„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Die "Feinabstimmung der Naturkonstanten"

Zum Thema „Feinabstimmung der Naturkonstanten?“ konnte ich gleich zwei großartige Gastautoren gewinnen. Der erste ist Martin Neukamm und sein Aufsatz ist Teil seiner größeren, kritischen und unheimlich guten Analyse des religiös motivierten Buches „Welt ohne Gott“. Der zweite Gastbeitrag stammt genuin aus der Feder des Physikers Victor J. Stenger, er wurde von Marc Schröpfer und Eliz Matez ins Deutsche übersetzt und in seiner deutschen Fassung erstmalig auf der Website "RichardDawkins.net" publiziert. Im Gegenzug habe ich auch einen meiner Texte der Stiftung des großartigen R. Dawkins zur Verfügung stellen dürfen.

Es ist kein Versehen, dass ich ausgerechnet diese beiden Texte publiziere. Sie haben mir unter allem, was ich zu dem Thema gelesen habe, besonders gut gefallen und ich habe bewusst diese beiden Autoren angeschrieben und um ihre Gastbeiträge gebeten. Und auch wenn sich die beiden Texte hinsichtlich ihrer Ausgestaltung gewiss unterscheiden, sind die hinter ihnen intendierten Zwecke wieder identisch: Eine fundierte Replik auf pseudowissenschaftliche Naturalismuskritik zu liefern. Was ihnen gelungen ist - aber lest selbst:

In seinem Buch Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus setzt sich der Diplomchemiker und evangelikale Christ Markus WIDENMEYER mit der "Ordnung" in der Natur auseinander und entwickelt daraus Argumente gegen den (ontologischen) Naturalismus der Naturwissenschaften. Er vertritt sogar den Anspruch, den Naturalismus widerlegt zu haben (z.B. S. 10) und betrachtet den Schluss auf einen göttlichen Ursprung der Welt als Schluss auf die beste Erklärung. Im vorliegenden 3. Teil unserer Buchbesprechung widmen wir uns dem Argument der so genannten Feinabstimmung der Naturkonstanten, die notwendig zu sein scheint, um die Entstehung von Leben im Kosmos zu ermöglichen.

Das Argument der "zweckmäßig" eingerichteten kosmischen Ordnung 

WIDENMEYER (2014) setzt voraus, dass nur bestimmtea priori sehr unwahrscheinliche kosmische Randbedingungen (die sich wiederum durch bestimmte Naturkonstanten und Naturgesetze ausdrücken lassen) Leben ermöglichen. Folglich brauche es einen Schöpfer, der diese hoch geordneten, zweckmäßigen Bedingungen (oder, wie viele sagen, dieFeinabstimmung der Naturkonstanten) sowie das "komplexe Gerüst an physikalischen Naturgesetzen" hervorgebracht habe. In WIDENMEYERs Buch fällt der Begriff Feinabstimmung (engl. fine-tuning) nicht explizit, aber das Argument lässt sich dort erschließen, wo auf die spezifisch "eingerichtete" Ordnung des Universums, die Leben überhaupt erst ermögliche, Bezug genommen wird: 

"Wir finden ein Universum vor, das in einem unvorstellbaren Grad geordnet und dabei ganz genau so eingerichtet ist, dass es eine hochkomplexe Chemie bis hin zu biologischem Leben geben kann. Seine Ordnung gehorcht mathematischen Prinzipien, die der menschliche Geist unabhängig von Beobachtungen des Universums erfassen kann. Im Rahmen des Naturalismus wäre diese Ordnung ein radikal unerklärlicher Zufall mit einer unvorstellbar geringen Wahrscheinlichkeit. Hier wäre ein völlig ungeordnetes und chaotisches Universum zu erwarten – oder eigentlich viel eher gar nichts." (ebd., 195)

"Die einzige funktionierende Erklärung für die unvorstellbare Ordnung einer Welt, die ganz exakt so eingerichtet ist, dass es eine hochkomplexe Chemie, mathematisch formulierbare Strukturen und schließlich Lebewesen geben kann, ist analog dazu [zu menschlicher Kreativität; M.N.] die kreative Konzeption und Erschaffung durch (mindestens) ein äußerst intelligentes Wesen, das auch die Macht besitzt, derartige Pläne zu realisieren. Nur so sind die gigantische Ordnung der physikalischen Welt und ihre mathematische, rationale Verstehbarkeit erklärbar. Eine andere rationale Erklärung gibt es nicht." (ebd., 198). 

Einwand 1: Die Begrifflichkeiten setzen das zu Beweisende voraus

Zunächst einmal ist es hochproblematisch, von einer eingerichteten Ordnung der Welt zu sprechen, weil damit ein teleologischer Begriff auf die Natur übertragen wird, der schon voraussetzt, was belegt werden soll. Auch der BegriffFeinabstimmung ist kein physikalischer, sondern ein technologischer Ausdruck, der das zu Beweisende voraussetzt. Sofern der Ausdruck metaphorisch benutzt wird, ist die Redeweise unbedenklich, doch WIDENMEYER entwickelt daraus ein ontologisches Argument. Er erkennt aber nicht den fatalen Begründungszirkel: Eine "Welt, die ganz exakt so eingerichtet ist…", wurde logischerweise eingerichtet (quod erat demonstrandum), aber dass die Welt eingerichtet wurde, das gilt es gerade zu belegen.

Man kann es auch anders formulieren: Alles, was wir wissen, ist, dass wir existieren, weil die Naturgesetze Leben ermöglichen (s. Einwand 4). Die Folgerung, dass die Welt so eingerichtet ist, damit Leben existieren kann, kann dagegen nur als empirisch unbegründete These vorausgesetzt werden (MITTELSTAEDT 2001, 143).

Einwand 2: Fine-tuning stützt nicht den Supranaturalismus

Des Weiteren spricht gegen WIDENMEYERs Argumentation, dass die Annahme eines Schöpfers, der so mächtig ist, dass er das Universum erschaffen konnte, gar kein Fine-tuning erwarten lässt – und dieses somit logischerweise auch nicht erklären kann (SOBER 2003). Hätte ein solcher Schöpfer Leben hervorbringen wollen, hätte er dies nämlich auch tun können, ohne die Naturkonstanten darauf einzustellen: Selbst wenn keine der als feinabgestimmt angenommenen Naturkonstanten die richtigen Werte besäßen, wäre es für ihn möglich, in einem solchen weitestgehend unwirtlichen Kosmos an einigen Stellen die "richtigen" Bedingungen zu erschaffen – d.h. ein "Wunder" geschehen zu lassen, für das es keine Feinabstimmung braucht. Im Umkehrschluss ist die Feinabstimmung somit eher ein Indiz dafür,

"… dass in unserem Universum alles mit rechten Dingen zugeht, dass es also keine übernatürlichen Eingriffe gibt, die auf ein intelligentes, übermächtiges Wesen verweisen" (GEIGER 2007, 4).

Zum Beispiel haben die berühmten Resonanzen zwischen den Atomkernen Helium-4, Beryllium-8 und Kohlenstoff-12 nur in einem evolvierenden Kosmos Sinn, da unter anderen Voraussetzungen Leben auf Kohlenstoffbasis nicht hättenatürlich entstehen können (Abb. 1). Nimmt man dagegen an, Gott habe das Leben durch "sein Wort" erschaffen, braucht es keine Kernresonanzen. Ihr Fehlen wäre geradezu ein Symptom des Scheiterns des Naturalismus! Die Existenz von Leben auf Kohlenstoffbasis könnte in einem solchen Kosmos nur als Wunder bezeichnet werden. Daher stützt Fine-tuning nicht den Supranaturalismus (IKEDA & JEFFERYS 2006).

Abb. 1 Bevor sich im Kosmos Leben bilden konnte, war die Entstehung von Kohlenstoff im Innern von Sternen notwendig. Dazu müssen zwei Helium-Kerne (4He) miteinander zu einem Beryllium-Kern (8Be) verschmelzen und in einem weiteren Schritt ein Beryllium-Kern mit einem Heliumkern zum Kohlenstoff (12C) fusionieren. Das Problem dabei: 8Be ist so instabil, dass es augenblicklich wieder zerfällt und nicht zur Bildung von Kohlenstoff zur Verfügung stehen kann. Das Szenario, dass drei Helium-Kerne gleichzeitig zusammenstoßen, ist wiederum so unwahrscheinlich, dass sich Kohlenstoff nur extrem langsam bildet. Dieses Problem der Beryllium-Barriere wird durch die so genannteTrippel-Resonanz abgemildert: Die Energie zweier 4He-Kerne entspricht fast genau dem Grundzustand von 8Be, und die Energie der beiden Kerne 8Be und 4He entspricht einem Anregungszustand des 12C. Dadurch erhöht sich die Entstehungswahrscheinlichkeit des Kohlenstoffs deutlich. Die Tatsache, dass die Bildung von Kohlenstoff von der Übereinstimmung der Energieniveaus abhängt, wird oft als Beispiel für Feinabstimmung angeführt. Diese hat aber nur in einem evoluierenden Kosmos Sinn; in einer Welt, in der ein Gott Leben erschuf, wäre sie so sinnlos wie unerklärlich.

Das Fine-tuning-Argument ist bestenfalls ein Argument für den so genannten Deismus von Gottfried Wilhelm LEIBNIZ, der behauptet, dass ein Planer den Kosmos so eingerichtet habe, dass sich die Strukturen in ihm von selbst entwickeln (evolvieren). Der Deismus hat mit dem von WIDENMEYER propagierten Supranaturalismus aber nichts zu tun, denn ersterer akzeptiert den weltimmanenten Naturalismus. Die Begründung für einen in der Welt agierenden Gott, gar für eine monotheistisch-abrahamitische Religion, liefert das Fine-tuning-Argument gerade nicht.

Einwand 3: Der überwiegend lebensfeindliche Kosmos spricht gegen eine Feinabstimmung lokaler astronomischer Parameter

Die These, dass die physikalischen Parameter "abgestimmt" sind, um Leben zu ermöglichen, ist auch deshalb nicht plausibel, weil der weitaus größte Teil des Universums keinerlei Leben beherbergen kann. Hier gilt es zwischen zwei Arten der Feinabstimmung zu unterscheiden: Die globalen kosmologischen Randbedingungen, etwa die Stärke der vier Grundkräfte (s. Einwand 6), sowie lokale astronomische Parameter, die es für den Lebenserhalt braucht: ein günstiger Abstand des Planeten zur Sonne, einen Mond, der die Planetenbahn stabilisiert, die Schiefe der Erdachse auf der Ekliptik usw. Betrachtet man solche lokalen Parameterwerte, wird der Fehlschluss auf eine Feinabstimmung offensichtlich: Wer annimmt, ein Demiurg habe die Verhältnisse auf unserem Planeten aufeinander abgestimmt, ist nicht in der Lage, die gigantische kosmische Maschinerie zu erklären, welche die Erde so unbedeutend macht, wie ein Sandkorn in der Wüste.

