Kein Thema berührt, mit Ausnahme der Kosmologie, das Selbstverständnis des Menschen so sehr, wie das der Entstehung des Lebens auf der Erde. Heute, nach jahrtausendelanger Vorherrschaft mystischer Schöpfungsvorstellungen, beginnt sich der Nebel der Unwissenheit ganz allmählich zu lichten. Obwohl wir noch immer nicht in der Lage sind (und es vermutlich auch niemals sein werden), den Verlauf des Lebens in allen Details zu rekonstruieren, das heißt die historisch einmaligen Randbedingungen und komplexen chemischen Vorgänge, die sich in grauer Vorzeit auf der Erde abspielten, vollständig zu entflechten, sind wir dennoch in der Lage, die Notwendigkeiten, das heißt die physico-chemischen Mechanismen im Labor zu erforschen. Anhand der experimentellen Ergebnisse lassen sich dann Rückschlüsse ziehen, unter welchen Bedingungen irdisches Lebens möglicherweise entstanden ist, so dass wir die chemische Evolution naturwissenschaftlich erforschen und wenigstens im Allgemeinen und Prinzipiellen verstehen und erklären können. Dies unterscheidet naturalistische Entstehungstheorien von supernaturalistischen Schöpfungsvorstellungen, denn die postulierten, übernatürlichen Vorgänge lassen sich nicht empirisch-wissenschaftlich erforschen, können letztlich immer nur geglaubt werden und tragen nichts zum kausalen Verständnis der Vorgänge in der Welt bei. Der Prozess der Lebensentstehung, den es zu erklären gilt, wird mit anderen Worten nur in ein unerforschliches Mysterium ausgelagert. Eine erklärungsmächtige, wissenschaftliche, rational begründete Schöpfungstheorie kann es daher nicht geben, so dass sie nicht als ernstzunehmende Alternative zum naturalistischen Konzept infragekommt.
Nichtsdestotrotz erfreuen sich Schöpfungstheorien, die die Entstehung und Entfaltung des Lebens auf den "unforschlichen Ratschluß" des Schöpfers zurückführen und uns eine kosmische Geborgenheit sowie einen festen Platz im Weltgefüge versprechen, nach wie vor großer Beliebtheit. So ist heute bei einer steigenden Zahl von Menschen die Evolutionstheorie wieder "out", die These der biblischen Weltschöpfung dagegen "in". Der vorliegende, populärwissenschaftlich geschriebene Essay soll dem Leser hingegen eine konsequent naturwissenschaftliche Sichtweise der Lebensentstehung vermitteln und zeigen, dass auch und gerade die modernen, naturalistischen Naturwissenschaft faszinieren kann, weil nur sie den Schlüssel zum kausalen Begreifen der Vorgänge in der Natur in sich trägt. Denn wenn man die Evolution mit bedenkt, kommt zum Staunen über die innige Verflechtung von Ursache und Wirkung der chemischer Prozesse in der Natur das Staunen über die Selbstorganisation der Materie, deren Prinzipien sie zu immer neuen Erscheinungsformen lenken konnte.
Demgegenüber wirken die "Erklärungen" und "Argumente" der Verfechter einer Schöpfungslehre mühsam und unglaubwürdig. Das einzige, was tatsächlich als Erklärung gelten kann, ist die Aussage, dass der Schöpfer die Welt, die physico-chemischen Prinzipien und das Leben auf mysteriöse Weise und aus irgend einem Grunde so erschaffen hat, wie es ihm gefielt. Damit werden die methodologischen Prinzipien der Naturwissenschaft verlassen und zerstören das intellektuelle Verlangen nach kausalem Begreifen der Welt. Erst das Verständnis der Kausalbeziehungen lehrt uns, dass wir im Lichte naturalistischer Theorien keinesfalls aus der weltlichen Geborgenheit herausgerissen werden, sondern dass wir uns erst recht in einem rein naturgesetzlich verstehbaren Universum zuhause fühlen dürfen. "Das unbegreifliche und faszinierende an der Welt ist," so hatte EINSTEIN sinngemäß einmal festgestellt, "dass wir sie verstehen können."
