„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

James Woodwards Interventionstheorie der Kausalität

James Woodwards Interventionstheorie der Kausalität ist ohne Zweifel die am meisten diskutierte und rezipierte Kausalitätstheorie der letzten Jahrzehnte.

Sie besagt, dass ein Ereignis des Typs U eine Ursache eines Ereignisses des Typs W ist, gdw. gilt: Wenn ein Ereignis des Typs U durch Intervention herbeigeführt werden würde, dann würde auch ein Ereignis des Typs W herbeigeführt werden.

Ein typisches Kausalmodell, auf das Woodward in seiner Theoie zurückgreift.
Ein typisches Kausalmodell, auf das Woodward in seiner Theoie zurückgreift.

1. Was ist eine Intervention?

Es soll nun gelten:

  • Variable I repräsentiert eine Intervention.
  • Variable X repräsentiert den Ereignistyp U, der durch die Intervention herbeigeführt wird.
  • Variable Y repräsentiert den Ereignistyp W, der durch U herbeigeführt wird.

Dann lässt sich der Woodwardsche Interventionsbegriff wie folgt definieren:

Eine Intervention liegt vor, wenn die Interventionsvariable I einen bestimmten Wert animmt (I = i[1]). Dabei ist I eine Interventionsvariable bezogen auf die Variable X relativ zur Variablen Y[2], gdw. diese Bedingungen erfüllt sind:

1.    Durch den Wert von I wird das, worauf interveniert wird, also X, vollständig festlegt. I ist die einzige Ursache von X, d.h. abgesehen von dem Wert, den I annimmt, gibt es nichts, das die Werte von X determiniert bzw. bestimmt.

2.    I darf Y nicht direkt verursachen, d.h. nur indirekt über Kausalketten oder kausale Wege, die X beinhalten.

3.    I sollte nicht selbst durch Ursachen verursacht sein, die Y verursachen, ohne einen kausalen Weg durch X zu nehmen.

4.   I muss probabilistisch unabhängig von anderen Ursachen von Y sein, die nicht auf einem kausalen Weg liegen, der von I über X zu Y führt.[3]

Eine generelle Kausalaussage der Art "U ist die Ursache für W" lässt sich nach Woodward nur dann zuverlässig prüfen, wenn eine Herbeiführung von U qua Intervention auch W herbeiführen würde und die Bedingungen 1 bis 4 erfüllt sind.

1.1. Beispiel

Generelle Kausalaussage K: "Das Verabreichen eines bestimmten Medikamen-tes ist eine Ursache für die Genesung von einer bestimmten Krankheit."[4]

Die Aussage K ist wahr, gdw. gilt: Wenn ein Ereignis des Typs "Patient P bekommt das Medikament verabreicht" durch Intervention herbeigeführt werden würde, dann würde auch ein Ereignis des Typs "Patient P genest" herbeigeführt werden.

Und wenn dabei für die Intervention, die die Verabreichung des Medikamentes bewirkt, die Bedingungen 1. bis 4. gelten. Das kann im Einzelnen bedeuten:

1. Bedingung: Eine hinreichend große Gruppe von Probanden wird in zwei Untergruppen unterteilt. Dann wird auf beide Untergruppen interveniert, d.h. Gruppe 1 bekommt das Medikament und Gruppe 2 ein Placebo. Es wird sicher gestellt, dass beide Probandengruppen keine weiteren Medikamente einnehmen, sich in derselben gesundheitlichen Verfassung befinden usw. usf. D.h. dass es außer der Intervention, die das Verabreichen des Medikamentes bzw. Placebos bewirkt, keinen weiteren kausalen Einflüsse auf die Genesungsprozesse gibt.

2. Bedingung: Die Person, welche die Intervention vollführt, weiß nicht, welcher Gruppe sie das Medikament und welcher Gruppe sie das Placebo gibt. Denn das Wissen könnte ihr Verhalten gegenüber den Gruppen und damit direkt die Genesungsprozesse kausal beeinflussen. D.h. es wird sicher gestellt, dass die Intervention selbst keinen direkten kausalen Einfluss auf die Genesung hat.

3. Bedingung: Der Experimentator darf die Probanden u.a. nicht aufgrund ihrer natürlichen Rekonvaleszenzzeit in die Gruppen einteilen. Denn dann wäre die natürliche Genesungszeit sowohl kausal relevant für die Intervention als auch für die Genesung. Das heißt, es wird sicher gestellt, dass die Intervention und die intendierte Wirkung keine direkten gemeinsamen Ursachen besitzen.