Weshalb, so fragt SCHMIDT-SALOMON (2005, 5), existiert ein Universum, welches

"…in weiten Teilen keinerlei Leben ermöglicht, wenn es doch eigentlich nur um das Seelenheil jener affenartigen, auf zwei Beinen laufenden Säugetiere geht, die einen winzig kleinen Planeten am Rande der Milchstraße bewohnen? Hätte es für die ihm unterstellten Zwecke nicht völlig genügt, eine kleine Scheibe mit darüber gewölbtem Firmament zu erschaffen – etwa so wie sich die Verfasser des biblischen Schöpfungsmythos die Welt vorstellten?"

Einen lebensspendenden Planeten im Ensemble mit geschätzt 1022 weiteren kosmischen Objekten kann man wahrlich nicht als Beleg für eine Planung anführen. Es ist offensichtlich, dass die Bedingungen auf der Erde nicht mehr sind als ein Glückstreffer in der kosmischen Lotterie, der eine wahrhaft astronomische Anzahl von "Nieten" gegenüber steht. Dieser Befund passt bestens zur naturalistischen Sichtweise. Wie so oft, so stellt das Planmäßigkeitsargument auch hier selektiv den vermeintlichen "Sinn" in der Welt heraus – und übersieht den "Unsinn".

Der Philosophieprofessor Robert Todd CARROLL (2013) stellt fest:

"The sun will be unable to support life on this planet some day. It is already unable to support life on several other planets. What does this fact prove about design? Nothing. The axis of the earth has been different and will be different again. Someday this planet will be uninhabitable. What does that prove about design, intelligent or otherwise? Nothing. We can't deny that if millions of factors did not occur, we wouldn't be here. So what? Many of these factors did not exist in the past and will not exist in the future on this planet. There was a time when there was no life on this planet and there will be a time when no life exists here in the future. There was a time when this planet did not exist and there will be a time in the future when it will not exist. What does that prove about design? Nothing. There are countless planets that exist which do not have the conditions necessary for life. What do they prove about design? Nothing."

Einwand 4: Das "anthropische Prinzip" ist trivial

Es kann nicht überraschen, dass wir uns in einem Kosmos wiederfinden, der Eigenschaften hat, die Leben ermöglichen; man spricht auch von der Trivialität des anthropischen Prinzips: Wenn es sie nicht gäbe, wären wir nicht hier, so dass es auch keinen Grund gibt, sich darüber zu wundern. Dazu der Wissenschaftstheoretiker Bernulf KANITSCHEIDER (2015, 194f):

"Wie geht man nun mit den kontingenten, für uns günstigen astronomischen Randbedingungen der Erde um, die uns das Leben auf diesem Gesteinsplaneten ermöglichen? In diesem Fall wird vermutlich niemand auf den Zufall rekurrieren, sondern auf den versteckten Selektionseffekt, der darin besteht, dass wir als Bewohner dieser Erde auf anderen Planeten mit gänzlich verschiedenen Atmosphären nicht existieren könnten. Nun wissen wir aber, dass es eine Vielzahl von Fixsternen mit eigenen Planetenringen gibt und dass die Zahl der entdeckten Exoplaneten täglich wächst. Deshalb ist es naheliegend, den scheinbaren Zufall, dass wir auf einem lebensfreundlichen Planeten leben, dem Selektionseffekt zuzuschreiben, dass wir nur auf einem solchen Planeten diese Beobachtungen machen. Während der Großteil von Trabanten der Fixsterne ohne Leben auskommen muss, gibt es eine kleine epistemische Untermenge von Wandelsternen, die gerade die richtigen Oberflächenkonfigurationen und chemischen Baustoffe für Leben besitzen, so dass sich erkenntnisfähige Organismen bilden können. 

Diese Gedankenkette kann man auch auf das Universum übertragen, nur mit dem Unterschied, dass anders als die Exoplaneten die anderen Welten [Parallelwelten; M.N.] nicht direkt beobachtet, sondern nur indirekt etwa über die Auswertung des Inflationären Szenariums bestimmt werden können." 

Jener Selektionseffekt, der die passenden lokalen Randbedingungen auf unserer Erde erklären kann, vermag also auch die passenden globalen zu erklären. Zudem ist der Schluss von multiplen Planetensystemen und Galaxien auf die Existenz multipler Universen, deren Gesamtheit man als Multiversum bezeichnet, naheliegender, als WIDENMEYER und seine Gesinnungsgenossen behaupten.

Was hat es mit der Multiversums-Theorie auf sich, und wodurch wird sie gestützt?

Exkurs: Selbstreproduzierende inflationäre Universen

Die Theorie selbstreproduzierender inflationärer Universen stammt von dem Kosmologen Andrei LINDE. Sie ist ein vielversprechender Kandidat zur Erklärung der kosmologischen Randbedingungen. Sie sagt aus, dass unser Kosmos keine einzelne, expandierende Seins-Sphäre ist, sondern ein "selbstgenerierendes Fraktal, aus dem unablässig andere inflationäre Universen sprießen" (LINDE 1995). Inflationär bedeutet, dass sich diese Universen in den ersten Sekundenbruchteilen weitaus rascher (nämlich exponentiell) ausdehnen als danach. So stob unser Universum innerhalb von 10-32 Sekunden um den gewaltigen Faktor von 1050 auseinander und wuchs der Größe subatomarer Partikel auf das Volumen einer Grapefruit an. Nach Ende der inflationären Epoche sollte es den energetischen Grundzustand erreicht haben.

 

Entgegen der populären Auffassung beruht die Multiversums-Theorie nicht auf wilden Ad-hoc-Annahmen, sondern steht auf einem vergleichsweise soliden Fundament. Da ihre Aussagen logisch mit dem inflationären Szenario verknüpft sind, ist sie indirekt prüfbar: Wenn sich bestätigt, dass das Universum eine Epoche exponentieller Ausdehnung erfuhr, wird dadurch auch die Multiversums-Theorie gestützt. Tatsächlich konnten jüngste Auswertungen der Daten des PLANCK-Satelliten über die Beschaffenheit der kosmischen Hintergrundstrahlung das Inflationsmodell eindeutiger bestätigen als zuvor (COWEN & CASTELVECCHI 2014).

 

Zudem ist das inflationäre Szenario unter bestimmten Voraussetzungen aus der Quantenmechanik und Allgemeinen Relativitätstheorie ableitbar. So kann man sich das Vakuum mit bestimmten Quantenfeldern angefüllt vorstellen, etwa mit dem sog. HIGGS-Feld, mit dem ein gleichnamiges Teilchen, das HIGGS-Boson (Abb. 4), verbunden ist. Die Energiedichte des Feldes kann lokal durch Schwankungen (so genannte Quanten-Fluktuationen) immer wieder auf hohe Werte ansteigen. Wird dadurch ein bestimmter Wert überschritten, entsteht ein Zustand, den man als falsches Vakuum bezeichnet, um anzudeuten, dass er nicht von Dauer ist. Berechnungen zeigen, dass ein skalares Feld mit sehr flacher Potenzialkurve (ein so genanntes Inflaton-Feld) im Zustand des falschen Vakuums einen negativen Druck hat. Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie führt dies zu einer abstoßenden Kraft und zu einer exponentiellen Ausdehnung des betreffenden Raumbereichs – zu einem Urknall.

 

Anfangs erfüllte das Inflaton-Feld nur ein unvorstellbar kleines Quantenvolumen, eine Art Spin-Netzwerk oderRaumquant, welches sich nun allerdings rasend schnell bis in kosmische Dimensionen ausdehnt. Bemerkenswerterweise bleibt die Energiedichte des falschen Vakuums dabei konstant; sie "verdünnt" sich durch die Expansion also nicht. Die Gesamtenergie des Volumens steigt sogar exponentiell an und sorgt dafür, dass das HIGGS-Feld im Zustand des falschen Vakuums verharrt.

 

Durch quantenphysikalische Prozesse kommt es aber immer wieder dazu, dass Teilbereiche dieses falschen Vakuums "zerfallen", also die Energieschwelle zum echten Vakuum durchtunneln. Dabei entsteht eine Vakuum-Blase, die rasch keine Verbindung mehr zum sich weiterhin exponentiell ausdehnenden "falschen" Vakuum hat. In einer solchen Blase wird die gewaltige Energie des falschen Vakuums freigesetzt und erfüllt das Universum nahezu homogen mit Strahlung und heißen Teilchen. Der Quantentheorie zufolge ist dies ein unaufhörlicher Prozess; jede Blase (Abb. 2) repräsentiert ein Universum mit individuell verschiedenen Randbedingungen, die vollständig aus dem Zerfall des falschen Vakuums folgen. Wie in einer kosmischen "Lotterie" sollten so auch immer wieder Universen entstehen, in denen Leben möglich ist. 

Abb. 2 Grafische Veranschaulichung der Multiversums-Theorie. Entgegen ihrer Kritiker ist diese Theorie keine wilde Spekulation, sondern theoretisch begründet und empirisch testbar. © fotolia / Jürgen FÄLCHLE.