Eines der Urgeheimnisse dieser Erde, die Entstehung des Lebens, war jahrtausendelang ein unlösbares Mysterium und wurde lange Zeit nur der Kraft einer geheimnisvollen göttlichen Schöpfung zugeschrieben. Rund 300 vor Christus war Aristoteles noch überzeugt, dass "Würmer, Motten und Kröten spontan durch göttliche Schöpfung aus nasser Erde, Bienen aus Exkrementen" entstünden. Die Beobachtung des Alchimisten Helmont schien etwa im Jahre 1577 die Theorie der spontanen Genese aller Kreaturen zu stützen. Er gab Getreidekörner und schmutzige Wäsche zusammen und beobachtete, dass dem Gemenge nach einiger Zeit Mäuse entsprangen. Seine Schlussfolgerung war einfach: Ein Stoff in der verschmutzten Wäsche musste unmittelbar zur Bildung von Mäusen führen. Bald darauf schien die "Tatsache", dass sich aus toten Tierkörpern Fliegen und Maden sowie aus Rinderkot Bienen "entwickelten", zu zeigen, dass die Abiogenese offenbar das Vorhandensein organischer Materie voraussetzte (siehe Abbildung 1). Die "spontane Urzeugung" schrieb man einer geheimnisvollen Vitalkraft, der sogenannten vis vitalis zu, derzufolge Leben nicht aus anorganischer, toter Materie, sondern nur aus organischen Substanzen gebildet werden konnte.
Abbildung 1: Im 16. Jahrhundert glaubte man, daß Mäuse spontan aus Getreide und schmutziger Wäsche, Bienen aus Tierkot und Fliegen aus Muskelfleisch entstünden. Später erkannten Alchimisten, daß Fliegen und Bienen nur dann "entstehen", wenn Muskelfleisch und Kot nicht von der Umwelt abgeschlossen sind.
Andere Wissenschaftler widersprachen derartigen Thesen heftig und vertraten die Meinung, daß Lebewesen stets nur aus Lebewesen ihrer Art hervorgehen könnten. Allerdings hatte noch Lamarck, der 1809 (im Geburtsjahr Darwins) erstmals eine Evolutionstheorie niedergeschrieben hatte, noch die Idee spontaner Urzeugungen verfochten; ein Gedanke, der im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert allgemein weit verbreitet war. Erst im Jahre 1884 wurde der Disput entschieden, nachdem der französische Arzt Louis Pasteur in einer Reihe von Versuchen zeigen konnte, daß sich Mikroorganismen keinesfalls spontan bilden können: "Omne vivum e vivo", alles Leben stammt von Leben ab.
Diese Erkenntnis Pasteurs, welche die endgültige Klärung dieser Frage erbrachte, hat bis heute Gültigkeit. Lebewesen können unter den gegenwärtig herrschenden irdischen Bedingungen nicht spontan aus unbelebter - sei es organische oder anorganische - Materie entstehen. Allerdings sagt diese Feststellung nichts über die Möglichkeit spontaner Urzeugungen unter ganz anderen Verhältnissen, als sie heute auf der Erde herrschen, aus. Gab es möglicherweise in einer früheren Epoche der Erdgeschichte Bedingungen, welche die spontane Entstehung von Leben aus anorganischer Materie ermöglichten oder welche Leben gar zwingend (im Sinne einer Konsequenz der Urchemie) hervorbringen mußten? Gab es womöglich eine Urschöpfung weitab vom Terrain religiös-mystischer Vorstellungen über eine göttliche Intervention?
Wie man diversen Lehrbüchern über terrestrische Bedingungen entnehmen kann, besteht die Luft zu rund 78% aus Stickstoff und zu 21% aus Sauerstoff. Man spricht ob des hohen Gehalts an Sauerstoff von einer oxidierend wirkenden Atmosphäre, die über kurz oder lang Stahlblech zum Rosten bringt, organische Substanzen chemisch angreift und Lebewesen altern lässt. Doch sie ist auch stets eine lebensspendende Atmosphäre, ohne die gegenwärtig kein Leben möglich wäre. Die Wissenschaft ist heute in Lage anhand von Gaseinschlüssen in uralten Gesteinsschichten schlüssig zu belegen, dass die Zusammensetzung unserer Atmosphäre bereits vor rund 350 Millionen Jahren, in der erdgeschichtlichen Epoche des Perm also, im wesentlichen dieselbe war wie heute. Der aggressive Sauerstoff (insbesondere in Form atomarer Radikale, die chemisch nicht abgesättigten Valenzen enthalten) verhindert aber jede spontane Entstehung von Leben, zerstört zahlreiche organische Verbindungen rasch und wirkt fast ebenso stark oxidierend wie elementares Chlor. Selbst niedrige Chlorkonzentrationen in der Atemluft führen zu schweren Lungen- und Hautverätzungen und nach kurzer Zeit zum Tode. Nur einem ausgeklügelten Enzymsystem im Stoffwechsel eines jeden Lebewesens ist es zu verdanken, dass wir nicht binnen kurzer Zeit durch Luftsauerstoff getötet werden.
Abbildung 2: Im Laufe der Jahrmillionen wurde das Kohlendioxid aus der Atmosphäre herausgefiltert und im Meer gelöst. Dort entstanden im Laufe der Zeit gewaltige Kalk-Sedimente, die sich, durch tektonische Kräfte im Erdinnern zu Gebirgen auffalteten. Unsere heutige Atmosphäre unterscheidet sich daher von der Uratmosphäre und der sog. "ersten Atmosphäre" fundamental.
