„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Alkoholsucht

Vergessen lässt sich Sucht nicht, aber durch neue Verhaltensmuster überlagern. Extinktionslernen als Suchttherapie soll Alkoholikern helfen, trocken zu bleiben.

Copyright: kallejipp / photocase.com
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Helles Bier fließt gluckernd und schäumend ins Glas und scheint dabei von Freiheit zu erzählen. Weißer Rum verspricht eine ausgelassene Party am Karibikstrand, prickelnder Sekt den perfekten Mädelsabend. Und nicht nur in der Werbung, auch im Alltag scheint Alkohol irgendwie dazu zu gehören – egal ob als Feierabendbier, beim Geburtstagsumtrunk unter Kollegen oder bei der Getränkeauswahl zum erlesenen Menü.

 

Die Verführung lauert überall – eine der größten Herausforderungen für die Therapie von Alkoholsucht. Denn wer den mit seiner Sucht assoziierten Reizen ständig ausgesetzt ist, läuft eher Gefahr rückfällig zu werden. Für Alkoholiker ist daher die Entgiftung nur der Anfang. Um wirklich trocken zu bleiben, müssen die Betroffenen lernen, in typischen Trinksituationen standhaft zu bleiben, statt zuzugreifen. Das Extinktionslernen verfolgt in der Suchttherapie daher das Ziel, ein altes Verhaltensmuster durch ein neues zu ersetzen, oder besser gesagt, zu überlagern. „Wirklich löschen lässt sich das vorhandene Muster nicht, da wird der Begriff Extinktion oft falsch wahrgenommen“, sagt der Psychopharmakologe 
Rainer Spanagel. Er untersucht im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim an Mäusen, ob und wie sich Rückfälle vermeiden lassen. „Die Extinktionstherapie zielt vielmehr darauf ab, neues Verhalten zu erlernen, damit das alte in den Hintergrund rückt und so abgeschwächt wird.“ (Extinktion: Umlernen lernen)

 

Im Fall von Alkoholsucht bedeutet das, in typischen Trinksituationen dem ursprünglichen Impuls – dem Drang zum Glas oder zur Flasche zu greifen – nicht nachzugeben. „Neurobiologisch gesehen bedarf es dafür einer Korrektur der Belohnungsvorhersage im Gehirn“, erklärt der Mannheimer Suchtforscher Falk Kiefer. Allein der Anblick des Tresens in der Lieblingskneipe, die Flasche mit dem bevorzugten Getränk, aber auch bestimmte Stresssituationen können im mesocortikolimbischen System den Drang zum Trinken ankurbeln. Dabei handelt es sich um das Belohnungssystem des Gehirns. Dopamin wird ausgeschüttet, und das kreiert wiederum das Verlangen nach dem ersehnten Kick oder auch die Entspannung durch die flüssige Droge (Sucht – Motivation zu schlechten Zielen). „Im Rahmen der Extinktionstherapie lernt das Gehirn, dass die Belohnungs-vorhersage falsch war“, so Kiefer. „Die Belohnungserwartung beim Anblick von Alkohol tritt dadurch mit der Zeit in den Hintergrund und der Suchtkranke lernt, seinem Lieblingsgetränk zu widerstehen.“

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

·       Der Begriff „Extinktion“ ist im Zusammenhang mit der Suchttherapie irreführend. Denn wirklich verlernen oder gar ausradieren lässt sich das Suchtverhalten nicht. Es lässt sich aber durch neue Handlungsmuster überlagern und so zurückdrängen.

·       Der erste Schritt zum Umlernen: Das Belohnungssystem im Gehirn muss „begreifen“, dass in typischen Trinksituationen der Kick oder die Entspannung durch die Droge nicht zu erwarten ist. Der Wirkstoff D-Cycloserin kann den Lerneffekt verstärken.

·       Das Umlernen macht sich im Gehirn bemerkbar. Die Reizreaktivität des Belohnungszentrums geht durch Extinktionslernen zurück.