WIDENMEYER erhebt gegen diese Theorie den Einwand, dass das Multiversum selbst einer Grundordnung aufsäße, die "unendlich unwahrscheinlich" sei:

"Selbst wenn in den verschiedenen Untersystemen des Multiversums unterschiedliche Naturgesetze und Anfangsbedingungen herrschen sollten, müssten sie doch bestimmte Ordnungsmerkmale gemeinsam haben: Sie müssten zumindest in irgendeiner Form eine konkrete, physikalische Realität darstellen und sie müssten den übergeordneten Naturgesetzen des Multiversums folgen. Nun haben wir bereits gesehen, dass eine Vergrößerung realer, geordneter Systeme eine ungefähr exponentielle Zunahme ihrer Ordnung mit sich bringt. Damit sind wir am entscheidenden Punkt: Ein Multiversum, bei dem der Umfang des physikalischen Systems um das fast Unendliche vergrößert wäre, müsste folglich eine so gut wie unendliche Ordnung besitzen. Es wäre [gemäß dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik; M.N.] praktisch unendlich unwahrscheinlich." (ebd., 141)

Den Einwand, dass das Multiversum selbst eine geordnete Struktur besäße, kann man zwar gelten lassen. Eine solche Grundstruktur wäre durch die große vereinheitlichte Theorie (GUT) beschrieben, die per Definition für das gesamte Multiversum gälte. Die Wahrscheinlichkeitsaussage ist jedoch unhaltbar: Wenn es ein Inflaton-Feld gibt, dann ist die Tunnelung (Universen-Bildung) ein in der Summe energetisch und entropisch wahrscheinlicher Vorgang; man muss dabei bedenken, dass sich das Feld nicht im Grundzustand befindet. Darüber hinaus ist es denkbar, dass eine Aufspaltung in Universen so stattfindet, dass viele von ihnen eine andere Zeitrichtung haben. Auch wenn dies Spekulation ist, kann man sagen, dass der 2. Hauptsatz der Thermodynamik nicht einfach auf das Multiversum extrapoliert werden darf. Es ist fraglich, ob das Entropiekonzept in Urknallnähe überhaupt anwendbar ist und worauf genau sich dort ein 2. Hauptsatz der Thermodynamik beziehen würde.

 

Aber woher stammt die gewaltige Energie, die sich in Form von Teilchen und Strahlung in immer neuen Universen materialisiert; wird hier etwa unaufhörlich Materie "aus dem Nichts" geschaffen und gegen den Energieerhaltungssatz verstoßen? Die Antwort lautet: nein. Die Gesamtenergie des falschen Vakuums nimmt zwar mit fortschreitender Ausdehnung immer weiter zu, aber dies ist nur der positive Anteil, den wir in der Materie sehen. "Bezahlt" wird diese Energie durch die abstoßende Kraft des falschen Vakuums, die Materie und Raum gewaltig auseinander treibt. Der Anteil der im Gravitationspotenzial der auseinander stiebenden Materie gespeicherten Energie ist also negativ und gleicht den Anteil der positiven Energie aus. Würden alle Teilchen des Universums an den Ausgangsort ihrer Expansion zurück stürzen, bliebe nichts bestehen bis auf jene Quantenfluktuationen, die das falsche Vakuum hervorgerufen haben. In der Summe besitzen also die Universen Null Energie; ein Indiz dafür, dass das Universum keinen Verursacher brauchte (KRAUSS 2013).[1]
[
[1]Zur Erklärung: Auf Quantenebene gibt es keinen Zeitpfeil und somit auch keine Ursache, die in einer Zeit davorhätte auf das betreffende Quantensystem einwirken können. Quantenereignisse entstehen, metaphorisch gesprochen, "aus dem Nichts" – genauer: aus einer fundamental zeitlosen Welt. Es brauchte daher keinen Gott als "erste Ursache" für die Bildung eines Quantenuniversums oder Multiversums.]

Abb. 3 Die Tatsache, dass das Universum in der Summe eine Energie von Null hat, kann man sich mithilfe eines Arbeiters veranschaulichen, der einen Erdhügel aushebt. Der Aushub repräsentiert die positive Energie des Universums, das zurückgebliebene Loch die negative Energie der Gravitationsfelder. Beide Energieanteile summieren sich zu Null. 

Leider ist die Behauptung, die Multiversums-Theorie würde eine Vervielfältigung der physikalischen Realität behaupten, häufiger zu lesen. Hier wird vorausgesetzt, dass die komplette "physikalische Realität" etwas Kleines, für uns Greifbares sei. Unsere Alltagsintuition, dass sich die Dinge nicht einfach vervielfachen, verleitet fälschlicherweise zu der Annahme, die Multiversums-Theorie sei ontologisch "gefräßig". 

Einwand 5: Die Annahme eines "Planers" ist völlig erfahrungsresistent

Die Gleichsetzung des HIGGS-Feldes mit dem Inflaton-Feld ist derzeit zwar noch spekulativ, aber das inflationäre Szenario ist empirisch gut bestätigt. Es ist somit ein Modell der Erfahrungswissenschaften. Warum also sollte man es zugunsten der erfahrungsresistenten Behauptung, ein Planer habe das Universum passend eingerichtet, aufgeben? Nichts Empirisches spricht für die Planbarkeit von Naturgesetzen, im Gegenteil: Kein noch so intelligenter Planer vermag das gesetzmäßige Verhalten der Dinge zu ändern, sich beispielsweise mit Überlichtgeschwindigkeit fortzubewegen. Der Schluss auf eine Gottheit, die dies prinzipiell könnte, ist also kein empirischer Analogieschluss mehr, sondern setzt theologische Glaubensannahmen voraus. WIDENMEYERs These ist grundsätzlich nicht überprüfbar, weil aus einem göttlichen "Design", über dessen Mechanismen und Handlungsgrenzen sich nichts Objektives in Erfahrung bringen lässt, logischerweise kein Befund gefolgert werden kann, der für oder gegen die Designer-These spräche. An dieser logischen Tatsache scheitern alle Plausibilitätsargumente, die für die Existenz und das Wirken übernatürlicher Wesenheiten beansprucht werden (siehe Einwand 2).

 

Dies hat zur Konsequenz, dass man mit einem omnipotenten Designer zwar grundsätzlich jeden nur erdenklichen Befund (und sein Gegenteil) "erklären" kann: Die Herkunft von Universen, Galaxien, Sternen und Planeten, von Leben, Geist, Bewusstsein usw. Alles nur Erdenkliche lässt sich einem göttlichen Schöpfer zuschieben. Doch eine Ursache, die problemlos alles erklären kann, erklärt in Wirklichkeit gar nichts (MAHNER 2003). Verweist man auf etwas Übernatürliches, wird die Erklärung nur eine Ebene nach hinten verlagert, das Unerklärte durch den unerklärten Ratschluss einer unbekannten Wesenheit ersetzt, womit nichts gewonnen ist.

 

Während also die Naturwissenschaften mit einer Reihe unterschiedlicher Mechanismen operieren müssen, um damit jeweils nur einen Teilbereich der Wirklichkeit differenziert zu erklären (für die Entstehung von Sternen etwa braucht es ganz andere Mechanismen als für die Entstehung von Leben), kommt "Design" mit einer bequemen Allzweckantwort aus. Das wäre so, als würden Naturwissenschaftler auf eine nicht näher spezifizierte "Evolutionskraft" verweisen, um damit die Herkunft von allem im Kosmos zu erklären – ein methodologisch wertloses Unterfangen.

Einwand 6: Ein Fine-tuning der globalen Parameter ist nicht erwiesen

Tatsächlich wissen wir noch gar nicht sicher, ob es eine Feinabstimmung der Naturkonstanten gibt (VIDAL 2014, 139). Dieses Wissen würde nämlich die Kenntnis voraussetzen, dass nahezu alle (oder zumindest die allermeisten) Veränderungen der Naturkonstanten zu lebensfeindlichen Universen führen. Doch nicht einmal für die tatsächlichenWerte der Naturkonstanten sind alle Bedingungen bekannt, unter denen die Entstehung von Leben (in welcher Form auch immer) möglich wäre. Würde man einige Naturkonstanten ändern, würden sich möglicherweise auch die Eigenschaften der chemischen Elemente so verändern, dass ein anderes Element (etwa Silicium) wesentliche Eigenschaften des Kohlenstoffs besäße. Es ist auch möglich, dass bei einer Veränderung der Naturkonstanten andere (nicht-molekulare) Strukturen auftauchen würden, die als Basis für Leben infrage kämen.

Der US-amerikanische Physiker und Astronom Victor STENGER hat untersucht, was passieren würde, könnte man mehrere Naturkonstanten gleichzeitig variieren lassen (STENGER 2000). Dabei ließ er Variationen um den Faktor 100.000 über und unter den heutigen Werten zu. Im Ergebnis waren sehr viel größere Schwankungen der Konstanten "zulässig", weil diese wiederum von anderen Größen kompensiert würden. In über der Hälfte der simulierten Universen wäre die Existenz langlebiger Sterne (über eine Milliarde Jahre) möglich – was man nicht unbedingt als "Feinabstimmung" bezeichnen kann. Vgl. dazu auch STENGER (2011, 70):

"As we will see in several specific cases, changing one or more other parameters can often compensate for the one that is changed. There usually is a significant region of parameter space around which the point representing a given universe can be moved and still some form of life possible."

Selbst wenn man STENGERs starker Behauptung, die eine Feinabstimmung leugnet, nicht folgen möchte, ist die entgegengesetzte (etwa von BARNES 2012 vertretene) Behauptung, Fine-tuning sei eine erwiesene Tatsache, nicht weniger überzogen.

VIDAL (2014, ebd.) stellt fest, dass es sich beim Fine-tuning beim derzeitigen Stand des Wissens um eine Vermutunghandelt, denn wir haben überhaupt keine Möglichkeit, sämtliche Universen, die möglich sind, zu simulieren, um herauszufinden, wie viele davon Leben ermöglichen:

"Given parameter sensitivity, fecund universes are likely to be rare, so this intuition may well be correct, but should certainly not considered as a proof, given the tiny exploration of space that humanity has made so far."

Der Kosmologe Stephen WEINBERG (1993, 221) formuliert es noch dezidierter:

"The evidence that the laws of nature have been fine-tuned to make life possible does not seem to me very convincing. For one thing, a group of physicists has recently shown that the energy of the unstable state of carbon in question could be increased appreciably without significantly reducing the amount of carbon produced in stars. Also, if we change the constants of nature we may find many other unstable states of the carbon nucleus and other nuclei that might provide alternative pathways for the synthesis of elements heavier than helium. We do not have any good way of estimating, how improbable it is that the constants of nature should take values that are favorable for intelligent life."

Damit wären wir beim nächsten Einwand angelangt.

