„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Je suis Charlie

Am 7. Januar 2015 stürmten zwei maskierte Männer die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und erschossen mit Sturmgewehren elf Personen. Weitere wurden verletzt. Später sollen sich die Täter zu Al-Qaida im Jemen bekannt haben. Ein Tag später erschoss ein IS-Islamist eine Polizistin und am darauffolgenden Tag vier Juden in einem koscheren Supermarkt. Die Täter hatten sich untereinander abgesprochen und sind mittlerweile alle drei von Sicherheitskräften erschossen worden.

Warum das ganze Massaker? Charlie Hebdo hatte 2006 und 2012 Mohammedkarikaturen abgedruckt. Davon fühlten sich die Muslime in ihren religiösen Gefühlen beleidigt und griffen zur Waffe. Kein normaler Mensch bestreitet, dass diese „Reaktion“ der Deliquenten nicht angemessen war. Aber „ist das Verhalten der Karikaturisten denn nicht auch unangemessen?“, fragte beispielweise ein Kollege auf Facebook. Er selbst ist Christ und der Auffassung, man dürfe keine solchen Witze über Religionen machen.

Tatsächlich haben die Attentate in Paris eine Debatte darüber ausgelöst, ob Blasphemie – Gotteslästerung – strafbar sein soll bzw. BLEIBEN soll. Denn bisher gibt es im Strafgesetzbuch den „Blasphemieparagraphen 160“, der es gesetzlich untersagt, Religionsgemeinschaften zu beleidigen, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird. Der Paragraph soll Religionsgemeinschaften beschützen und wer gegen ihn verstößt, kann dafür bis zu drei Jahre ins Gefängnis wandern.

Was also darf Satire? Wenn Sie mich fragen, ist bereits die Frage falsch gestellt. Weil hier die Zensur schon im Kopf stattfindet. Als dürfte Satire nicht alles. Natürlich darf Satire alles, außer sterben!

Die Karikaturen sind nicht nur Provokation, sondern auch ein Zeichen.

Ein Zeichen, dass man auch entgegen Androhungen Gebrauch von seinen Freiheiten machen wird: „Wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen!“

Ein Zeichen - von Freiheit. Dieses ist dann tatsächlich manchmal Selbstzweck, provozieren, weil man es darf.

Hier haben wir es mit einer besonderen Art der Provokationen zu tun: Blasphemische Provokationen. Blasphemie hinterfragt Dogmen und testet religiöse Toleranz. Und Dogmen sind, egal in welcher Form, die Feinde der Freiheit.

Freiheit bedeutet auch, dass Religionen diskutiert und durch den Kakao gezogen werden dürfen. Die freie Meinungsäußerung, man muss den Inhalt nicht immer mögen, ist formell eine große kulturelle Errungenschaft. Genauso wie Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit..
Entgegen der Beteuerungen christlicher Kirchen wurden diese Werte der Aufklärung übrigens nicht von - sondern GEGEN die Kirchen durchgesetzt.

Wir haben gesagt, dass Satire alles darf. Eine andere Frage ist es, ob Satire auch alles sollte. Mit gutem Grund kann man die Karikaturen anstößig, geschmackslos, plump finden und gegenargumentieren, verurteilen..: Ja, man kann sagen, man soll so etwas nicht abdrucken, aber nicht, dass man so etwas nicht zeigen darf.

„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben

dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“

Evelyn Beatrice Hall

In unserer Gesellschaft, muss man das ertragen, wenn u.a. über Religion gespottet wird. Von gutheißen hat niemand was gesagt. Tolerieren, ob man es akzeptiert, bleibt jedem selbst überlassen.

Diese Freiheit sollten wir uns nicht nehmen lassen. Auch dann nicht, wenn es manchmal weh tut. Oder?