4. Bedingung: Der Experimentator muss vergleichbare Probanden in die Gruppen einteilen. Denn wenn einer Gruppe zum Beispiel mehr Raucher oder alte Leute zugeteilt werden, wirkt sich das auf ihre Rekonvaleszenzzeit aus. D.h. es wird sichergestellt, dass die Intervention probabilistisch unabhängig ist von anderen möglichen Ursachen der intendierten Wirkung.

Wenn die Bedingungen 1. bis 4. erfüllt sind, haben wir es laut Woodward mit einer "idealen Experimentsituation" zu tun. Nur in dieser kann die Kausalaussage "das Medikament heilt die Krankheit" überprüft werden!

2. Diskussion

2.1. Die offene Frage

Woodward gibt also Wahrheitsbedingungen für generelle Kausalaussagen an.

Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze Wahrheitsbedingungen für Aussagen anzugeben, die unterschiedlich informativ sind. Z.B. können wir die Wahrheit-sbedingungen der Aussage A "Das Wasser im Glas ist 40°C warm" so angeben:

1. Die Aussage A ist wahr, gdw. das Wasser im Glas 40°C warm ist.

2. Die Aussage A ist wahr, gdw. in einem idealen Experiment ein Messinstrument im besagten Glas 40°C angibt.

3. Die Aussage A ist wahr, gdw. die mittlere kinetische Energie der Wassermoleküle im Glas den Wert E* hat.

Woodard verfolgt offensichtlich den zweiten Ansatz, seine Hauptthese lautet:

2*. Eine Kausalaussage der Art "U ist die Ursache für W" ist wahr, gdw. in einem idealen Experiment eine Intervention, die den Ereignistyp U hervorbringen würde, auch den Ereignistyp W hervorbringen würde.

Bei diesem Ansatz bleibt aber die ontologische Frage offenwas eigentlich gemessen wird. Entsprechend repräsentieren die von Woodward verwendeten Modelle nur Kausalbeziehungen, ohne aber zu klären, worin diese bestehen.

Es ist daher irreführend, dass Woodward seine Theorie als "Kausalitätstheorie" bezeichnet. Denn Kausalitätstheorien wollen traditionell explizieren, worin diese Kausalbeziehung besteht. Ebenso ist es irreführend, dass Woodward seine Theorie als Alternative zur Prozesstheorie anbietet, die klar ontologisch motiviert ist. 

Für Jemanden, der wissen möchte, was Kausalität ist, bleibt Woodwards Interventionstheorie somit auf jeden Fall unbefriedigend!

2.2. Extensionale Angemessenheit

Jedoch scheint Woodwards Interventionstheorie extensional sehr angemessen  zu sein. Das zeigen insbesondere diese beiden vertrackten Fälle von Kausalität:

1. Frustrierte Kausalität.

2. Negative Kausalität.

Die Regularitätstheorie und die kontrafaktische Theorie verwenden jeweils Kausalbegriffe, unter deren Extension Fälle von frustrierter Kausalität nicht fallen. Die Transfertheorie hat dasselbe Problem mit Fällen von negativer Kausalität.

Die Interventionstheorie bietet uns nun einen Kausalbegriff, unter dessen Extension Fälle von frustrierter Kausalität und Negativer Kausalität fallen. Und Fälle von nicht-kausalen, z.B. epiphänomenalen Zusammenhängen nicht fallen.

Insofern ist sie extensional angemessener als ihre wichtigsten Vorgängertheorien.

Fußnoten

[1] Im späteren Beispiel kann die Interventionsvaribale zwei Werte annehmen: 

i = 1 für Verabreichen des Medikaments und i = 2 für Verabreichen des Placebos.

[2] Eine Intervention auf eine Variable X ist also immer nur relativ zu einer weiteren Variablen Y bestimmt. In unserem Beispiel ist die Intervention auf die Medikamenteinnnahme relativ zur Gesundung bestimmt. Denn bei Woodward ist der Interventionsbegriff gerade definiert im Hinblick auf die Frage, ob eine Variable X Ursache für eine andere Variable Y ist.

[3] Vergleich: James Woodward: Causation with a Human Face (2007), S. 75.

[4] James Woodward: Making Things Happen (2003), S. 95 - 98.

Siehe auch

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