„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Die Ausgleichstheodizee

Die Ausgleichs-Theodizee bestreitet das Theodizeeproblem weder inhaltlich, noch formal, argumentiert aber, dass das endliche Leid auf Erden durch die ewige Erfahrung eines vollkommen guten Himmels nichtig ist, oder zumindest "ausgeglichen", wird. Ein bekannter Vertreter einer dieser Auffassung war der Philosoph David Hume.[1]

„[…] Was wir in der gegenwärtigen Zeit noch leiden müssen,

fällt überhaupt nicht ins Gewicht im Vergleich mit der Herrlichkeit,

die Gott uns zugedacht hat und die er in der Zukunft offenbar machen wird.“

- Römer 8, 18

Kritik

(1) Dieses Argument steht und fällt mit seiner impliziten Prämisse: Die reale Existenz eines Jenseits. Diese Prämisse ist empirisch unbegründet und muss ad-hoc getroffen werden. Selbst in den heiligen Schriften finden sich unterschiedliche Vorstellungen von der Existenz und Ausgestaltung eines Jenseits[2].

(2) Gehen wir jedoch davon aus, die Vorstellung vom Himmel als Ort höchster Glücksseligkeit träfe zu. Dann kommen, laut Jesus[3] selbst, nur Christen in diesen Himmel. Da ein Großteil der Menschheit jedoch nicht-christlich ist, funktioniert das Argument auch nur für einen Bruchteil aller Menschen. Selbst wenn man also die Gültigkeit des Argumentes akzeptiert, stellt sich immer noch die Frage, warum Gott Millionen Nicht-Christen Leid erfahren lässt, wenn er dieses doch nie durch den Einzug in den Himmel wiedergutmachen wird.

(3) Das Argument ist bereits an sich fragwürdig. Sagt uns unsere moralische Intuition doch eindeutig, dass eine moralische Untat nicht durch eine spätere, moralisch gute Handlung kompensiert werden kann. Wenn ich beispielsweise ein Kind schupse, ist das moralisch verkehrt, auch dann, wenn ich ihm danach ein Eis kaufe. Auch vor Gericht kann ein Verbrechen nicht durch eine andere, nicht-justiziable Tat aufgewogen werden. Wir sehen: Wenn wir menschliche Maßstäbe an das Handeln Gottes anlegen, so kann dieses nicht gerechtfertigt werden, auch nicht durch das Versprechen, dass er manche von uns posthum zu einem besseren Ort holen wird. Wenn Gott beispielsweise tagtäglich tatenlos zusieht, wie rund um den Globus Menschen sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind, dann ist das nach unserem moralischen Empfinden und nach unserer menschlichen Rechtsprechung zumindest unterlassene Hilfeleistung und moralisch höchst beanstandenswert. Da Gott für sich selbst aber beansprucht, allgütig zu sein, ist es angemessen, an ihn mindestens so hohe Ansprüche zu stellen, wie an uns selbst, und als zusätzlich allmächtiger Gott, der wortwörtlich nur einmal mit dem Finger schnipsen müsste, um jeden Missbrauch ein für alle Mal zu beenden, könnte er vor einem irdischen Gericht auch nicht auf milderen Umstände plädieren. Sein Verhalten bedarf folglich nach wie vor einer Rechtfertigung.

Einzelnachweise

[1] David Hume: Dialoge über natürliche Religion (Stuttgart 1981), S. 101

[2] Gerhard Streminger: Gottes Güte und die Übel der Welt: Das Theodizeeproblem (1992), ab S. 299

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Kommentare: 3
  • #3

    tsSLAueP (Mittwoch, 15 November 2023 17:30)

    1

  • #2

    WissensWert (Mittwoch, 11 Januar 2017 04:09)

    Dann gibt es noch ein sehr eigenartiges moralisches Argument, nämlich die Behauptung, die Existenz Gottes sei nötig, um Gerechtigkeit in diese Welt zu bringen. In dem Teil des Universums, den wir kennen, herrscht große Ungerechtigkeit. Oft leiden die Guten, während es den Schlechten wohl ergeht, und es ist schwer zu sagen, was ärgerlicher ist. Wenn jedoch im Universum als Ganzem Gerechtigkeit herrschen soll, muss man annehmen, dass ein zukünftiges Leben den Ausgleich zum irdischen Leben herstellen wird. So wird also behauptet, es müsse einen Gott geben und es müsse Himmel und Hölle geben, damit auf die Dauer Gerechtigkeit herrschen könne.