Gehen wir allerdings in der Erdgeschichte an den Anfang zurück, stellen wir fest, dass sich der chemische Aufbau der Atmosphäre wesentlich vom heutigen unterschieden und sich während Jahrmilliarden mehrmals geändert haben muss. Erst vor gut 350 Millionen Jahren war ein chemisches Gleichgewicht erreicht, das bis heute - von geringfügigen säkularen Schwankungen abgesehen - recht stabil geblieben ist. Unser naturwissenschaftlicher Kenntnisstand versetzt uns in die Lage, die Entwicklung der Erdatmosphäre während der langen Zeiträume der Erdgeschichte chronologisch nachzuvollziehen. Daraus ergibt sich in etwa folgendes Bild:
Als vor 4,6 Milliarden Jahren die Erde durch die Zusammenballung kosmischer Materie entstand, mußte die Oberflächentemperatur der Erde weit über 1000 Grad Celsius betragen haben, aufgrund radioaktiver Zerfallsprozesse, Meteoriteneinschläge und der adiabatischen Kontraktionswärme glutflüssig gewesen sein. Die hohe Temperatur bewirkte, daß sich die damals bereits vorhandene sogenannte Uratmosphäre ("Primordialatmosphäre") weitestgehend in den Weltraum verflüchtigte und dabei der Anteil an Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenoxiden und Edelgasen um mindestens den Faktor 1000 abnahm. Es gingen überwiegend Wasserstoff, Helium, Argon, Wasser, Ammoniak, Methan, und Kohlendioxid verloren. Spekralanalysen der erdferneren Planeten Jupiter und Saturn legen folgende Zusammensetzung der Atmosphären nahe: Neben Wasserstoff und Helium bilden Methan und Ammoniak die Hauptbestandteile. Auf der Erde verflüchtigten sich jedoch Wasserstoff und Helium, so daß Methan und Ammoniak in der Primordialatmosphäre verblieben sein dürften.
Vor etwa 4,2 Milliarden Jahren hatte sich die Erde soweit abgekühlt, daß sich flüssiges Wasser auf ihr halten konnte, das beständig aus dem Erdinnern ausgaste. Wie man heute weiß, waren die Gase dieser nachfolgenden ersten Atmosphäre allesamt vulkanischen Ursprungs. Nach der Abkühlung der Erdoberfläche setzte zudem eine Fragmentierung ein, die zu dem typischen Aufbau des Erdinnern führte. Zeitgleich bildeten sich das Weltmeer und die Atmosphäre aus.
Diese sogenannte erste Atmosphäre ging aus einem einen gewaltigen Hochofenprozeß hervor, der zu einer Reduktion von Eisen- und Nickeloxiden führte. Die reduzierten Metalle sanken in die Tiefe ab und bildeten den Erdkern. Dabei erhöhte sich der oxidative Charakter der Atmosphäre; Methan und Ammoniak wurden oxidiert. Daher ist nach den neuesten Erkenntnissen anzunehmen, dass die erste Atmosphäre nicht, wie zunächst angenommen, aus Methan und Ammoniak, sondern - nebst Spuren von Methan und Ammoniak - im wesentlichen aus Wasser, Kohlendioxid, Stickstoff und Kohlenmonoxid bestand. Heute geht man von dem Gedanken aus, dass die erste Atmosphäre etwa dieselbe Zusammensetzung gehabt hatte, wie die heute noch von Vulkanen ausgestoßenen Gase, so dass ungefähr folgende Zusammensetzung als wahrscheinlich gilt:
80% Wasser und Stickstoff, 10% Kohlendioxid, 7 % Schwefelwasserstoff, 0,5% Kohlenmonoxid, 0,5% Wasserstoff, Spuren an Methan und Ammoniak.
Durch die Kondensation des Wassers setzte ein etwa 40000 Jahre andauernder Regen ein, der zu einer relativen Anreicherung der übrigen Gase führte. Die Atmosphäre war schwach reduzierend und bestand jetzt hauptsächlich aus Kohlenoxiden, Stickstoff und Wasserstoff. Bemerkenswert ist auch, daß man Vulkane und Geysire kennt, deren Exhalationsprodukte relativ reich an Methan und Ammoniak sind, so daß man annehmen muß, daß reduzierende Gase in Nischenbereichen der Urerde stellenweise höhere Konzentrationen erreicht haben dürften.