Tatsächlich konfrontiert uns der Anschlag aber auch mit einem Wertekonflikt. Wenn Satire alles darf, auch Religionen attackieren, greift sie für viele Gläubige ihre Religionsfreiheit an. Es steht also Meinungsfreiheit gegen Religionsfreiheit. Was wiegt schwerer? Darauf kann es keine endgültige Antwort geben, weil Werte eben Werte und keine logisch hergeleiteten Konstrukte sind.

Zwei Gedanken möchte ich Ihnen auf den Weg geben, falls Ihre Wertevorstellung noch nicht zementiert ist: Wenn Sie meinen, Menschen DÜRFEN sich nicht über Religion lustig machen, stehen Sie mit den Attentätern auf einer Position. Nur eure Bereitschaft, Leute für die eigene Sache hinzurichten ist unterschiedlich. Und wer aus Angst keine weiteren Karikaturen veröffentlichen möchte, zeigt den Terroristen, dass sie uns mit Angst und Gewalt manipulieren können. Sie hätten exakt das erreicht, was sie wollten. Denn ihr Ziel waren doch nicht ein paar Zeichner, das Ganze war vielmehr eine Art Symbolakt.

Wenn wir aber keine Toleranz gegenüber den Intoleranten zeigen. Wenn wir Dinge machen, weil wir unsere Freiheit demonstrieren wollen und obwohl wir Angst dann haben müssen, dann sind wir vielleicht wirklich auch ein Stückchen Charlie Hebdo.

zum vorherigen Blogeintrag                                                                         zum nächsten Blogeintrag 

 

Liste aller bisherigen Blogeinträge

Kommentare: 8
  • #8

    tsSLAueP (Mittwoch, 15 November 2023 17:03)

    1

  • #7

    WissensWert (Samstag, 04 Februar 2017 05:08)

    Pray for Berlin!?

    Nach furchtbaren Unglücken, terroristischen Anschlägen und Naturkatastrophen gibt es meistens massenhaft Bekundungen im Internet, das eigene Beileid durch Gebete äußern zu wollen. Oft werden sogar Gottesdienste gehalten, an denen meist auch die staatlich-politische Prominenz partizipiert.

    Die dahintersteckende absurd-erniedrigende Psychologie scheinen viele gar nicht zu erkennen: Wenn Gott allmächtig ist und für alles auf der Welt indirekt oder direkt verantwortlich ist, ist auch alles Leid auf Gott zurückzuführen. Man dient sich in den Gottesdiensten und Gebeten kurz nach den Unglücken demselben Gott an, der für all die Gräuel auf der Welt zuständig ist („Geschieht ein Unglück in einer Stadt, ohne dass der Herr es bewirkt hat?“ Am. 3;6). Noch obskurer wird es, wenn das Leid auf das direkte Wort Gottes zurückzuführen ist. Dieses ist in den „heiligen Büchern“ manifestiert, die als Legitimationsgrundlage für Mordanschläge, Hass gegen Homosexuelle uvm. herhalten können.

    Das Beten danach gleicht der Strategie, einem allmächtigen Herrscher zu schmeicheln, damit er nicht noch mehr Unheil auf den Geschlagenen kommen lässt. Gott dann auch noch als weise, treusorgend, unendlich liebevoll und gütig zu preisen, ist an Perversität nicht zu überbieten.

    Wenn die Tat in Berlin tatsächlich islamistisch motiviert war, und dafür spricht vieles, kommen wir dem Problem nicht mit noch mehr Religion bei.

    Was wir außerdem auf jeden Fall NICHT brauchen, erfahrungsgemäß jetzt aber passieren wird:

    1. Die Instrumentalisierung dieser Tat durch Rechte, um gegen alle Muslime zu hetzen und die überwiegend muslimischen Flüchtlinge als Feinde „unserer“ Gesellschaft zu kompromittieren. Denn die Spaltung der Gesellschaft ist das eigentlich geplante Ziel der Islamisten, die den heiligen Krieg zwischen Gläubigen und Ungläubigen in die ganze Welt tragen wollen.