·       Möglicherweise profitieren Suchtkranke, deren Belohnungszentrum besonders stark auf Schlüsselreize anspricht, am meisten von der Extinktionstherapie. Auch wie effektiv die Verbindung zum Frontalhirn ist, scheint eine Rolle zu spielen.

Anfassen, aber nicht trinken

Kiefer untersucht den Effekt des Extinktionslernens bei Alkoholikern – gemeinsam mit dem Psychologen Peter Kirsch und weiteren Kollegen des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit. Dabei arbeiten die Therapeuten mit ihren Patienten zunächst typische Trinksituationen heraus, in denen diese zum Alkohol greifen. In solche Situationen versetzen sich die Betroffenen gedanklich in der Therapiesitzung hinein und bekommen dann ihr Lieblingsgetränk serviert. Das dürfen sie sich eingießen, das Glas anfassen und die begehrte Substanz darin schwenken und betrachten, daran riechen – alles, aber eben nicht trinken. „Dadurch entsteht oft ein enormer Suchtdruck, der aber zumeist nach 20 bis 30 Minuten langsam abklingt“, erklärt Kiefer. Damit beginnt das Verlernen.

 

Dass das prinzipiell funktionieren kann, ist schon länger bekannt und lässt sich auch anhand von physiologischen Parametern demonstrieren. So haben frühere Studien beispielsweise gezeigt: Stresssymptome, etwa ein erhöhter Pulsschlag oder Schweißausbrüche beim Anblick der Drogen, nehmen im Verlauf einer erfolgreichen Therapie ab.

 

„Das war uns zu weit weg vom eigentlichen Geschehen im Gehirn“, sagt Kiefer. Die Mannheimer Suchtspezialisten wollten wissen, ob sich der Therapieeffekt auch im Gehirn nachweisen lässt. Daher legten sie ihre Probanden in den Scanner. Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie beobachteten sie die Hirnaktivität der Versuchspersonen, während diese Bilder von alkoholischen Getränken oder Trinksituationen betrachteten. „Wir haben gesehen, dass die Reizreaktivität im Belohnungssystem durch die Therapie abnimmt“, sagt Kiefer. „Ganz besonders gilt dies für das ventrale Striatum, einer zentralen Schaltstelle des Belohnungssystems.“

Das Lernen chemisch ankurbeln

Verstärken lässt sich der Effekt durch D-Cycloserin. Der Wirkstoff diente ursprünglich der Behandlung von Tuberkulose, wo er aber wegen neurologischer Nebenwirkungen nur noch unter Vorbehalt eingesetzt wird. Mittlerweile weiß man, dass die Substanz in niedriger Dosierung bei manchen Verhaltenstherapien gute Dienste leisten kann. D-Cycloserin aktiviert den so genannten NMDA-Rezeptor auf Nervenzellen, der eine Rolle beim Lernen spielt. Der Wirkstoff beschleunigt auf diese Weise das Verarbeiten neuer Lerninhalte: im Fall der Suchttherapie also die Erkenntnis, dass etwa beim Anblick des Lieblingsgetränks keine Belohnung in Form von Alkohol zu erwarten ist.

 

Rainer Spanagel hat den verstärkenden Effekt im Tierversuch bei alkoholsüchtigen Ratten ebenfalls beobachtet. Die Nager hatten zunächst gelernt, Orangenduft mit Alkohol zu assoziieren, den sie sich per Hebeldruck beschaffen konnten. Drückten sie dann in der Extinktionsphase den Hebel, wenn es nach Orangen roch – gingen sie leer aus. Die Tiere verlernten rasch: Bereits am ersten Tag der Extinktion betätigten sie im Verlauf von sechs Trainingseinheiten den Hebel immer seltener. Ratten, die eine Stunde vorher eine niedrige Dosis D-Cycloserin erhalten hatten, interessierten sich bereits nach der ersten Einheit kaum noch für den vormals vielversprechenden Hebel.