Durch den Einfluß der Sonne, die immer stärker zu strahlen begann, wurden die reduzierenden Gase der ersten Atmosphäre aber auf den sonnennahen Planeten (Venus und der Erde) in zunehmendem Maße wieder chemisch gespalten. Die verbliebenen Elemente verbanden sich, chemischen Regeln folgend, zu Kohlendioxid und Stickstoff. Das Kohlendioxid löste sich teils im Meer unter Bildung gewaltiger Carbonatsedimente und wurde teils infolge veränderter vulkanischer Aktivitäten durch ausgasenden Stickstoff und Wasserdampf verdrängt. Es bildete sich daher eine Lufthülle, die im wesentlichen aus Stickstoff mit Beimengungen von Wasser, Kohlendioxid und Argon bestand. Vor etwa 3,4 Milliarden Jahren hatte sich diese sogenannte zweite Atmosphäre vollständig ausgebildet, die nun weder reduzierend, noch oxidierend war. Durch den Löseprozeß des Kohlendioxids im Meer verringerte sich überdies auch der Treibhauseffekt, so daß sich die noch immer recht warme Erdatmosphäre weiter abkühlen konnte (siehe Abbildung 2).
Durch die Entstehung des Lebens wandelte sich die Atmosphäre schließlich ein drittes Mal. Aufgrund der Entwicklung der ersten primitiven Autotrophen (wie Cyanobakterien bzw. blaugrüne Algen) vor etwa 3,5 Milliarden Jahren, wurde nach und nach das Kohlendioxid bis auf einen kleinen Rest beseitigt, denn sie "veratmeten" das Kohlendioxid unter Bildung von Sauerstoff. Dieser Sauerstoff reicherte sich zunächst im Meerwasser an. Vor etwa 2,5 Milliarden Jahren entstanden somit riesige Eisenoxidablagerungen auf dem Meeresboden. Vor etwa 2 Milliarden Jahren war fast das gesamte Eisen im Meer als Oxid ausgefällt und der Sauerstoff begann in die Atmosphäre auszugasen. Im Laufe der Evolution paßten sich die Lebewesen nach und nach an die immer mehr oxidierend wirkende Atmosphäre (welches jetzt das "Stoffwechselgift" Sauerstoff enthielt) an, und aerobe Einzeller begannen gar, den Sauerstoff zur effizienten "Nahrungsveratmung" zu nutzen.
Mit zunehmender Konzentration des Sauerstoffs in der Atmosphäre wurde dieser vermehrt durch die nach wie vor hohe UV-Einstrahlung der Sonne in atomaren Sauerstoff gespalten. Dieser "aktive" Sauerstoff verband sich mit molekularem, "normalem" Luftsauerstoff zu dreiatomigem Ozon. In rund 15-30 km Höhe bildete sich die stratosphärische Ozonschicht aus, welche für die Evolution des Lebens von entscheidender Bedeutung war. Das stratosphärische Ozon filtert heute rund 70% der UV-Strahlung heraus und ermöglichte vor rund 350 Millionen Jahren die Entstehung der ersten Landlebewesen.
Vor rund 400 Millionen Jahren hatte sich die Ozonschicht vollständig ausgebildet, so daß das Leben unter dem Schutz dieses UV-Filters eine explosionsartige Entwicklung erfuhr, die schließlich auch zur Entstehung des Menschen führte. Seit 350 Millionen Jahren ändert sich praktisch nur noch die Zusammensetzung der Spurengase. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß kurz nach der Entstehung der Erde ganz andere Verhältnisse auf der Erde existierten als heute. Doch wie war es möglich, daß die Entstehung des Lebens in dieser scheinbar so lebensfeindlichen ersten Atmosphäre überhaupt entstehen konnte?
Bereits Charles Darwin stellte sich vor über 100 Jahren die Frage, wie aus anorganischen Kleinmolekülen Leben hatte entstehen können. Er dehnte den Evolutionsgedanken auch auf die unbelebte Natur aus; später wurde von der "kosmischen und chemischen Evolution" gesprochen. Fast alle Naturwissenschaftler griffen die Theorie auf, nach welcher auf chemischer Ebene aus den Spurengasen der ersten Atmosphäre, wie Methan, Ammoniak und Kohlenmonoxid, kompliziertere Substanzen hervorgehen sollten, aus denen sich immer komplexere Systeme bildeten, die schließlich zur Bildung der ersten Einzeller führten.
In den 20er Jahren formulierten der russische Biochemiker Oparin und der Brite Haldane diese allgemeine Vermutung in ihrer bekannten "Theorie der Ursuppe". Danach sollten biotisch relevante, organische Verbindungen durch chemische Prozesse in der Atmosphäre entstehen, sich in den Weltmeeren anreichern und eine Art "Ursuppe" bilden, der im Laufe der Zeit komplexe Biosysteme entstiegen. Ein großes Problem war jedoch, dass diese Hypothese lange Zeit empirisch nicht zu stützen war. Zahlreiche Kritiker zogen gegen den Gedanken zufelde und bemerkten, dass die Entstehung von Biomolekülen unter physico-chemischen und präbiotischen Bedingungen ganz und gar unwahrscheinlich war. Vor allem waren es die Kreationisten, welche die offene Frage wieder einmal durch ihre "Lückenbüßer-Theologie" ausfüllen wollten.
