„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Das Argument der offenen Frage

Das Argument der offenen Frage ist ein Argument für einen einen nicht-naturalistischen Realismus in der Metaethik des Philosophen George E. Moore.

1. Einführung

Eine Frage ist geschlossen, gdw. ihre Antwort durch die bei ihrer Formulierung verwendeten Begriffe bestimmt wird. Z.B "Sind alle Junggesellen unverheiratet?"

Eine Frage ist offen, gdw. ihre Antwort nicht durch die bei ihrer Formulierung verwendeten Begriffe bestimmt wird. Z.B. "Ist Frank Thompson am Strand?"

Wenn die Frage "ist ein X ein Y?" offen ist, dann ist X nicht als Y definiert.

Das Argument der offenen Frage besagt, dass jeder Versuch, das moralische Prädikat "gut" durch andere Prädikate zu definieren zu offenen Fragen führt.

Beispiel:

Utilitarismus: "Wenn ich hilflosen Menschen helfe, dann lindert das Leid und steigert Glück, aber ist diese Handlung auch gut?"

Deontologie: "Wenn ich nicht lüge, dann ist das eine Maxime, von der ich auch wollen kann, dass sie allgemeines Gesetz wird, aber ist das auch gut?"

Abrahamismus: "Wenn ich mich an die 10 Gebote halte, dann ist das im Sinne Gottes, aber ist das auch gut?" Das sind alles vernünftige, offene Fragen.

Also: Wenn man versucht, das Prädikat "gut" durch ein anderes (natürliches oder nicht natürliches) Prädikat zu definieren, begeht man nach Moore einen naturalistischen Fehlschluss. Denn die Eigenschaft "gut" ist irreduzibel.

Moore lehnt die Fakt-Wert-Distinktion ab. Werte sind für ihn auch Fakten. Wir können moralische Fakten durch unsere Intuitionen erkennen (Intuitionismus).

2. Kritik

2.1. Hidden assumption

Das Argument von Moore beruht auf einer versteckten Annnahme A2:

A1. Für jede Definition "D" hat "Gut" eine andere Bedeutung als "D".

A2. Wenn zwei sprachliche Ausdrücke intensional verschieden sind, dann sind auch extensional verschieden.

K1. "Gut" referiert nicht auf dieselbe Eigenschaft wie "D".

K2. "Gut" ist eine irreduzible, nicht-natürliche Eigenschaft.

Aber: A2 ist falsch. Die beiden Begriffe "Morgenstern" und "Abendstern" sind zum Beispiel intensional verschieden, aber referieren beide auf die Venus.

2.2. Non Sequitur

Das Argument von Moore ist ein Non Sequitur. Das heißt, selbst wenn die Annahmen A1 und A2 wahr wären, würde daraus nicht die Konklusion K2 folgen.

Denn es gibt eigentlich drei Optionen:

1. "Gut" ist nicht-analysierbar. (Moore's Position)
2. "Gut" ist analysierbar.
3. "Gut" hat keine wörtliche Bedeutung.

Moores möchte für die Option 1. argumentieren. Sein Argument richtet sich aber nur gegen 2., nicht aber gegen 3. Der Emotivist etwa glaubt, dass moralische Urteile emotionale Einstellungen ausdrücken, ihn lässt Moores Argument kalt.

2.3. Inflation problem

Das Argument von Moore kann auf viele andere, philosophisch interessante,  konzeptuelle Analysen angewandt werden. Hier sind zwei Beispiele:

Beispiel 1: John Locke hat persönliche Identität als psychologische Kontinuität analysiert. Aber "John im Jahre 1640 hat psychologische Identität mit John im Jahre 1680, aber sind die beiden persönlich identisch?" ist eine offene Frage.

Beispiel 2: Platon hat Wissen als gerechtfertigte, wahre Meinung analysiert. Aber "Platon hat die gwÜ., dass p, aber weiß Platon, dass p?" ist eine offene Frage.

Ich vermute, dass jede Analyse eines philosophisch interessanten Konzepts offene Fragen aufwirft. Wenn die Frage "Ist X D?" geschlossen ist wie "John ist ein Junggeselle, aber ist er ein unverheirateter Mann?", dann wird die Analyse von X in Bezug auf Y eine Wörterbuchdefinition und philosophisch nicht interessant sein.

Moore steht hier vor einem Dilemma:

Entweder das AOF zeigt nicht, dass "gut" nicht analysierbar ist.

Oder das AOF zeigt, dass konzeptuelle Analysen allgemein unfruchtbar sind.

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Blogreihe: Metaethik

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