Vielfältige Auslöser erschweren Therapie

Trotz dieser beeindruckenden Resultate ist Spanagel skeptisch. „Die Methode hat sich bei der Angsttherapie bewährt, aber ich bezweifle, dass sich mit diesem Vorgehen auch bei der Suchttherapie langfristige Erfolge erzielen lassen.“ Bei der Angsttherapie sei das falsch erlernte Muster in der Regel klar einzugrenzen (Vergiss die Angst – auf Zellebene). So mag sich jemand extrem vor Spinnen fürchten oder hat Höhenangst.

 

Bei Suchtpatienten sind die Auslöser dagegen höchst vielfältig, sodass es nach Spanagels Ansicht schwer sein dürfte, bei der Behandlung alle Eventualitäten abzudecken. So kann ein trockener Alkoholiker, etwa in der Feierlaune beim Fußball doch wieder zur Flasche greifen. Oder ein therapierter Internetsüchtiger kommt nach einer unangenehmen Auseinandersetzung am Arbeitsplatz nach Hause, sieht seinen Computer stehen und spürt plötzlich das Verlangen, in die virtuelle Welt eines Onlinespiels zu flüchten.

 

Der Psychologe und Leiter der Ambulanz für Spielsucht in Mainz Klaus Wölfling untersucht derzeit gemeinsam mit seinen Kollegen den Langzeiterfolg von Verhaltenstherapien bei Internetsüchtigen. „Eine sinnvolle Therapie setzt sich immer aus mehreren Bausteinen zusammen, und die Extinktionstherapie ist einer davon“, sagt er. „Für sich alleine gestellt ist die Methode meiner Ansicht nach nicht effektiv.“ Aber sie könne einen wichtigen Beitrag zum Therapieerfolg leisten.

Vorhersage Therapieerfolg per Hirnscan

„Wir haben immer wieder Patienten, bei denen die Extinktionstherapie nicht hilft“, räumt Psychologe Kirsch ein. „Daher suchen wir nach Methoden, um vorab besser abschätzen zu können, wer von der Behandlung profitiert und wer nicht.“ Auch dafür nutzen die Mannheimer Wissenschaftler bildgebende Verfahren. Sie suchen im Gehirn nach neurobiologischen Mustern, die eine solche Vorhersage erlauben. Noch laufen die Untersuchungen dazu. Aber erste Ergebnisse lassen vermuten: Das Extinktionslernen verspricht bei den Patienten die größten Erfolge, deren Belohnungssystem stark auf das Lieblingsgetränk oder typische Trinksituationen reagiert.

 

„Ein weiterer entscheidender Faktor könnte sein, wie effektiv die Verbindung des Belohnungssystems zum Frontalhirn ist“, sagt Kirsch. Dieser Bereich des Gehirns spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei der Handlungsplanung sowie bei der Kontrolle von Impulsen und Emotionen. „Ist das Frontalhirn wach genug, behält es die Oberhand über das Belohnungssystem und den Impuls zu trinken“, erklärt Kirsch. „Dann fällt es einem trockenen Alkoholiker nach der Therapie leichter, sein Trinkverhalten zu kontrollieren.“ Er ist überzeugt, dass die neue Studie einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur individuellen Suchttherapie darstellt. „Unser Ziel ist es, in Zukunft von Anfang an für jeden Patienten die beste Methode auswählen zu können und so die Rückfallgefahr weiter zu mindern.“

zum Weiterlesen:

·       Kiefer F, Dinter C: New Approaches to Addiction Treatment Based on Learning and Memory. Current Topics in Behavioral Neurosciences, 2013, 13, S. 671–684 (zum Abstract).

·       Vollstädt-Klein S et al.: Effects of Cue-Exposure Treatment on Neural Cue Reactivity in Alcohol Dependence: A Randomized Trial. Biological Psychiatry, 2011, 69, S. 1060–1066 (zum Abstract).

·       Vengeliene, V et al.: D-Cycloserine Facilitates Extinction of Conditioned Alcohol-Seeking Behaviour in Rats. Alcohol & Alcoholism, 2008, 43, (6), S. 626–629 (zum Artikel).

Gastbeitrag von: Stefanie Reinberger

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Kommentare: 8
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