Doch im Jahre 1953 hat der Chemiker Stanley Miller in seinem berühmt gewordenen Experiment einen historisch entscheidenden Schritt zur Klärung der Frage getan, der das ganze Koordinatensystem verschoben und dazu geführt hat, dass die "Lückenbüßer-Theologie" - wie so oft in der Wissenschaftsgeschichte - wieder einmal einen Schritt zurückweichen musste. Miller konnte nämlich zeigen, dass die Entstehung von Biomolekülen (ja sogar eines ganzen Repertoirs komplizierter Verbindungen) unter physico-chemischen und gewissen präbiotischen Bedingungen eben doch möglich ist.
Insofern ist es nicht sehr effektvoll, wenn heute wieder geglaubt wird, man bräuchte dieselbe Argumentationsstrategie einfach nur auf die nächsthöhere Ebene auszulagern, dazu weitere offene Fragen und Kontroversen zur Diskussion stellen und meinen, damit die Bedeutung des Miller-Experiments erschüttert zu haben. Völlig ungeachtet des Umstandes, daß Miller noch zahlreiche Fragen unbeantwortet ließ (die auch bis heute offen geblieben sind), ist doch klar, daß er ein beweiskräftiges Mosaiksteinchen zum Gesamtbild beitrug, das Bestand hat. Somit kann die Strategie, das Zurückweichen des "god of gaps" einfach durch das Stellen neuer Fragen zu überspielen, wissenschaftsmethodisch nicht überzeugen.
Miller simulierte dazu im Mikromaßstab die hypothetischen atmosphärischen Bedingungen, die auf der Urerde vor rund 4 Milliarden Jahren geherrscht haben könnten: In einem Kölbchen brachte er Wasser zum sieden. Der Wasserdampf gelangte über ein Glasrohr in einen Rundkolben seiner Apparatur, der zuvor mit einem Gemisch aus Methan, Ammoniak und Wasserstoff befüllt worden war (siehe Abbildung 3). Über zwei Wolframelektroden wurde eine hochenergetische Funkenentladung erzeugt, die in der "Reaktionszone" eine Temperatur von bis zu 600 Grad Celsius erzeugte. Die Funkenstrecke simulierte die ungeheuren elektrischen Entladungen, die in der Frühzeit der Erde geherrscht haben mussten, als die noch heiße Atmosphäre mit Wasserdampf gesättigt war und gewaltige Unwetter herrschten.
Überdies konnte die harte UV-Strahlung der noch jungen Sonne die Erde ungehindert erreichen, da eine schützende Ozonschicht aufgrund fehlenden Sauerstoffs noch sehr unvollkommen ausgebildet war; diese Strahlung ermöglichte ebenfalls komplexe Reaktionen. Die thermodynamisch sehr instabilen Verbindungen Methan und Ammoniak reagierten unter diesen Bedingungen mit Wasserdampf und Wasserstoff der Atmosphäre und brachten, wie Miller überzeugend zeigen konnte, eine Fülle organischer, biologisch wichtiger Verbindungen hervor.
Abbildung 3: Mit einfachsten Mitteln zeigte Stanley Miller, wie sich aus den Komponenten der ersten Atmosphäre die Bausteine des Lebens auf der frühen Erde bilden konnten. Dazu füllte er in einen gläsernen Rundkolben Methan, Ammoniak und Wasserstoff ein und setzte das Gasgemisch elektrischen Funkenentladungen aus. Wasserdampf gelangte über ein Rohr ebenfalls in die Apparatur. Nach einigen Tagen ließen sich praktisch alle biotisch bedeutsamen organischen Verbindungen in der Vorlage nachweisen.
Im Laufe mehrerer Tage sammelten sich in der Vorlage (Abbildung 3, rechts unten), nebst eines teerartigen Kondensats, bedeutsame Mengen organischer Moleküle. Recht zahlreich waren die Bemühungen derer, die Miller's Versuch in der ganzen Welt - und unter vielfach abgewandelten Reaktionsbedingungen - wiederholten. Manche Experimentatoren bedienten sich anstelle des Methans Kohlenmonoxids, andere setzten Kohlendioxid und elementaren Stickstoff, wieder andere Blausäure und Formaldehyd (die intermediären Folgeprodukte der photochemischen Umsetzung von Methan und Ammoniak) oder Dicyan und Kohlendioxid ein. Wieder andere legten die heute angenommene Zusammensetzung der ersten Atmosphäre ihren Experimenten zugrunde, experimentierten also mit Kohlendioxid, Wasser und Kohlenmonoxid neben Spuren von Wasserstoff.
