„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Die Charakterisierung wissenschaftlichen Fortschritts im Falsifikationismus

Der iterative Prozess empirisch-wissenschaftlicher Progression kann gemäß dem Falsifikationismus vereinfacht wie folgt charakterisiert werden. 

1. Vermutung

Zu Beginn wird eine Theorie in Form einer spekulativen Hypothese aufgestellt. Eine solche Theorie muss zunächst mehrere Kriterien erfüllen, um experimentelle Aufmerksamkeit zu erfahren. Sie darf älteren, unfalsifizierten Theorien bezüglich ihres Erklärungspotentials nicht nachhängen, ansonsten wäre sie überflüssig. Darüber hinaus soll die Theorie einen wissenschaftlich bisher nicht oder nicht hinlänglich erklärbaren Sachverhalt adäquat beschreiben können, alten Theorien also etwas in Präzision oder Umfang voraushaben. Treffen beide Punkte auf die neue Theorie zu, hat sie den alten etwas voraus und damit das Potential diese abzulösen. Beide Kriterien sind aber nur notwendig, nicht hinreichend. Dass beide Kriterien nicht hinreichend sind, lässt sich daran zeigen, dass wenn sie es wären, Gott als omnipotenter Weltenlenker die beileibe beste wissenschaftliche Theorie wäre.

2. Überprüfung

Die Theorie, dass Allah sowieso für alles verantwortlich sei, egal was geschehe, kennt keinen logisch möglichen Zustand, der dieser Theorie widersprechen würde. Es kann so sein, dass der muslimische Gott alles im ganzen Universum lenkt, es kann aber auch genauso gut nicht sein. Ebenso gut könnte es ja auch der christliche Gott oder das fliegende Spaghettimonster sein. Empirisch-wissenschaftlich ist ein solches Postulat uninteressant.

 

Aus einer Theorie mit naturwissenschaftlichem Anspruch müssen also empirisch falsifizierbare Voraussagen deduktiv abgeleitet werden können, damit sie überlebensfähig ist. Dies kann im Idealfall ein detaillierter Versuchsaufbau sein, mindestens fallibel und möglichst kühne und neuartige Hypothesen bezüglich dessen Ausgangs sein. Nun werden die Voraussagen einer praktisch-kritischen Überprüfung unterzogen. Bedeutet, das Experiment wird beispielsweise durchgeführt und die Richtigkeit der getroffenen Voraussage untersucht.

3. Bewährung

Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten bezüglich des Ausgangs eines Experiments. Entweder die Voraussage bewährt sich oder wird falsifiziert. Falls eine Voraussage falsch war, ist es nach dem ursprünglichen Falsifikationismus auch die komplette Theorie. Stehen die Messergebnisse jedoch in Übereinstimmung mit den Voraussagen, ist die Theorie zumindest damit zumindest nicht falsifiziert worden – sie gilt vorerst als bewährt.

4. Fortschritt

Hypothesen werden falsifiziert, oder sie bewähren sich.

Hält eine Hypothese den kritischen Tests stand, gilt sie als bewährt. Bewährte Hypothesen sind bedeutsam, da in ihnen eine Verbesserung zur ursprünglichen, gescheiterten Theorie deutlich wird.

Bewährte Theorien ersetzen falsifizierte, weil sie glaubwürdiger sind. Der Mehrwert einer neuen gegenüber der alten Theorie bildet einen wissenschaftlichen Fortschritt. Der historische Kontext spielt hierbei eine bedeutende Rolle.

Nach ihrer Bewährung wird eine Hypothese einer Vielzahl immer noch rigoroseren Untersuchungen unterzogen. Bleibt die Hypothese eine Zeit lang trotzdem unwiderlegt, fasst man sie präziser bzw. allgemeiner („besser“) und erhöht damit ihre Falsifizierbarkeit. Bis auch sie eines Tages einem Problem erliegt und endgültig falsifiziert wird.

Falsifizierte Hypothesen werden verworfen. Es gilt daraufhin wieder eine neue Theorie zu suchen, die der alten überlegen ist indem sie u.a. deren Falsifikationsgrund widersteht. Erneut wurde nun durch die Korrektur eines theoretischen Fehlers anhand einer besseren Theorie ein wissenschaftlicher Fortschritt vollbracht. Da die neue Theorie gegenüber der alten eine „Obermenge“ darstellt - die bessere Theorie überlebt zwischenzeitlich. Irgendwann gerät aber auch sie vor ihr letztes Hindernis, womit sie idealerweise aber ein Stück weiter gegenüber dem Ursprungsort, der Falsifkation der alten Theorie, ihr Ende findet. Usw.

#trial & error.

Und so weiter. ad infinitum. Der hier charakterisierte Prozess durch Versuch und Irrtum ist akkumulativ. Man weiß also nie, wann er zu Ende ist. Auch eine noch so bewährte Theorie kann sich nämlich morgen schon als falsch herausstellen. Das Einzige, was man sagen kann: Die aktuelle Theorie ist der alten in dem Sinne überlegen, dass sie der Überprüfung standgehalten hat, durch die die vorherige falsifiziert wurde. Von Wahrheit aber wissen Physik, empirische Soziologie & Co nichts zu sagen.

„Wir irren uns empor.“ Harald Lesch

5. Verweise

  • Empirismus vs. Rationalismus: Den Vorwurf, dass bei Schritt 1 doch eigentlich die Empirie das Primat über die Ratio habe (da eine Vermutung der Wahrnehmung entspränge), bestreiten Falsifikationisten vehement.

 

  • Fallibilismus: Popper war Fallibilist, d.h. er ging von einer grundsätzlichen Fehlbarkeit des Menschen aus.

 

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