„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Konsistenz

Konsistenz bedeutet in der Psychologie so viel wie Stimmigkeit, oder Widerspruchsfreiheit. Gemeint ist dabei i.d.R die Harmonie zwischen Denken, Fühlen, Reden und HandelnWir Menschen sind bestrebt, von uns selbst und von anderen als konsistent wahrgenommen zu werden. Die sog. Konsistenztheorien untersuchen diesen Wunsch und alles, was damit zusammenhängt. Bleibt er unerfüllt, entsteht das unangenehme Gefühl einer kognitiven Dissonanz. Sein Streben nach Konsistenz bzw. kognitive Dissonanzen zu vermeiden, macht den Menschen anfällig für Manipulation.

1. Wer A sagt, möchte auch A machen

Konsistent sein, das kann im Einzelfall bedeuten, das zu machen, wofür man auch steht. Etwa mit seinem Wort oder einer Mitgliedschaft. Wer das nicht tut, d.h. inkonsistent handelt, gilt als wankelmütig und unzuverlässig und das möchte kaum jemand. Auch im eigenen Spiegel möchte man für gewöhnlich eine stabile Persönlichkeit und Vertrauensperson, und nicht einen Lügner oder Chaoten wiederfinden können.

Wenn sich ein Unternehmer beispielsweise für starke Gewerkschaften und bessere Löhne für die Geringverdiener einsetzt, dann sollte er, um als konsistent zu gelten, auch dementsprechend so handeln. Er kann als Normalmensch nicht einfach die von ihm angestellten Putzfrauen mit einem Hungerlohn abspeisen, oder der gesamten Belegschaft drohen, wenn sie sich in Gewerkschaften organisieren, ohne ein mulmiges Gefühl dabei zu haben. Ein solches Handeln ließe ihn vor sich, seinen Angestellten und der Öffentlichkeit als inkonsistent erscheinen. Und auf inkonsistente, vertrauensunwürdige Chefs möchte keiner angewiesen sein.

Oder nehmen wir Kurt und seine Lebensgefährtin Gerhild. Kurt hat Gerhild immer versichert, wie wichtig ihm Treue und Ehrlichkeit sind. Aufgrund dessen wird es ihm noch schwerer fallen, wenn er ihr oder nur sich selbst eingestehen müsste, sie jahrelang betrogen und ihr nichts davon erzählt zu haben. Er würde sich selbst als Scharlatan erleben und verstehen, wenn sie ihm nicht mehr vertrauen kann.

Dasselbe bei dem Jungen, dem Tiere in Massentierhaltung leidtun, aber Wurst von Wiesenhof kauft, oder bei dem Grünen-Politiker, der nach seiner Rede für mehr Umweltschutz mit einem fetten Geländewagen in sein kaum gedämmtes Haus fährt oder bei dem Mädchen, die sich vornimmt abzunehmen und drei Mal die Woche im Mc Donald´s isst usw. All diese Leute scheitern am Anspruch, im Einklang mit ihren Worten zu handeln, was sie zu einer kognitiven Dissonanz führen kann.

2. kognitive Dissonanz

Aber was ist eine Kognitive Dissonanz nun en Detail? Dissonanz, das bedeutet ursprünglich so viel wie Missklang, also ein nicht wohlklingendes Zusammenspiel von Tönen. Auch wenn ich nicht das tue, von dem ich eigentlich überzeugt bin, dass es das richtige wäre, habe ich das subtile Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Eine Kognitive Dissonanz ist quasi der Missklang im Kopf.

Einen überraschenden Feldversuch zur kognitiven Dissonanz hat der Sozialpsychologe Leon Festinger durchgeführt. Versetzen Sie sich doch bitte einmal in die folgende Situation: Im Rahmen einer Studie müssen Sie einer äußerst langweilige Tätigkeit nachgehen. Etwa Stäbchen der Größe nach ordnen. Oder Zahlen aufsummieren. Daraufhin fragt Sie der Leiter der Studie: „Eine Bitte hätte ich noch an Sie. Könnten Sie vielleicht dem nächsten Teilnehmer draußen vor der Tür erzählen, dass sie das Experiment interessant fanden? Es ist nämlich wichtig, dass ihr alle mit einer positiven Einstellung an den Versuch rangeht.“ Er zückt sein Portemonnaie und sagt weiterhin: „Wir wollen nämlich den Einfluss der inneren Einstellung auf die Leistung untersuchen. Hier haben Sie dafür ein wenig Extrageld.“

Freudig ob des leicht verdienten Geldes verlassen Sie das Zimmer und erzählen dem nächsten Teilnehmer, was Ihnen zu sagen geheißen wurde. Oder doch nicht? Würden Sie für Geld lügen?