Interessanterweise meldeten fast alle Experimentatoren Erfolge, kaum einer zog eine Niete. In zahlreichen Fällen ließen sich Intermediate (wie z. B. Cyanide, Aldehyde, Carbamate, Carbodiimide und Amine) nachweisen, wobei im Laufe mehrerer Tage in den Apparaturen zahlreicheAminosäuren, niedere Carbon- und Fettsäuren als Folgeprodukte entstanden. Im Laufe der Zeit füllte die Zahl nachgewiesener Biomoleküle schließlich ganze Bücher. Bis heute sind praktisch alle relevanten Aminosäuren, Lipide, Purine (Nucleotidbasen) und Zucker in den Ursuppenexperimenten der "2. Generation" erzeugt worden, ja selbst die Bildung solch komplexer -unter gleichsam unspezifischen Bedingungen erzeugter - Verbindungen wie Porphyrine und Isoprene wurde vermeldet. Hoimar v. Ditfurth schrieb dazu:
"Es schien vollkommen gleich zu sein, auf welche Ausgangsstoffe man zurückgriff. Hauptsache war, daß das Gemisch Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff enthielt, jene Atome, die den Hauptteil aller lebenden Materie bilden (...) Mit welchen Mitteln auch immer man die Bedingungen der Ur-Erde zu kopieren versuchte, in praktisch jedem Fall entstanden die komplizierten Moleküle, deren 'abiotische Genese' deren Entstehung ohne die Anwesenheit von Lebewesen nicht nur so vielen vorangegangenen Forschergenerationen, sondern auch den Männern, die diese Versuche jetzt durchführten, bis dahin so geheimnisvoll erschienen war."
Zu Beginn der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als sich die Hypothese der natürlichen Lebensentstehung noch weit im Spekulativen befand, begründete der Chemiker Harold C. Urey die wissenschaftliche Basis für Millers fundamentales Experiment. Urey, seinerzeit ein ausgewiesener Experte im Bereich der Atmosphärenchemie, wies darauf hin, daß die Lufthülle der Urerde eine andere Zusammensetzung gehabt haben mußte, als die heutige. Methan, Ammoniak und Wasser sollten neben wenig Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Wasserstoff die Erdatmosphäre gebildet haben, während Sauerstoff praktisch nicht vorkommen sollte. Heute glauben wir, daß seine Annahmen nicht ganz korrekt waren; die Konzentration an reduzierenden Gasen, wie Methan, Ammoniak, Kohlenmonoxid und Wasserstoff dürfte ungleich niedriger (die Atmosphäre aber dennoch schwach reduzierend) gewesen sein.
Wie bereits ausgeführt, war die Urerde aufgrund ihrer Nähe zur Sonne jedoch einer harten UV-Strahlung ausgesetzt, die das Methan und Ammoniak im Laufe der Zeit wieder photolytisch zerlegte. Es entstanden Kohlendioxid, chemisch inerter Stickstoff und Wasser; allesamt Gase, die die zweite Atmosphäre ausprägten. Diese Verbindungen wären in viel geringerem Maße zur Bildung biogener Kleinmoleküle in der Lage gewesen, die zur Entstehung von Leben hätten führen können.
Abbildung 4: Planetarer Ringnebel M 57 im Sternbild Leier (Entfernung ca. 4100 LJ) - einer der schönsten planetarischen Ringnebel. Der Nebel schließt wie eine Hülle einen heißen Zwergstern ein. Vor langer Zeit kollabierte der Stern und stieß den größten Teil seiner Masse explosionsartig in den Raum hinaus. Seitdem erinnert ein Kranz aus Gas und Staub an seine einstige Existenz. Solch interstellare Materie stellt vermutlich die Wiege des Lebens dar, denn aus solcher Materie ist das Planetensystem entstanden. Man hat bereits organische Verbindungen in interstellarem Gas nachgewiesen.
Deshalb standen viele Wissenschaftler, darunter auch der britische Astronom Fred Hoyle, Millers Ursuppentheorie außerordentlich skeptisch gegenüber. Hoyle vertrat den Standpunkt, die Entstehung des Lebens aus einer Ursuppe wäre höchst unwahrscheinlich gewesen, zumal die lebensfeindliche Strahlung der Sonne auch die empfindlichen organischen Reaktionsprodukte wieder aufgespalten hätte. Er selbst vermutete den Ort der Lebensentstehung im Weltall. Mittlerweile konnte man spektroskopisch Aminosäuren und Zucker im interstellaren Gas nachweisen (siehe Abbildung 4). Dieselben Verbindungsklassen fand man auch in den Eisen-Nickelkernen von Meteoriten.