    Das ist ein sehr merkwürdiges Argument. Wollte man die Angelegenheit vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachten, so müsste man sagen: "Schließlich kenne ich nur diese Welt. Ich weiß nicht, wie das übrige Universum beschaffen ist, aber soweit man überhaupt mit der Wahrscheinlichkeit argumentieren kann, muss man annehmen, dass diese Welt ein gutes Beispiel für das Universum ist, und dass, wenn es hier Ungerechtigkeit gibt, sie höchstwahrscheinlich auch anderswo vorhanden sein wird."

    Nehmen wir an, Sie bekommen eine Kiste Orangen und beim Öffnen stellen Sie fest, dass die ganze oberste Lage Orangen verdorben ist. Sie würden daraus nicht schließen: "Die unteren müssen dafür gut sein, damit es sich ausgleicht." Sie würden vielmehr sagen: "Wahrscheinlich ist die ganze Kiste verdorben." Und so würde auch ein wissenschaftlich denkender Mensch das Universum beurteilen. Er würde sagen: "Hier in dieser Welt finden wir sehr viel Ungerechtigkeit, und das ist ein Grund anzunehmen, dass nicht Gerechtigkeit die Welt regiert; es liefert uns ein moralisches Argument gegen Gott und nicht für Gott."

    Natürlich weiß ich, dass nicht solche verstandesmäßigen Argumente, wie ich sie Ihnen dargelegt habe, die Menschen wirklich bewegen. Was sie dazu bewegt, an Gott zu glauben, ist überhaupt kein verstandesmäßiges Argument. Die meisten Menschen glauben an Gott, weil man es sie von frühester Kindheit an gelehrt hat, und das ist der Hauptgrund. Der zweitstärkste Beweggrund ist wohl der Wunsch nach Sicherheit, nach einer Art Gefühl, dass es einen großen Bruder gibt, der sich um einen kümmert. Das trägt sehr wesentlich dazu bei, das Verlangen der Menschen nach einem Glauben an Gott hervorzurufen.

  • #1

    sapereaudepls (Montag, 29 Dezember 2014 23:42)

    FB-Diskussion zwischen mir und einem Freund:

    Freund: "Sapere aude: Hab gerade mal den artikel zu "die unterlassene Hilfeleistung Gottes gelesen". Autsch. Fand ich echt schlecht recherchiert. Die Kernaussage warum es meid auf der Welt gibt ist das wir in einer kaputten Welt leben weil wir nicht mehr im Paradis sind . Sünde und so .
    Anyway, erzähl mal was dich daran so begeistert"

    Ich: "Mir ist die Bibel, auch die Lehre com Sündenfall, bekannt. Vor 2 Jahren habe ich das Buch komplett gelesen.
    Die Argumentation mit dem "Ausgleich im Paradies" gibt es. Zuerst habe ucv in Tübingen davon gehört, unsere Relilehrerin Frau Grimm hat sie angebracht und wenn du möchtest, finde ich sie bestimmt auch schriftlich.
    Der Sündenfall löst die Theodizee übrigens auch nicht:
    Wenn Jesus am Kreuz sterben musste, weil uns unsere Sünden sonst unweigerlich von Gott trennen, ist er nicht allmächtig. Ein allmächtiger Gott konnte einfach "mit dem Finger schnipsen" und uns unsere Sünden vergeben.
    Falls Jesus nicht leiden musste, ist Gott nicht allgütig. Welch allgütiger Gott fügt seinem Sohn grundlos dermaßen Schmerzen zu?
    ( http://www.sapereaudepls.de/2014/05/02/theodizee-jesukreuzestod/ )


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