Einwand 7: Das Wahrscheinlichkeits-Argument ist ungültig

Um den Naturalismus zu "widerlegen", spricht WIDENMEYER in einer Art und Weise über Wahrscheinlichkeiten, dass darüber die Voraussetzungen vergessen werden, unter denen seine Schlüsse berechtigt wären. [2] Wiederholen wir dessen Behauptung:
[
[2] Diesen Vorwurf muss sich auch Luke BARNES (2012) gefallen lassen, der sich einer Wahrscheinlichkeitsabschätzung des Physikers Roger PENROSE bedient: Dieser hatte berechnet, dass im Vergleich zu allen möglichen Materieanordnungen die rein zufällige, nahezu völlig homogene Verteilung der Teilchen kurz nach dem Urknall extrem unwahrscheinlich wäre. Die Wahrscheinlichkeit dafür hat PENROSE auf nur 1 zu 10 hoch 10 hoch 123 beziffert. Die doppelte Hochzahl ist unvorstellbar riesig. Man könnte meinen, die Bildung eines weitgehend homogenen und "flachen" Raums grenze an ein Wunder. Allerdings scheint BARNES zu übersehen, dass diese Materieanordnung, die in gravitativen Systemen einem Zustand extrem niedriger Entropie entspricht, eben nichtzufällig entstanden ist, sondern aus der kosmischen Inflation resultiert. Erst mit der späteren Entfaltung der Gravitationswirkung geht, was lange nicht bekannt war, eine Zunahme der Entropie einher (vgl. PENROSE 2005, 707).]

"Im Rahmen des Naturalismus wäre diese Ordnung ein radikal unerklärlicher Zufall mit einer unvorstellbar geringen Wahrscheinlichkeit. Hier wäre ein völlig ungeordnetes und chaotisches Universum zu erwarten — oder eigentlich viel eher gar nichts." (ebd., 195)

Im Zusammenhang mit der Entstehung des Universums über Wahrscheinlichkeiten zu reden, hätte nur Sinn, wenn klar wäre, auf welches Ensemble von Systemen sie sich beziehen sollen, durch wie viele freien Parameter sich diese Systeme beschreiben lassen, innerhalb welcher Werte sie schwanken und welche Systemzustände konkret zu bewohnbaren Universen führen würden. Dieses Wissen steht der Kosmologie, wie gesagt, nicht zur Verfügung. Wenn man nur ein Multiversum postuliert, wird es zudem schwierig, eine Wahrscheinlichkeit überhaupt zu definieren. Das Anwenden des Wahrscheinlichkeitsbegriffs außerhalb eines klar explizierbaren Bezugsrahmens, ist physikalisch unsinnig.

Nehmen wir an, eine Theorie T habe zum Ziel, die Naturkonstanten zu erklären, beispielsweise die Stringtheorie. Nehmen wir ferner an, T enthalte einen oder mehrere Freiheitsgrade, und würde man diese innerhalb T wiederholt mittels eines Zufallsgenerators festlegen, so würden die beobachteten Werte extrem selten erzeugt werden. Dies ließe verschiedene Erklärungsansätze zu:

            (a) T ist falsch (trivial)         
            (b) T ist unterdeterminiert. Der Mechanismus, der die Werte festlegt,... 
                    (b1) ... ist noch nicht gefunden und eventuell auch nicht Teil von T 
                    (b2) ... ist echter Zufall 
            (c) Alle Parametrisierungen von T sind realisiert 

Persönlich mag man Lösung (b2) für unbefriedigend halten – unwahrscheinlich ist sie deswegen noch lange nicht; für die übrigen Lösungen gilt das erst recht.

Einwand 8: Die großen vereinheitlichten Theorien reduzieren die Zahl der freien Parameter zur Erklärung der "Feinabstimmung"

Im Licht der modernen Kosmologie zeichnet sich ein weiteres Problem des Fine-tuning-Arguments ab, welches darin besteht, dass es die derzeit beobachtete Eigenschaftsvielfalt der Dinge zum Gegenstand hat (die durch eine komplexe Hierarchie von Naturgesetzen und Konstanten beschrieben werden kann), dabei aber übersieht, dass man zur Beschreibung eines hochsymmetrischen Anfangszustands des Kosmos mit einer weit geringeren Anzahl von Naturgesetzen und Konstanten auskommt.

 

Während die Standardtheorie der Elementarteilchen mindestens 18 freie Parameter benötigt, reduzieren die so genannten großen vereinheitlichten Theorien (engl. Grand Unified Theories, kurz GUT), die häufig Supersymmetrie beinhalten (Abb. 4), ihre Anzahl. Im Idealfall kann man das "komplexe Gerüst" an Mechanismen und Gesetzesaussagen, mit denen man heute die Existenz von Atomen, Molekülen usw. beschreibt, auf eine einzige Symmetriegruppe, das heißt auf einen fundamentalen Zusammenhang zurückführen.

 

Betrachten wir beispielsweise die Hierarchie der vier Grundkräfte (elektromagnetische Kraft, starke und schwache Kernkraft sowie die Gravitation). Die Kräfte, die in einem genau ausbalancierten Verhältnis zueinander stehen, um die Existenz langlebiger Sterne und stabiler molekularer Strukturen zu ermöglichen, müssen im Standardmodell der Elementarteilchen durch zahlreiche Ad-hoc-Parameter und Kopplungskonstanten beschrieben werden. In Urknallnähe existierten hingegen nur eine universale Kraft und eine Kopplungskonstante; alle Kopplungen bei niedrigeren Energien leiten sich von der universalen Kopplung ab. Physikalisch lässt sich mit einem Produkt einiger weniger Symmetriegruppen die volle Komplexität von drei der vier bekannten Grundkräfte aufspannen. Damit lässt sich die gesamte Physik und Chemie erklären, solange die Gravitation nicht überwiegt.

 

Nach Ansicht führender Teilchenphysiker und Kosmologen scheinen also vereinheitlichte Theorien mit Supersymmetrie das Problem der Feinabstimmung der Standardtheorie der Elementarteilchenphysik (SM) zu lösen; vgl. etwa Wim DE BOER (1994, 223 und 229):

"This 'fine-tuning' problem is solved in the supersymmetric extension of the SM, as will be discussed afterwards." (ebd., 195)

Abb. 4 Mit der Entdeckung des HIGGS-Bosons im weltweit leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) des CERN im Juli 2012 wurde der letzte noch fehlende Baustein im Standardmodell der Elementarteilchen nachgewiesen. Das Standardmodell hat jedoch eine Reihe von Erklärungslücken, die durch vereinheitlichte Theorien mit Supersymmetrie (SUSY) geschlossen werden können. Diese Theorien sagen für die Elementarteilchen (links) die Existenz von Partnerteilchens voraus (rechts). Ihre Existenz konnte bislang nicht nachgewiesen werden, weil sie nach Meinung der Wissenschaftler zu schwer für die Teilchenbeschleuniger sind. Daher setzen die Physiker große Hoffnung in den LHC. Mithilfe seiner Detektoren beginnt noch in diesem Jahr die Suche nach supersymmetrischen Teilchen. © Grafik: LMU München, www.etp.physik.uni-muenchen.de/join/joinbachelor2015  

Nun schreibt WIDENMEYER (2015, 15) unter der Zwischenüberschrift "4.4 Fundamentalere Physik?":

"... Zunächst enthält auch eine solche fundamentalere Physik sicherlich etliche Eigenschaften, die alle (unabhängig voneinander) ganz anders sein könnten, als sie sind. Dies wären ihre generelle mathematische Struktur und die verbleibenden freien Parameter. Die Anzahl der Parameter würde zwar sinken. Der Feinabstimmungsgrad der Parameter bemisst sich aber nicht nur über die Anzahl der Parameter. Genauso entscheidend ist auch das jeweilige Verhältnis des für die Möglichkeit von Chemie und Leben zulässigen Wertebereichs im Vergleich zum gesamten physikalisch denkbaren Wertebereich. Die Reduktion einer Theorie mit vielen Parametern in eine Theorie mit weniger Parametern könnte sich diesbezüglich darstellen wie eine Überführung z.B. einer binären Zahl in eine dezimale: Zum Beispiel ist '111001' im binären System '39' im dezimalen System. Die Anzahl der Parameter (sprich: Stellen) hat sich zwar von sechs auf zwei reduziert. Aber dafür gibt es im Gegenzug sozusagen fünfmal so viele Variationsmöglichkeiten pro Parameter (nämlich jetzt zehn statt zwei). Das heißt: Sind die fein abgestimmten Parameter der heutigen Physik in einer zukünftigen Theorie durch deutlich weniger Parameter abgebildet, könnte sich im Gegenzug der jeweils geeignete Wertebereich (im Verhältnis zum möglichen Wertebereich) entsprechend verkleinern."

Ich habe einen befreundeten Physiker zu diesen Aussagen befragt. Hier sein Kommentar:

"Dafür sehe ich keinen Anhaltspunkt, ich finde es etwas an den Haaren herbeigezogen. Zum einen können die Parameter dann nicht mehr unabhängig variiert werden (daher ist die Analogie zum Zahlensystem falsch). Zudem ist das Kriterium einer GUT ja nicht nur, weniger formale Annahmen / Konstanten zu haben, sondern gleichzeitig soll eine größere Klasse von Phänomenen erklärt werden. Beispielsweise Effekte der Quantengravitation, die weder durch die Quantenfeldtheorie noch durch die Allgemeine Relativitätstheorie, noch durch eine unabhängige Kombination aus beiden erklärt werden können."

Mit einem Wort: Die Vermutung, dass eine Verringerung der Zahl der freien Parameter durch eine Zunahme von Variationsmöglichkeiten kompensiert würde, ist eine aus dem Ärmel geschüttelte Ad-Hoc-Annahme, für die gegenwärtig überhaupt nichts spricht. 

Einwand 9: Das Fine-tuning-Argument ist eine Form des Fehlschlusses, der an das Nichtwissen appelliert (Lückenbüßer-Argument)

WIDENMEYERs Naturalismuskritik beruht auf einer Neuauflage des Fehlschlusses, den man als "Argument, das an das Nichtwissen appelliert" bezeichnet (lat.: argumentum ad ignorantiam): Wir wissen derzeit noch nicht genau, welche Antworten die naturalistische Wissenschaft auf das Problem der "Feinabstimmung" geben kann – wir wissen ja noch nicht einmal sicher, ob solch ein Problem überhaupt existiert. Diese Wissenslücke wird mit fragwürdigen Annahmen ausgefüllt, die den Eindruck erwecken sollen, es sei unplausibel, dass der Naturalismus die Wirklichkeit korrekt beschreibe.