Doch es ist einleuchtend, daß die Theorie der extraterrestrischen Entstehung von Leben nur zu einer Verlagerung des Problems führt. Außerdem ist die Konzentration organischer Verbindungen in Meteoriten wohl zu gering, als daß sie zu einer stürmischen Entstehung des Lebens auf der Erde hätten führen können. Die Theorie der extraterrestrischen Abiogenese konnte sich daher in Wissenschaftskreisen nicht allgemein durchsetzen, wird aber heute wieder vermehrt diskutiert (siehe Spektrum der Wissenschaft, Mai-Ausgabe 2000). Die Einwände gegen die Entstehung des Lebens auf der Urerde mußten aber nichtsdestoweniger sehr ernst genommen werden. Urey nahm die Herausforderung an und wandte sich nochmals der Zusammensetzung der Atmosphäre zu. Dass sie zunächst hauptsächlich aus Methan und Ammoniak, eventuell Stickstoff, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid bestand, erschien damals noch plausibel; doch daneben musste sie auch Wasserdampf enthalten haben. Urey hatte nun angenommen, dass die UV-Strahlung zu einer photolytischen Spaltung des Wasserdampfes geführt haben musste. Der dabei entstandene Wasserstoff verflüchtigte sich aufgrund seiner geringen Dichte ins Weltall, der Sauerstoff blieb zurück und bildete bereits eine schwache Ozonschicht aus.
Zwei Wissenschaftler der Universität Texas, Berkner und Marshall, begannen diesen Effekt mithilfe von Computern zu simulieren und fanden heraus, daß sich aufgrund dieses Effekts eine Gleichgewichtskonzentration etwa 0,1% des heutigen Gehalts an Sauerstoff in der Atmosphäre befunden haben musste. Die aus der Spurenkonzentration des Sauerstoffs resultierende Ozonschicht absorbierte UV-Strahlung im Wellenlängenbereich zwischen 260 und 280 Nanometer besonders wirkungsvoll. Ausgerechnet in diesem Bereich sind aber Aminosäuren, Bausteine des Lebens, besonders empfindlich gegen UV-Strahlung und werden leicht zersetzt. Man muss sich klarmachen, was das bedeutet: Die teilweise Absorption dieser Strahlung ermöglicht ausgerechnet die Existenz von chemischen Verbindungen wie Aminosäuren und anderen Urstoffen, die zur Bildung von Leben von äußerster Relevanz gewesen waren! Dem Entdecker zu ehren wurde dieses Phänomen künftig als Urey-Effekt benannt. Doch war die Konzentration an biogenen Vorläuferprodukten wirklich hoch genug, um eine Zeugung des Lebens zu bewirken, und wie konnte dies konkret geschehen?
Trotz der großen Experimente, die Mitte des letzten Jahrhunderts die Ursuppentheorie so glänzend zu bestätigen schienen, betrachtet man heute die Erkenntnisse wieder etwas skeptischer. Miller und Urey konnten zwar belegen, daß sich praktisch alle relevanten Biomoleküle abiotisch, auf der Grundlage physico-chemischer Gesetze bilden können, doch erwiesen sich die Mengen relevanter Biomoleküle als relativ bescheiden. Zu Urey's Zeiten glaubten die Verfechter der Ursuppentheorie noch an eine Beschaffenheit des Urozeans, der sich als wahre "Kraftbrühe des Lebens" ("chicken broth") mit einem Anteil organischer Verbindungen von bis zu 10% darbot. Heute gelangt man im Rahmen fortschreitender Simulationsversuche immer mehr zu der Einsicht, daß die Konzentration (nicht zuletzt infolge der hohen UV-Strahlung) wohl so gering ausgefallen war, daß komplexe Biostrukturen durch zufällige chemische Umsetzungen im freien Wasser nicht entstehen konnten!
Es gibt noch eine Reihe weiterer Argumente gegen die Ursuppentheorie, wie etwa die Tatsache, daß sich längerkettige Biomoleküle (Polykondensationsprodukte wie z. B. Oligopeptide oder Proteine, Oligonucleotide usw.) im Urozean nicht bilden können. Durch großer Mengen Wasser wird die Entstehung langer Aminosäure- und Nucleotidketten verhindert; bereits kleine Ketten spalten wieder auf. Außerdem ist Energie nötig, um Aminosäuren A, B, C etc. zu einem linearen Kettenmolekül A-B-C... zu verbinden - woher kam diese? Ein weiteres Problem besteht in der geringen Stabilität wässriger Zucker- und Aminosäurelösungen; die Produkte zerfallen in der Regel nach kurzer Zeit. Und woher stammen die Katalysatoren, die aus dem heterogenen Reaktionsgemisch in guter Ausbeute ein überschaubares Produktspektrum entstehen und zu kooperativen Systemen weiterentwickeln lassen konnten?