Den Teilnehmern in Festingers Versuch wurden wahlweise einen Euro oder fünfzig Euro angebotenWas meinen Sie, bei welchem Geldbetrag die Menschen das Experiment im Nachhinein tatsächlich interessanter fanden? Der Alltagsverstand sagt uns, dass die Probanden, die mit satten 50€ entlohnt wurden, bestimmt auch eine günstigere Einstellung gegenüber dem ganzen Versuch hatten, als die Schlechtbezahlten. Aber hier liegt unser Alltagsverstand falsch.

Festingers Versuch wurde mittlerweile mehrfach untersucht und die Ergebnisse sind relativ eindeutig: Die Schlechtbezahlten fanden das Experiment interessanter, als die Gutbezahlten. Die Versuchspersonen mit nur 1€ Entlohnung fanden das Experiment bei Befragung der Konföderierten anscheinend interessanter, als die mit 50€ Bonusvergütung. Diese Gutverdiener erzählten den Wartenden zwar auch dieselbe Lüge, in Wahrheit fanden Sie das Experiment aber viel häufiger langweilig und uninteressant.

Wie lässt sich dieses Verhalten erklären? Eine Möglichkeit, und übrigens eine der bestbestätigten Theorien der Psychologie überhaupt, ist die Theorie der kognitiven Dissonanz.

Diese sagt u.a. voraus, dass wir verschiedene „kognitive Elemente(Gedanken, usw.) besitzen und versuchen, diese in Einklang miteinander zu bringen. Falls nun die Elemente einen Missklang miteinander verursachen, wird dasjenige verändert, was sich auch am leichtesten ändern lässt. Festingers Versuch enthält diese kognitiven Elemente:

  • Ich habe an einem langweiligen Experiment teilgenommen. (KE1)
  • Ich erzähle dem Nächsten, dass Experiment sei spannend gewesen. (KE2)

Diese beiden Elemente wollen nicht wirklich zueinander passen und so entsteht ein inneres Spannungsfeld – eine kognitive Dissonanz. Die VP, die mit 50€ nachhause gehen durften, können dieses Spannungsfeld noch recht leicht mithilfe von KE3 lösen: „Ich habe für das kleine Lügen viel Geld bekommen.“ Für die VP, die mit nur 1€ abgespeist wurden, gibt es dieses zusätzliche Element nicht und sie können folglich auch nicht so einfach in die Konsonanz (das Gegenteil von Dissonanz) zurückflüchten.

Ihre Lüge sehen Sie durch die schäbige Entlohnung von nur 1€ nicht gerechtfertigt. Aber sie haben ihre eigentliche Meinung, dass das Experiment eigentlich recht langweilig war, auch immer noch nicht kundgetan. Würden Sie jetzt lautstark davon erzählen, wie uninteressant sie das Ganze eigentlich fanden, käme das einem Eingeständnis der eigenen Dissonanz gleich. Die Lösung für die gerade empfundene Dissonanz besteht also darin, das Spiel weiterzuspielen und den Konföderierten das zu sagen, was sie auch den anderen VP gesagt haben. Nämlich, dass das Experiment doch eigentlich echt interessant gewesen sei. Glauben tun diese Leute das natürlich selber nicht, aber es ist eben das Element, das sich am schnellsten und am einfachsten ändern lässt.

Was macht diesen verblüffenden Versuch und die erklärende Theorie erwähnenswert? Es ist ihr kontraintuitiver Moment. Psychologische Laien meinen häufig, dass die Psychologie nur Sachen weiß, die man sich auch so schon hätte denken können. Zum Beispiel: Wer mehr arbeitet, ist auch mehr im Stress oder: Umso mehr Geld er dafür bekommt, desto eher ist der Mensch bereit zu lügen, aber Halt! Die akademische Psychologie kann uns exemplarisch an diesem Fall beweisen, dass es eben nicht immer so ist, wie es uns der Alltagsverstand sagt. Oft ist es tatsächlich so - und deswegen ist man mit seiner Alltagspsychologie auch manchmal verdammt gut - aber eben nicht immer – und aus diesem Grund braucht es die teilweise sehr schwere und komplizierte, professionelle Psychologie. Heute wahrscheinlich mehr denn je.