Fehlendes Wissen und fragliche Annahmen sprechen aber weder für noch gegen den Naturalismus, sondern nur dafür, dass noch weiterer Forschungsbedarf besteht. Gerade an der Nahtstelle zwischen Kosmologie und Teilchenphysik, um die in den letzten Jahren viele hochaktive Forschungsprogramme entstanden sind, ist fast wöchentlich mit einer Überraschung zu rechnen. Sollte sich in 50 Jahren herausstellen, dass die Zahl der Universen, in denen sich Leben entwickeln kann, tatsächlich infinitesimal klein ist im Verhältnis zur Zahl möglicher Universen, kann WIDENMEYER seine Kritik gerne neu auflegen. Aber wer schon im jetzigen Stadium einen Schöpfer einschiebt, um einem naturwissenschaftlichen Ergebnis vorzugreifen, begeht ganz klar ein argumentum ad ignorantiam.

Der Wissenschaftsphilosoph Philip KITCHER (2008, 432) schreibt:

"Wo keine Wissenschaft mehr möglich ist, ist es auch keine Schande, kein Wissenschaftler zu sein. Aber finden wir hier tatsächlich ein Tor mit der Aufschrift, die uns ermahnt: 'Weitergehen unmöglich!'?"

Diesen irreführenden Eindruck erweckt WIDENMEYER, lange bevor die moderne Kosmologie den Naturalismus konsequent ausschöpfen konnte – und darum ist seine supranaturalistische "Lösung" wissenschaftlich gesehen –keine Lösung, sondern der viel beachtete Fehlschluss des argumentum ad ignorantiam.

Literatur


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WIDENMEYER, M. (2014) Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus. SCM Haenssler, Holzgerlingen. 

WIDENMEYER, M. (2015) Zufall, Notwendigkeit oder Geist? Die mathematisch-naturgesetzliche Grundordnung der Welt. www.wort-und-wissen.de/artikel/a18/a18.pdf Zugr. a. 20.02.2015.

(Aus dem Englischen von: Marc Schröpfer und Eliz Matez)

Über Jahre hinweg haben Theologen und christliche Apologeten sich und ihre Anhänger davon überzeugt, ein wissenschaftliches K.O.-Argument für die Existenz Gottes zu haben. Sie behaupten, dass die Parameter der Physik so feinabgestimmt seien, dass, sollte einer dieser Parameter auch nur im Geringsten von seinem Wert abweichen, Leben nirgendwo in diesem Universum möglich wäre.

Foto von Ed Pastor, Illustration von Pat Linse

Unter der Annahme – ohne jedwede Grundlage – diese Parameter seien voneinander unabhängig und hätten beliebige Werte eines weiten Spektrums annehmen können, schlussfolgerten sie, dass die Wahrscheinlichkeit eines Universums mit genau unserem Satz von Parametern unendlich klein sei. Weiter angenommen – ebenfalls ohne jedwede Grundlage – dass die Wahrscheinlichkeit eines göttlichen Schöpfers nicht gleichermaßen unendlich klein sei, behaupten sie, dass ein Schöpfer das Universum für das Leben feinabgestimmt habe. Es ist anzumerken, dass die Annahme, es würde sich dabei um den persönlichen Gott handeln, der von Christen, Muslimen und Juden angebetet wird oder den Gott einer jeden anderen Religion , ebenfalls jedweder Grundlage entbehrt. Ein unpersönlicher, deistischer Schöpfer funktioniert genauso gut.

Argumente für Design sind im Wesentlichen Lückenbüßergott-Argumente („God of the gaps“). Diese können nicht erfolgreich sein, da die Befürworter beweisen müssten, dass die Wissenschaft niemals eine Erklärung finden kann, um die Wissenslücke zu füllen, was ihnen aber niemals gelingen wird. Doch sie versuchen es weiter. In einem 2011 veröffentlichten Buch mit dem Titel „The Fallacy of Fine-Tuning – Why the Universe is not Designed for Us“ („Der Trugschluss der Feinabstimmung – Warum das Universum nicht für uns gestaltet wurde“) habe ich gezeigt, dass Behauptungen über göttliche Feinabstimmung, allein basierend auf unserem Wissen über unser Universum, wertlos sind. Natürlich setzte das dieser Vorstellung kein Ende, also werde ich in dieser Ausarbeitung die Argumente auf den neuesten Stand bringen.

Fallacy erwähnte die einfachste, wenn auch nicht die einzige Erklärung für das Problem der Feinabstimmung, welche von Physikern und Kosmologen als die plausibelste angesehen wird: Unser Universum ist nur eines von unendlich vielen individuellen, nicht-erschaffenen Universen, in ihrer Gesamtheit Multiversum genannt, das sich über eine grenzenlose Strecke in alle Richtungen und eine unendliche Zeit in Vergangenheit und Zukunft ausdehnt. Es hat sich schlicht so ergeben, dass wir in genau dem Universum leben, das für unsere Art von Leben passend ist. Unser Universum ist nicht auf uns abgestimmt; wir sind auf unser Universum abgestimmt.

Wie wir sehen werden, geben kürzliche Beobachtungen unser Universum heute auf noch glaubhaftere Weise wieder, als zu der Zeit in der ich das Buch erstmals veröffentlichte.

Das Multiversum

Die Hypothese vom ewigen Multiversum wurde zuerst im Jahre 1983 vom Kosmologen Alexander Vilenkin aufgestellt. Sie basierte auf dem Modell, das ein paar Jahre zuvor der Physiker Alan Guth (und unabhängig davon auch einige andere) vorgeschlagen hatte, Inflation genannt, welches eine Reihe vorhandener Probleme in der Kosmologie löste. Im inflationären Modell durchlebte unser Universum, während des ersten winzigen Bruchteils einer Sekunde nach seiner Entstehung, eine rapide, exponentielle Ausdehnung und vergrößerte sich um ein Zigtausendfaches.

Vilenkin fand anhand der Mathematik des Modells heraus, dass die Inflation, einmal in Gang gesetzt, nie wieder aufhört und unentwegt neue Universen kreiert. Er nannte dies ewige Inflation. Im Jahre 1986 arbeitete Andrei Linde an der Idee, die die Möglichkeit eines sich unaufhörlich reproduzierenden Universums zeigen sollte, das „weder Anfang noch Ende hat“

Ewige Inflation, wie sie Vilenkin und Linde erdachten, resultierte in der kontinuierlichen Produktion von Seifenblasen-Universen innerhalb anderer Universen in einer einem Fraktal ähnlichen Struktur. Das bedeutet im Wesentlichen: Während sich ein Seifenblasen-Universum zu einem erheblich größeren Ausmaß exponentiell ausdehnt, können sich andere Seifenblasen in einem ewig wachsenden, leeren „de Sitter“-Raum bilden.

Man bedenke, dass die Existenz des Multiversums nicht bewiesen werden muss, um das zugunsten eines Schöpfers ausgelegte Fein-Tuning-Argument zu entkräften. Es braucht nur eine mögliche Alternative zu sein. Nichtsdestotrotz haben Theologen vehement Einspruch gegen das Multiversum eingelegt. So gut wie jede Weltreligion lehrt die göttliche Schöpfung eines einzelnen Universums innerhalb eines endlichen Zeitpunktes in der Vergangenheit mit einem zentralen Platz für die Menschheit. Das Multiversum fordert diese Lehre entschieden ernsthaft heraus.

Theologische Einwände

Am 7. Juli 2005 schrieb Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien, in der New York Times: „die Multiversum-Hypothese der Kosmologie wurde erfunden, um den überwältigenden Beweisen für Zweckmäßigkeit und Design auszuweichen, die in der modernen Wissenschaft gefunden werden.“

Natürlich widersprach die Kirche auch, als frühe Astronomen sagten, die Erde sei rund, und auch später,  als Kopernikus die Erde aus dem Zentrum des Sonnensystems versetzte. Und als Giordano Bruno sagte, dass unserer nur einer von vielen Planeten sei, der eine von vielen Sonnen umkreise, verbrannten sie ihn auf dem Scheiterhaufen. Theisten reden von Demut, aber sie mögen es nicht, wenn die Wissenschaft ihnen einen Grund gibt, demütig zu sein.

Der führende christliche Apologet William Lane Craig vertritt Ansichten ähnlich denen Schönborns. In einer Debatte an der Purdue University in 2013 meinte Craig: „die Befürworter des Zufalls wurden gezwungen, die Existenz eines Weltenensembles aus anderen Universen vorauszusetzen, vorzugsweise unendlich in ihrer Anzahl und zufällig angeordnet, sodass diejenigen Universen, die Leben erlauben, per Zufall irgendwo in diesem Ensemble auftauchen.“

Diese Aussagen sind nicht nur falsch; sie sind Beleidigungen gegenüber ernsthaften Wissenschaftlern, die sich der Vernunft und den Beweisen verpflichtet haben, und nicht irgendeiner ideologischen Agenda. Das „Weltenensemble“, oder Multiversum, ist in fundierter Wissenschaft begründet, ohne einen Gedanken an Theologie zu verschwenden. Es ist die Schlussfolgerung unseres momentan besten Modells der Kosmologie, basierend auf den extrem präzisen Beobachtungen der modernen Astronomie und unserem besten Wissen der grundlegenden Physik.

Um uns zu helfen, die beste Wahl zu treffen, können wir den Test von Ockhams Rasiermesser anwenden, der die simpelste Hypothese bevorzugt, wenn mehrere zur Auswahl stehen. Auf den ersten Blick mag es aussehen, als sei ein einzelnes Universum ökonomischer als mehrere Universen. Jedoch bezieht sich Ockhams Rasiermesser nicht auf die Anzahl der Objekte in einem Konzept, sondern vielmehr auf die Anzahl der Hypothesen. Die Atomtheorie der Materie multiplizierte die Anzahl der Objekte, um die sich Physiker kümmern mussten, um ein Trillionenfaches. Dennoch war sie simpler und mächtiger als die makroskopische Thermodynamik, die ihr vorausging und vollständig aus der Atomtheorie hergeleitet werden konnte.

Gleichermaßen gilt: Da aktuelle, auf Beobachtungen basierende, wissenschaftliche Erkenntnisse auf mehrere Universen hindeuten, ist für die Annahme der Existenz eines einzelnen Universums eine weitere Hypothese erforderlich, die dank dieser Daten aber nicht nötig wäre.

Ist das Multiversum wissenschaftlich?

In einem weiteren Widerspruch haben sich viele nicht-gläubige Wissenschaftler den Theisten mit ihrem Argument, das Multiversum sei „unwissenschaftlich“, angeschlossen, da wir keine Möglichkeit hätten, ein Universum außerhalb unseres eigenen zu beobachten. Das ist falsch. Das Multiversum ist eine legitime wissenschaftliche Hypothese, da sie eine unausweichliche Konsequenz der ewigen Inflation zu sein scheint, die auf unseren besten empirischen Daten und auf unserem besten theoretischen Wissen basiert.

