommt vielleicht dem Bären oder Tiger. Tränen rufen nach Trost, Ekel warnt vor Verdorbenem. Diese adaptive Bedeutung der Basisemotionen betonte auch der Emotionstheoretiker und Psychologe Robert Plutchik (1927-2006).

 

Sein theoretisches Modell ähnelt einem spitz zulaufenden Kegel, auf dessen unterer Schnittfläche wie bei einem Kuchendiagramm acht primäre Emotionen angeordnet sind. Zur Spitze des Kegels hin nehmen die Emotionen an Intensität ab. Alle anderen Gefühle entstehen als Mischungen aus den Grundgefühlen, vergleichbar mit den Grundfarben im Malkasten. Tatsächlich erleben viele Menschen die Basisemotionen nicht in Reinform, sondern als Mix von mehreren, oft auch widersprüchlichen Gefühlen gleichzeitig.

Angeboren und anerzogen

Zudem herrschen in jeder Kultur eigene Regeln, wie die Menschen ihre Gefühle zeigen. Wie genetische und kulturelle Faktoren beim Ausdruck von Emotionen zusammenspielen, konnte Ekman an japanischen und amerikanischen Studenten zeigen. Der Wissenschaftler filmte die Studenten, während sie einen Film über archaische Beschneidungsrituale sahen. Betrachteten die Probanden den Film alleine, verzogen sie ähnlich entsetzt das Gesicht. Sahen die japanischen Studenten den Film zusammen mit dem Versuchsleiter, zeigten sie anders als die amerikanischen Studenten kaum negative Reaktion, sondern lächelten. Doch völlig maskieren lassen sich Basisemotionen nicht: Ihr Ausdruck in der Mimik erfolgt unwillkürlich und in Teilen unbewusst.

 

Menschen industrialisierter Nationen, Angehörige indigener Völker, Blindgeborene und Babys – sie alle verfügen offenbar über die gleichen Grundfarben der Gefühle und die damit verknüpfte Mimik. Ohne dass sie die Mimik oder die Gefühle erlernen mussten, zeigen sie diese ab einer bestimmten Hirnreifung spontan auf einige wenige Reize. Doch die Frage nach der Anzahl der primären Emotionen ist immer noch nicht abschließend geklärt. Verschiedenste Emotionen haben die Forscher seit Beginn dieses Jahrtausends diskutiert. Auch Stolz, Verachtung und die Liebe gelten als mögliche Kandidaten für weitere menschliche Grundgefühle.

Gastbeitrag von: Hanna Drimalla

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