    2. Eine unkritische Zurückweisung der Tat als unislamisch („Islamismus hat nichts mit dem Islam zu tun.“). Nur, wenn wir die menschenrechts-, freiheits- und demokratiefeindlichen Teile des Islam benennen, können wir sie aktiv bekämpfen.

  • #6

    WissensWert (Montag, 04 Juli 2016 03:39)

    http://gottunddiewelt.net/2015/11/28/reaktionen-auf-die-terroranschlaege-in-paris/

  • #5

    WissensWert (Freitag, 03 Juni 2016 23:15)

    People said, let's pray for Paris.

    Pray to who?

    to the god who encouraged it?
    or
    to the one who failed to stop it?

  • #4

    WissensWert (Sonntag, 29 Mai 2016 04:06)

    https://youtu.be/BKYDci6-sbI

  • #3

    Seelenlachen (Donnerstag, 16 April 2015 00:46)

    @TheTheologe

    Deine Ausführungen halte ich - gelinde gesagt - für Schwachsinn. Zeig mir, wenn ich falsch liege.

    Im Eintrag habe ich schon gesagt:
    "Die freie Meinungsäußerung, man muss den Inhalt nicht immer mögen, ist formell eine große kulturelle Errungenschaft. Genauso wie Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit..
    Entgegen der Beteuerungen christlicher Kirchen wurden diese Werte der Aufklärung übrigens nicht von - sondern GEGEN die Kirchen durchgesetzt."

    Unser Wertesystem ist NICHT christlich.
    Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bspw. sind kein Bestandteil der christlichen Lehre. Und "Moral" ("Nächstenliebe") ist auch keine Erfindung der Christen, wie sie so gerne tun, sondern ist menschlich. Schon die Höhlenmenschen waren empathisch und somit fähig zur Moral. Die alten Griechen hatten schon wesentlich ausgekügeltere und differenzierte Moralen, was man in der Bibel liest (ich habe sie gelesen) findet man vom Sinn her auch in jedemm bessere Lebensratgeber.

  • #2

    TheTheologe (Mittwoch, 15 April 2015 22:18)

    Das westliche Wertesystem ist ein christliches, entgegen deiner Behauptung.
    Und es wird anderswo - z.B. in den USA noch besser praktiziert als hierzulande.

  • #1

    sapereaudepls (Montag, 19 Januar 2015 15:01)

    Unterhaltung zwischen Sven (Theologe) und mir bzgl. dieses Textes:

    SVEN:
    find ich gut - jedoch war mein Problem net die Islamisierung sondern das was charlie hebdo unter meinungsfreiheit versteht - nämlich unverantwortlich und auf pubertäre art und weise religionen durch den dreck zu ziehen...


    ICH
    geschmacksvoll finde ich es auch nicht. Vielleicht solte man es nicht machen, aber ich meine man sollte es dürfen. Wie siehst du das?

    SVEN
    klares nein - find ich auch gut, dass es zumindest in deutschland so einen blasphemie paragraphen gibt ich mein warum sollte man das dürfen anderen leuten dermaßen eins auf den deckel zu geben...

    ICH
    Weil wir ein freies Land sind. Menschen zu verbieten, über Dinge zu lachen, ist der Anfang vom Faschismus.

    SVEN
    des hat weder mit lachen noch mit faschismus zu tun sondern greift die menschliche würde an - und der paragraph ist Gesetz freiheit hat da seine grenze wo die würde des anderen verletzt wird...

    ICH
    Also auch keine Blondinenwitze, die greifen auch eine Menschengruppe an.
    Wo, und vor wodurch begründet, möchtest du hier die Grenze ziehen? Sollte man Komödien, in denen sich über Schwarzhäutige lustig gemacht wird, auch verbieten?
    Und doch, das verbieten von Zeitungen und Witzen war geschichtlich schon immer der Anfang vom Faschismus.


Impressum | Datenschutz | Cookie-Richtlinie | Sitemap
Diese Website darf gerne zitiert werden, für die Weiterverwendung ganzer Texte bitte ich jedoch um kurze Rücksprache.