Unsere Theorien beinhalten oft Unbeobachtbares, wie etwa Quarks oder schwarze Löcher. Außerdem sind empirische Beweise für andere Universen im Bereich des Möglichen. Früh in der Geschichte unseres Universums könnte ein anderes Universum ausreichend nah genug gewesen sein, um mit seiner Gravitation die sphärische Symmetrie des kosmischen Mikrowellenhintergrundes zu beeinflussen. Oder die Blasen könnten kollidiert sein und Dellen an jedem einzelnen (Universum) hinterlassen haben. Tatsächlich hat das Planck Weltraumteleskop mehrere unerklärliche Asymmetrien dieser Art bestätigt, die in früheren Beobachtungen durch den Wilkinson Microwave Anisotropy Explorer (WMAP) angedeutet worden waren.

Da die Beobachtung eines anderen Universums, außer unserem eigenen, die größte wissenschaftliche Entdeckung der Geschichte wäre, sollte man nicht erwarten, dass irgendein Kosmologe solch eine Behauptung aufstellten würde, bis jede andere Möglichkeit mit der höchsten Sicherheitswahrscheinlichkeit ausgeschlossen und die Entdeckung unabhängig verifiziert worden wäre. Im Falle des Planck-Experiments hat das untersuchende Team die Hinweise nicht als ausreichend bedeutsam eingestuft, um diverse Behauptungen zu veröffentlichen. Wir müssen abwarten und Tee trinken. Aber, bedingt durch die Tatsache, dass andere Universen prinzipiell beobachtbar sind, sind sie noch nicht vom Tisch der Wissenschaft.

In 2014 erhielt die inflationäre Kosmologie – und somit auch das Multiversum– einen ordentlichen Schub durch die Beobachtung von etwas, das primordiale Gravitationswellen zu sein scheinen. Es wurde prognostiziert, dass eine einmalige Art von Polarisation im kosmischen Mikrowellenhintergrund, genannt „B-Mode“, aus Gravitationswellen entsteht, die von Quantum-Fluktuationen induziert werden, die man für die Entstehung des Universums voraussetzt. Die Beobachtung dieser Polarisation wurde am 17. März 2014 unter großem Getöse nach einem Experiment am Südpol, genannt „BICEP2“ (Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization), bekannt gegeben. Die Nullhypothese wurde mit einer statistischen Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 1 : 3,5 Millionen ausgeschlossen. Jedoch wird dieses Resultat zurzeit hinterfragt, und wir müssen die weitere Entwicklung abwarten.

Feinabstimmung in unserem Universum

Trotz ihres wesentlich verbesserten Status ab 2011 bleibt die Multiversum-Hypothese weiterhin unbestätigt. Damit liegt es an uns, die Glaubwürdigkeit der Hypothese der göttlichen Feinabstimmung unseres einzigen und einsamen Universums zu untersuchen.

In The Fallacy of Fine-Tuning bot ich rein natürliche Erklärungen für die Werte der sogenannten „fein-getunten Parameter,“ an, die immer häufiger in theistischer Literatur auftauchen. Noch einmal: Es war nicht meine Aufgabe, zu beweisen, dass diese Erklärungen korrekt sind. Ich brauchte bloß plausible Alternativen aufzuzeigen. Dieser Ansatz ist ausreichend, um die Notwendigkeit eines Schöpfers zu entkräften. Es ist die Aufgabe derjenigen, die dieses Argument anfechten, das Gegenteil zu beweisen. Das haben sie nicht getan.

Meine theistischen Kritiker verstehen immer noch nicht, dass sie die weniger sparsame Hypothese aufstellen: Dass ein allmächtiges, übernatürliches Wesen, für dessen Existenz es keine Beweise gibt, das Universum erschaffen haben soll.

Kürzlich habe ich ein Kapitel, das gegen Feinabstimmung argumentiert, zu einem Sammelband namens „Debating Christian Theism“ („Christlichen Theismus debattieren“) beigesteuert. Der christliche Philosoph Robin Collins vom Messiah College legte in einem begleitenden Kapitel den Fall der Feinabstimmung dar. Darin kritisierte er einige meiner vorherigen Argumente, wozu ich mich hier kurz äußern möchte. Bezug nehmend auf die Möglichkeit, dass die Parameter willkürlich variieren können, fragt Collins: „Warum sollten Sie haargenau den richtigen Satz an Gesetzen hervorbringen, der für Leben erforderlich ist?“ Offensichtlich denkt er, dass nur eine Form des Lebens möglich sei – unsere. Nun, das ist genau der Punkt, den er und andere göttliche Feinabstimmer übersehen. Die Parameter mussten nicht präzise sein, um irgendeine Form von Leben irgendwo in diesem weiten Universum hervorzubringen. In Fallacy zeigte ich, dass eine große Anzahl von physikalischen Parametern plausibel zu Bedingungen führen könnten, wie etwa die Langlebigkeit von Sternen, die prinzipiell die Evolution von Leben der einen oder anderen Art erlauben würde.

Werfen wir einen Blick auf einige der Parameter, die angeblich haargenau auf das Leben abgestimmt sind.

Triviale Parameter

Zwei der Parameter, die am häufigsten in Listen von feinabgestimmten Größen auftauchen, sind:

- die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum c

 

- die Planck-Konstante h

So grundlegend diese Parameter für die Physik auch sind, ihre Werte sind willkürlich. Die elementare Einheit der Zeit in der Physik ist die Sekunde. Die Einheiten aller anderen messbaren Größen in der Physik, mit Ausnahme derer, die dimensionslos sind, sind in Relation zur Sekunde definiert. Der Wert von c wird gewählt, um zu definieren, welche Einheiten verwendet werden, um Entfernungen zu messen. Um Entfernung in Metern zu messen, wählt man c = 3×10(8). Um Entfernung in Lichtjahren zu messen, wählt man c = 1.

Der Wert der Planck-Konstante h wird gewählt, um zu definieren, welche Einheiten verwendet werden, um Energie zu messen. Um Energie in Joule zu messen, wählt man h = 6,626×10(-34).  Um Energie in Elektronenvolt zu messen, wählt man h = 4,136×10-(15).  Physiker arbeiten gerne mit dem, was sie als „natürliche Einheiten“ bezeichnen, für die gilt ħ = h/2π = c = 1. Dann haben alle drei definierenden Eigenschaften von Materie – Masse, Energie und Impuls –  die gleichen Einheiten.

Andere willkürliche Größen, von denen oft behauptet wird, sie seien feinabgestimmt, umfassen neben der Boltzmann-Konstante, kB, die schlicht Einheiten von absoluter Temperatur – Kelvin – zu Energie umwandelt. Und Newtons Gravitationskonstante G, die ebenfalls von der Wahl der Einheiten abhängt. Hier spricht man von Planck-Einheiten, h = c = G = 1.

In anderen Worten: dimensionierte Konstanten sowie c, h und G haben keine Aussagekraft in der Physik, weil sie willkürliche Umwandlungsfaktoren sind. Um aussagekräftig zu sein, muss eine Konstante dimensionslos sein.

Parameter, die für jede Form des Lebens notwendig sind

Weniger trivial: schauen wir uns fünf Parameter an, von denen Theisten behaupten, sie seien so präzise eingestellt, dass keine Form des Lebens in einem Universum existieren könnte, würde auch nur einer dieser Werte um einen unendlich kleinen Bruchteil von den Werten unseres Universums abweichen. Diese Parameter sind:

- das Verhältnis von Elektronen zu Protonen im Universum

- das Verhältnis von elektromagnetischer Kraft zur Gravitation

- die Ausdehnungsrate des Universums

- die Massendichte des Universums

 

- die kosmologische Konstante

Das Verhältnis von Elektronen zu Protonen im Universum

Der Physiker und christliche Apologet Hugh Ross beteuert, dass ein größeres Verhältnis eine unzureichende chemische Bindung zur Folge hätte. Elektromagnetismus würde über Gravitation dominieren und somit die Galaxie-, Sternen-, und Planetenformation verhindern, wäre es kleiner.

Die Tatsache, dass das Verhältnis exakt gleich eins ist, lässt sich leicht erklären: Die Anzahl von Elektronen im Universum sollte aufgrund des Prinzips der Ladungserhaltung der Anzahl von Protonen gleichen, basierend auf der begründeten Erwartung, dass die Gesamtheit aller elektrischen Ladung des Universums null ist. Obwohl auch andere geladene Partikel existieren, sind Protonen und Elektronen jedoch die einzig stabilen.

Das Verhältnis von elektromagnetischer Kraft zur Gravitation

Laut Ross gäbe es keine Sterne mit weniger als 1,4 Sonnenmassen, wenn das Verhältnis größer wäre, und eine kurze und ungleichmäßige stellare Verbrennung wäre die Folge. Wäre das Verhältnis kleiner, gäbe es keine Sterne mit mehr als 0,8 Sonnenmassen, und infolgedessen käme es nicht zu Produktion schwerer Elemente.

Das Verhältnis der Kräfte zwischen zwei Partikeln ist abhängig von ihrer Ladung und Masse. Trotz der Aussage, die häufig in den meisten (wenn nicht sogar allen) Physikunterrichtsräumen zu hören ist, dass Gravitation viel schwächer als Elektromagnetismus sei, gibt es keine Möglichkeit, eine absolute Aussage zur relativen Stärke von Gravitation zu irgendeiner anderen Kraft zu tätigen. Tatsächlich ist es so: würde man die Stärke der Gravitation mithilfe der einzig natürlichen Masse, die aus grundlegenden Konstanten geformt werden kann, der Planck-Masse (2.18 × 10(-8) kg), definieren, würde man feststellen, dass Gravitation 137 Mal stärker ist als Elektromagnetismus.