3. Foot-in-the-Door Technik

Aber zurück zur Konsistenzthematik. Unsere Neigung zur Konsistenz, beziehungsweise Meidung von Verhaltensmustern, die kognitive Dissonanzen hervorrufen, kann ausgenutzt werden, um uns zu manipulieren. Wie soll das gehen?

Eine sehr beliebte Technik nennt sich Food-in-the-door. Sie ist durch viele Studien getestet und gilt als äußerst wirksam. Einer dieser Studien, die die Fitd-Technik bestätigten, zeigt gleichzeitig auch ganz schön, wie trickreich Aktivisten vorgehen können. In ihr gab sich ein Forscher als engagierter Bürger aus und zog von Haus zu Haus, mit obskuren Bitte. Vor jeder Haustür bat er die Besitzer das Gleiche: Er wollte ein riesiges Schild auf ihrem Grundstück aufstellen. Auf Bildern konnten die Anwohner dann Beispiele davon sehen, auf denen das Schild im Vorgarten praktisch das ganze Haus zustellte. Auf ihm sollte riesengroß stehen: „Augen auf, im Straßenverkehr!“ Eine vollkommen absurde Idee, demenentsprechend reagierten auch die meisten Hausbesitzer und lehnten ab. Nur 17 Prozent der Befragten waren bereit, die riesige Mahnung für die Verkehrsteilnehmer in ihrem Garten aufstellen zu lassen.

Jetzt änderte der getarnte Forscher seine Strategie. Er verpasste den Hausbewohnern zwei Wochen vor seinem eigentlichen Besuch ein besonderes Treatment. Treatment ist Englisch und heißt eigentlich nur, dass sie ihm eine Behandlung zukommen lassen haben. Man im Vornerein also irgendetwas gezielt mit ihnen gemacht hatte. Und tatsächlich erklärten sich nach diesem Treatment satte 76 Prozent der Befragten einverstanden damit, das gigantische Schild in ihrem Vorgarten aufbauen zu lassen. Woher der plötzliche Sinneswandel? Die Antwort auf diese Frage finden wir offensichtlich in dem Treatment, das diese Probanden erfahren haben.

Das Treatment bestand nun einfach nur darin, dass zwei Wochen zuvor ein anderer Aktivist an der Haustür der Leute geklingelt hat und fragte, ob man nicht ein winzig-kleines 8x8cm großes Schild irgendwo an ihrem Grundstück anbringen könnte. Die Aufschrift war wieder dieselbe: „Augen auf, im Straßenverkehr!“. Warum eigentlich nicht? Die meisten Leute ließen dieses Mini-Schild anbringen. Und damit war es Geschehen. Der Forscher hatte sprichwörtlich einen Fuß in der Tür des Probanden.

Damit hatten sich die Hausbewohner ja irgendwie schon für eine solche Aktion ausgesprochen. Als der Forscher zwei Wochen später mit der großen Bitte ankam, war es für die Hausbesitzer natürlich ungemein viel schwerer: „Nein“, zu sagen, als wenn sie zwei Wochen zuvor nicht eingewilligt hätten. Denn jetzt würden sie sich inkonsistent fühlen, wenn sie der Bitte nicht nachkommen. Eine kognitive Dissonanz entstünde.

4. Zweck heiligt Mittel

Exakt diese Strategie verfolgen auch viele Spendenorganisatoren.  Sie gehen auf dich zu und fragen: „Hey, findest du nicht auch, dass viel mehr Knochenmark gespendet gehört?“ Klar findest du das. „Dann unterschreibe bitte noch hier. Damit zeigst du, dass du für schrecklich kranke Leute einstehst.“ Selbstverständlich tust du das. Und jetzt fragt dich der Aktivist noch, ob du nicht selbst auch Knochenmark spenden willst? Du siehst ja schließlich gesund aus und bist doch für Knochenmarkspenden. Es ist wirklich verdammt schwer, dann noch: „Nein“, zu sagen.

Wort und Tat sollen doch im Einklang zueinander stehen, man möchte doch konsistent erscheinen. Vor dem Gegenüber, und auch vor sich selbst.

Sicherlich, es ist nicht ganz aufrichtig, seine Spender so zu präparieren und schließlich zu fangen. Aber der Zweck heiligt in diesem Fall - so finde ich - die Mittel.

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