Der Grund, warum Gravitation in Atomen so schwach wirkt, ist die geringe Masse elementarer Partikel. Collins missversteht diesen Punkt, wenn er schreibt: „Stengers Versuch, diese offensichtliche Feinabstimmung wegzuerklären (die niedrige Masse von Protonen und Neutronen) ist, als würde man sagen, dass Protonen und Neutronen aus Quarks und Gluons bestehen, und da Letztere eine geringe Masse haben, erklärt das die geringe Masse von Ersteren.“

Dies ist eine komplett falsche Darstellung meiner Position. Nirgendwo habe ich dieses Argument verwendet. Collins nennt weder Zitat noch Quellenangabe. In Wahrheit äußerte ich die sehr vernünftige Vermutung, dass alle elementaren Partikel (Protonen und Neutronen sind nicht elementar) masselos waren, als sie im frühen Universum erstmals erzeugt wurden. Heute haben sie alle eine geringe Masse verglichen mit der Planck-Masse, da diese Massen bloß kleine Korrekturen durch den Higgs-Mechanismus und andere Effekte waren.

Die Expansionsrate und Massendichte des Universums

Ross behauptet, dass Galaxien nicht hätten entstehen können, wäre die Ausdehnungsrate des Universums infolge des kosmologischen Hubble-Parameters H, größer; wäre sie kleiner, würde das Universum kollabieren, noch bevor sich erste Sterne bilden könnten.

Wie Stephen Hawking 1988 in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“ schrieb: „Inflation führt dazu, dass die Massedichte des Universums sehr nah am kritischen Wert liegt, der von H abhängig ist. Dies impliziert im Umkehrschluss, dass H ebenfalls einen kritischen Wert hat. Nur einer dieser beiden Parameter ist variabel. Nehmen wir an, es ist H.

Nun ist das Alter des Universums ungefähr gegeben durch T = 1/H. Es ist momentan 13,8 Milliarden Jahre alt. Das Leben hätte sich genauso gut über einen Zeitraum von T = 12,8 Milliarden Jahren oder T = 14,8 Milliarden Jahren entwickeln können. Nehmen wir mal an, dass T = 1,38 Milliarden Jahre sei. Dann hätten wir jetzt noch kein Leben, aber es würde etwa 10 Milliarden Jahre später auftreten. Oder nehmen wir an, dass T = 138 Milliarden Jahre. Dann wäre das Leben schon vor über 100 Milliarden Jahren aufgetaucht.

Also, weder die Dichte des Universums noch die Expansionsrate wurden feinabgestimmt. Die Dichte ist schlicht so, wie sie sein muss, und die Ausdehnungsrate ist quasi beliebig.

Die kosmologische Konstante

Die kosmologische Konstante ist äquivalent zu einer Energiedichte des Vakuums und ist der Lieblingskandidat für dunkle Energie, die verantwortlich ist für die Beschleunigung der Ausdehnung des Universums. Sie macht über 68 % der gesamten Masse/Energie des Universums aus.

 

Die ursprüngliche Berechnung der Energiedichte des Vakuums brachte Antworten hervor, die 10(50) bis 10(120) mal größer waren als der Maximalwert den Beobachtungen erlaubte. Das bedeutet, Feinabstimmung bis zu einer Genauigkeit von 1 in 10(120) wird von Feinabstimmern beansprucht. „Wie könnte irgendjemand das bewerkstelligen, außer Gott?,“ fragen sie.

 

Die ursprüngliche Energiedichteberechnung machte einen grundlegenden Fehler in der Summierung aller Zustände in einem gegebenen Volumen. Die Entropie eines Systems ist gegeben durch die Anzahl der erreichbaren Zustände dieses Systems. Daher wird die durch Summierung über ein Volumen berechnete Entropie größer sein als die Entropie eines schwarzen Lochs gleicher Größe, was mehr von seiner Fläche als von seinem Volumen abhängt. Da wir nicht in das Innere eines schwarzen Lochs blicken können, sind die uns vorliegenden Informationen darüber, was sich darin befindet, so gering, wie sie nur sein können. Und deshalb ist die Entropie, die negative Information ist, so groß wie sie nur sein kann.

 

Daher war es ein Fehler, die Anzahl der Zustände durch Summierung über das Volumen zu berechnen. Korrigieren wir das durch Summierung über die Fläche oder äquivalent dazu, durch das Gleichsetzen der Anzahl der Zustände mit der Entropie eines schwarzen Lochs gleichen Volumens, können wir die Vakuumsenergiedichte natürlich begrenzen. Die Berechnung liefert das Ergebnis, dass ein leeres Universum eine Vakuumsenergiedichte hat, die der kritischen Dichte entspricht – genau der Wert, den sie zu haben scheint.

 

Aus fachwissenschaftlichen Gründen sind Kosmologen nicht bereit, diese Lösung für das Problem der kosmologischen Konstante zu akzeptieren. Nichtsdestotrotz, empfinde ich es als fair, zu schlussfolgern, dass die ursprüngliche Berechnung schlichtweg falsch war – so falsch wie andere Berechnungen in der Geschichte der Physik und sollte ignoriert werden. Apologeten haben nicht das Recht, einen offensichtlich falsch berechneten Parameter zu nehmen und dann zu behaupten: „Weil dieser Parameter nicht jenen Wert hat, muss es Gott gewesen sein.“

 

Damit sind auch die fünf Parameter berücksichtigt, die angeblich mit einer derartigen Präzision feinabgestimmt sein sollen, dass die kleinste Abweichung Leben jedweder Art unmöglich machen würde. Keiner davon wurde feinabgestimmt. Gehen wir als nächstes über zu einem weiteren Parameter, von dem Theisten behaupten, er sei feinabgestimmt für das Leben auf Kohlenstoffbasis.

Die Hoyle Vorhersagen

Im Jahr 1951 sagte der Astronom Fred Hoyle voraus, dass der Kohlenstoffkern einen angeregten Zustand bei ungefähr 7,7 MeV (Megaelektronenvolt) über seinem Grundzustand benötigen würde, damit in Sternen genug Kohlenstoff produziert werden könnte, um Leben im Universum zu ermöglichen. Diese Geschichte ist von großem historischen Interesse, weil dies der einzige Fall ist, bei dem ein anthropischer Gedankengang zu einer empirisch bestätigten Vorhersage geführt hat. Kurz darauf wurde der angeregte Zustand bei 7,656 MeV gefunden.

 

Jedoch haben Berechnungen seitdem demonstriert, dass die gleiche Menge Kohlenstoff auch produziert worden wäre, wenn der angeregte Zustand irgendwo zwischen 7,596 MeV und 7,716 MeV liegen würde. Darüber hinaus würde ausreichend Kohlenstoff zur Verfügung stehen, um Leben zu ermöglichen, solange der angeregte Zustand zwischen einem Wert knapp über dem Grundzustand und 7,933 MeV liegen würde. Ein Zustand irgendwo in solch einem weiten Bereich ist anhand der üblichen Nukleartheorie zu erwarten. Außerdem ist Kohlenstoff möglicherweise nicht das einzige Element, auf Basis dessen Leben existieren kann.

Andere Physikparamter

Einige der anderen Parameter, denen man Feinabstimmung für das Leben nachsagt, sind:

1. Die relativen Massen elementarer Partikel

2. Die relative Stärke der Kräfte und anderer Physikparameter

3. Die Verfallsrate von Protonen

 

4. Der Baryonenüberfluss im frühen Universum

In Fallacy zeigte ich, dass sie alle ein weites Spektrum möglicher Werte aufweisen, die die Entstehung einer Art von Leben ermöglichen.

Kosmische Parameter

Wir haben uns bereits der kosmischen Parameter entledigt, die für die Entstehung jedes bewohnbaren Universums für unentbehrlich gehalten wurden: Die Massendichte des Universums, die Expansionsrate und das Verhältnis zwischen der Anzahl von Protonen und Elektronen sind nicht nur nicht feinabgestimmt, sie sind festgeschrieben durch die konventionelle Physik und Kosmologie oder können im Falle der Expansionsrate praktisch jeden Wert annehmen, um Leben zu ermöglichen. Hier sind zwei weitere kosmische Parameter, denen man nachsagt, feinabgestimmt zu sein:

1. Der Deuteriumsüberfluss

 

2. Die „Klumpigkeit“ der Materie

Kosmologen verfügen nun über ein Modell, genannt ΛCDM (Lambda Cold Dark Matter), das präzise auf die Anisotropien des kosmischen Mikrowellenhintergrunds passt und konsistent ist mit Beobachtungen galaktischer Struktur. Dieses Modell beinhaltet nur sechs variable Parameter. Weder der Deuteriumsüberfluss noch die Klumpigkeit der Materie ist einer dieser Parameter. Sie ergeben sich aus dem Modell. Die Dichte der Masse ist kein Parameter, aber wird vorausgesetzt als gleich mit dem kritischen Wert. Die Expansionsrate (Hubble-Parameter) ist kein einstellbarer Parameter, wird aber innerhalb des Modells berechnet. In diesem Modell wird vermutet, dass die kosmologische Konstante die Quelle der dunklen Energie ist, und ihre Energiedichte ist einer der sechs variablen Parameter.

 

Kurz gesagt: Die göttlichen Feinabstimmer müssen zurück ans Reißbrett, das ΛCDM-Modell über einen Wertebereich der sechs variablen Parameter laufen lassen und zeigen, dass Leben jedweder Art unmöglich ist, sofern die Parameter nicht exakt denen in unserem Universum entsprechen.

Das Simulieren von Universen

 

Die gesamten Eigenschaften des Universums, wie wir sie heute kennen, werden bestimmt von drei Physik-Parametern: Der elektromagnetischen Stärke und der Masse von sowohl Protonen als auch Elektronen. Mit ihnen können wir Größen schätzen, wie etwa die Lebensdauer von Sternen, die minimale und maximale Masse von Planeten, die minimale Länge eines Planetentages und die maximale Länge eines Jahres für einen bewohnbaren Planeten. Durch das Generieren von 10.000 Universen, in denen die Parameter willkürlich auf einer logarithmischen Skala über eine Spanne von 1010 variierten, stellte ich fest, dass 61 % der Universen stellare Lebensdauern von über 10 Milliarden Jahren aufwiesen, ausreichend für die Entwicklung einer Art von Leben.

 

Collins erhob zuvor Einspruch gegen meine vorläufige und inzwischen 20 Jahre alte Schlussfolgerung, dass lange stellare Lebensdauern nicht feinabgestimmt sind. Er argumentierte, dass nicht all diese Universen bewohnbar seien und dass ich lebensverneinende Merkmale nicht berücksichtigt hätte. Er verwies auf John Barrow und Frank Tipler, die in ihrem Klassiker eine bestimmte technische Voraussetzung festlegten, damit Leben möglich ist. Ich habe es überprüft und festgestellt, dass das Barrow-Tipler-Limit in 91 % der Fälle erfüllt ist.

 

Wendet man ziemlich enge Begrenzungen auf alle drei Parameter an, um Leben zu produzieren, sind 13 % aller Universen fähig, eine Art von Leben zu unterstützen, das sich nicht allzu sehr von unserem unterscheidet, wenn ich sie um 10(10)  variieren lasse. Variierten sie um 10(2) , was realistischer ist, da sie nicht unabhängig voneinander, sondern verbunden sind, stelle ich fest, dass 92 % der Universen stellare Lebenszeiten von über 10 Milliarden Jahren aufweisen und 37 % in der Lage sind, eine Art von Leben zu unterstützen, welches unserem ähnelt. Leben, das sich sehr von unserem unterscheidet, bleibt in einem großen Bruchteil der übrigen Universen weiterhin möglich, nach den langen stellaren Lebenszeiten der meisten davon zu urteilen.

Zusammenfassung des Falls gegen Feinabstimmung

 

Das Nachfolgende ist eine Zusammenfassung der logischen und wissenschaftlichen Fehler, die von Befürwortern der Feinabstimmung begangen wurden (nicht jeder macht jeden Fehler), die ich bei meinem Studium des Themas identifiziert habe.

 

 

1. Sie behaupten, unsere Art von Leben sei feinabgestimmt, ignorieren dabei aber die Möglichkeit anderer Formen von Leben.

 

2. Sie behaupten, Physikkonstanten wie etwa c, h und G, deren Werte willkürlich sind, seien feinabgestimmt.

 

3. Sie behaupten, Größen wie das Verhältnis von Elektronen zu Protonen, die Expansionsrate des Universums und die Massedichte des Universums, deren Werte durch kosmologische Physik präzise festgelegt sind oder eine große Spanne an Werten zulassen, seien feinabgestimmt. Dabei varieren diese nicht einmal im derzeitigen kosmologischen Standardmodell.

 

4. Sie sagen, dass die relative Stärke von Elektromagnetismus und Gravitationskraft feinabgestimmt sei, obwohl diese Größe in Wahrheit nicht allgemeingültig definiert werden kann.

5. Sie sagen, dass ein angeregter Zustand des Kohlenstoffkerns feinabgestimmt sein müsse, damit Sterne die für Leben notwendige Menge an Kohlenstoff produzieren könnten, obwohl Berechnungen zeigen, dass das Energieniveau dieses Zustands eine große Bandbreite an Werten annehmen könnte und immer noch ausreichend Kohlenstoff produziert würde.

6. Sie behaupten, die Masse von elementaren Partikeln sei feinabgestimmt, obwohl die Wertebereiche dieser Masse durch gut fundierte Physik festgelegt und ausreichend eingeschränkt sind, um irgend eine Form von Leben hervorzubringen.

 

7. Sie sagen, dass die Stärken der verschiedenen Kräfte Konstanten seien, die sich von Universum zu Universum unabhängig voneinander ändern könnten. Tatsächlich aber hängen sie voneinander ab und variieren in ihrer Energie. Und ihre relativen Werte und Energieabhängigkeiten stehen kurz davor, in einer Theorie auf einen Wertebereich festgenagelt zu werden, der eine Form von Leben ermöglicht.

 

8. Sie machen einen ernsten analytischen Fehler, indem sie alle Parameter des Universums unverändert lassen und immer nur einen davon ändern. Das lässt die Tatsache unberücksichtigt, dass die Änderung eines Parameters durch Änderung eines anderen kompensiert werden kann, was mehr Parameterraum für ein gültiges Universum eröffnet.

 

9. Sie missverstehen oder missbrauchen die Wahrscheinlichkeitstheorie, in dem sie die Tatsache außer Acht lassen, dass Ereignisse mit einer „unvorstellbar“ niedrigen Wahrscheinlichkeit jeden Tag milliardenfach auftreten. Der einzige Weg zu argumentieren, dass etwas mit geringer Wahrscheinlichkeit deswegen unglaubwürdig sei, ist, es mit den Wahrscheinlichkeiten aller Alternativen zu vergleichen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit Gottes? In Fallacy verglich ich die Berechnungen für die Wahrscheinlichkeit Gottes mithilfe fortgeschrittener Bayes'scher Statistik durchgeführt von zwei Physikern, einer ein Glaubender und der andere nicht. Der Glaubende kam auf 0,67, während das Ergebnis des Nicht-Glaubenden 10(-17) war.

 

10. Sie behaupten, viele Parameter der Erde und des Sonnensystems seien feinabgestimmt für das Leben, versäumen dabei aber zu berücksichtigen, dass Planeten mit den für Leben notwendigen Eigenschaften sehr wahrscheinlich in großer Stückzahl auftreten – mit ungefähr einer Trilliarde Planeten in der habitablen Region ihres jeweiligen Sterns, allein im sichtbaren Universum und den unzähligen weiteren jenseits unseres Horizonts, von wo das Licht doch nicht die Zeit hatte, uns zu erreichen. Nichtsdestotrotz ist das Universum kaum lebensfreundlich. Falls Gott es für das Leben feinabstimmen wollte, hätte er das Universum wesentlich freundlicher gestalten können.

 

11. Die Feinabstimmer liegen auch falsch damit, die Multiversum-Lösung als „unwissenschaftlich“ zurückzuweisen. Es ist nicht unwissenschaftlich, über unsichtbare, unbestätigte Phänomene zu spekulieren, die von bestehenden Modellen prognostiziert werden, welche bisher mit allen verfügbaren Daten übereinstimmen. Die Existenz des Neutrinos wurde 1930 prognostiziert, basierend auf dem gängigen Prinzip der Energieerhaltung, es wurde aber nicht vor 1956 entdeckt und auch dann nur indirekt.

 

12. Das aktuelle, höchst erfolgreiche ΛCDM-Modell hat nur sechs Parameter, von denen sich keiner als feinabgestimmt erwiesen hat.

 

 

 

Wie meine Erörterung zeigt, sind die Erklärungen für die scheinbare Feinabstimmung fachwissenschaftlich und bedürfen angemessener Schulung, um verstanden zu werden. Eine sachgemäße Analyse ergibt, dass keine Beweise dafür existieren, dass das Universum für Leben feinabgestimmt ist; alles was wir haben, ist ein weiteres Lückenbüßergott-Argument, das durch die implizierte Annahme zum Scheitern verdammt ist, dass es einige Phänomene gibt, die zu erklären die Wissenschaft niemals imstande sein wird, ohne Gott in die Erklärungen mit einzubeziehen.

Gastautor Beitrag 1: Martin Neukamm (Original)

Gastautor Beitrag 2: Victor J. Stenger (Original)

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Liste aller bisherigen Blogeinträge

Kommentare: 4
  • #4

    WissensWert (Sonntag, 27 Mai 2018 03:39)

    https://www.youtube.com/watch?v=koQNQ2AvRho

  • #3

    WissensWert (Freitag, 22 September 2017 19:31)

    http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/02/23/warum-sind-die-naturkonstanten-genau-so-abgestimmt-dass-es-leben-im-universum-geben-kann/

  • #2

    WissensWert (Dienstag, 11 Oktober 2016 23:35)

    Von Volker Dittmar:

    Auch ich halte das Finetuning-Argument für das beste Argument für Gott, das je ersonnen wurde.

    Es ist immer noch ein unterirdisch schlechtes Argument, aber es sticht aus den anderen hervor, weil es (relativ gesehen) um Größenordnungen besser ist.

    Was die meisten Menschen nicht wissen: Herkunft und Wert aller Naturkonstanten - mit zwei Ausnahmen - lassen sich aus heute bekannter Physik ableiten. Die beiden Ausnahmen sind: Die Masse des Higgs-Bosons und die kosmologische Konstante.

    Alle anderen Konstanten, die in theistischen Argumentationen genannt werden, haben einen "natürlichen Wert". Für diesen Nachweis erhielt 1999 t'Hooft den Nobelpreis in Physik.

    Wenn man die Messsysteme normiert, also vereinheitlicht, dann bekommen alle Konstanten (mit den zwei Ausnahmen) den Wert EINS. Man muss wissen, dass unsere Maßsysteme willkürlich gewählt wurden: Ein Meter ist ungefähr eine Schrittlänge, eine Sekunde ungefähr die Dauer eines Herzschlags, Temperatur ist die willkürliche Differenz zwischen gefrierendem Wasser und kochendem Wasser auf Meereshöhe (abhängig vom Luftdruck!), geteilt durch 100 etc. pp.

    Die "Finetuning-Konstanten" sind Umrechnungsfaktoren von einem Maßsystem in ein anderes. Deswegen sind ihre Werte auch so skurril. In einem normierten Maßsystem wird der Wert zu 1. Dann wird aus der berühmten Formel

    E = M * C^2 (Energie ist gleich Masse mal dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit) die folgende Formel:

    E = M * C^2, wobei C = 1 ist, also: E = M, also Energie und Masse sind äquivalent.

    Wenn eine Konstante unter diesen Umständen den Wert 1 erhält, bezeichnet man sie in der Physik als "natürlich". Sie hat einen Wert, der für die Formeln der Physik keine Rolle (mehr) spielt. D. h., den Wert aller Naturkonstanten kann man aus der vorhandenen, bekannten Physik ableiten. Das ist ein anderer Weg. Die meisten Konstanten sind so etwas wie Balance-Faktoren, bei denen sich zwei Werte ausgleichen. Die Anzahl der Elektronen (negativ geladen) und die Anzahl der Protonen (positiv geladen) muss identisch sein, weil das Universum elektrisch neutral ist. Die Energie der Materie wird exakt durch die negative Energie der Gravitation ausgeglichen, weil unser Universum eine Gesamtenergiesumme von NULL hat. Für jeden Wert gibt es eine natürliche Erklärung.

    Man muss keine Multiversen annehmen. Würde man eine der Konstanten ändern, wäre das so entstehende Universum immer noch weitestgehend identisch zu unserem - in jeder Hinsicht.

    Die beiden Ausnahmen sind sehr späte Entdeckungen, wahrscheinlich handelt es sich nicht einmal um Konstanten. Die Physik dahinter ist völlig ungeklärt.

    Wäre dem anders, so hätte man immer noch kein gutes Argument für Gott. Aber eines, das relativ gesehen besser ist als der Rest. Bei dem Rest denke ich immer: Wer verarscht hier wen?

  • #1

    WissensWert (Donnerstag, 01 September 2016 17:21)

    http://www.dittmar-online.net/finetuning.html


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