Diese Probleme suchte ein Wissenschaftler der Weizmann-Universität in Israel in den siebziger Jahren zu umgehen. So wies er darauf hin, daß gewisse Tone, die sogenannten Montmorillionite dazu prädestiniert sind, organische Substanzen in ihren Poren zu binden. Glimmer und Montmorillionite sind sogenannte Schichtsilikate, die abwechselnd aus negativ geladenen Silikatschichten und positiv geladenen Kationen aufgebaut sind. Zwischen diese Schichten können sich Wasser und organische Verbindungen, wie Aminosäuren, einlagern, die das Wasser aus diesen Schichten wieder verdrängen. Im Labor hat man nachweisen, daß Aminosäureadenosylate geeignet sind, um Polypeptide und Proteine aufzubauen. In Gegenwart von Montmorillionit lassen sich aus wässriger Lösung Polypeptide mit bis zu 60 Aminosäuren und mehr in praktisch 100-protzentiger Ausbeute synthetisieren.
Heute wird jedoch eine alternative, mit der Ursuppentheorie in Konkurrenz stehende (allerdings weitaus erklärungsmächtigere) Theorie vertreten, die der Chemiker und Münchner PatentanwaltGünter Wächtershäuser entwickelt hat. Seine Theorie des Oberflächenmetabolismus oder "Biofilms" geht davon aus, daß sich polymere Verbindungen, einfache Reaktionssysteme und primitive Einzeller - nicht retrograd aus einer Ursuppe bildeten, sondern daß sie auf der Oberfläche katalytisch aktiver, im Meer vorkommender Mineralien entstanden.
Ein wichtiger Faktor ist hierbei die sogenannte Reaktionsentropie: Nimmt die Reaktionsentropie stark zu (was in Lösung immer der Fall ist), so wird das Reaktionsgleichgewicht auf die Seite der Spaltungsprodukte verschoben. Nimmt sie dagegen nicht oder nur geringfügig zu, wie dies bei Oberflächenreaktionen der Fall ist, so wird das System zur Synthese getrieben. Deshalb ist in einer gebundenen Molekülschicht die Bildung von Polymeren auch bei wenig stark aktivierenden funktionellen Gruppen bevorzugt. Außerdem ist die Stabilität oberflächengebundener Substanzen weitaus größer als in freier Lösung, und eine Reihe von Mineralien haben katalytische Wirkung, das heißt sie können selektiv ganz bestimmte Reaktionen ermöglichen oder beschleunigen.
Wächtershäuser nimmt nun an, daß aus einfachen, oberflächengebundenen Zuckern (Glycerinaldehydphosphat und Dihydroxyacetonphosphat) zunächst lange Polymere entstanden (sogenannte "polyhalbacetalische" Strukturen), die Phosphotribose, die als Vorläufer von Nucleinsäuren und bestimmten Co-Enzymen eine Rolle spielen könnte. Aus solchen Vorläufersubstanzen sollen sich stufenweise längerkettige Isoprenoide und Hüllmembrane, desweiteren einfache Stoffwechselprozesse (Metabolismen) und schließlich die genetische Maschinerie gebildet haben. Wächtershäusers Theorie bietet eine elaborierte und vor allem chemisch gut ausformulierte Alternative zur klassischen Theorie, die Bildung der postulierten Substanzen und Metabolismen ist jedoch erst in Ansätzen experimentell untersucht worden. Außerdem setzt die Theorie sehr hohe Temperaturen, ein recht mineralreiches Umfeld und eine Quelle anorganischer Verbindungen voraus. Kann in solch einem Milieu überhaupt Leben gedeihen, und wenn ja, wo findet man diese Bedingungen realisiert?
Die Biologen machten eine interessante Entdeckung, welche die Frage beantworten und Wächtershäusers Theorie stützen könnte: In heißen Schwefelquellen, sogenannten Geysiren im Yellowstone-Nationalpark herrschen, so glaubte man lange Zeit, absolut lebensfeindliche Bedingungen. Das Wasser ist fast kochend, die Temperatur beträgt rund 90 Grad Celsius. Zudem ist es mit Schwefelwasserstoff versetzt, einem für die meisten Lebewesen starken Gift. Überdies ist dort das Wasser so sauer, daß es Löcher in Textilien ätzen würde. Doch selbst unter diesen Bedingungen fanden Wissenschaftler primitive anaerob lebende Mikroorganismen, die nur unter Ausschluß von Sauerstoff existieren können. Diese skurrilen Bakterien vom Stamm der Thermoacidophilen mit dem Namen Sulfolobus gewinnen Energie aus der Oxidation des Schwefelwasserstoffs.
Abbildung 5:
Zeichnung von Bakterien. Sie ähneln denjenigen, die zum Stamm der Thermoacidophilen gerechnet werden. Diese zählen zu den Archaebakterien, die schon auf der Erde existierten, als noch keine anderen Lebensformen entstanden waren. Sie gelten mitunter als die ersten, heute noch existenten Lebewesen auf der Erde.
Sie gleichen Fossilien in uralten Gesteinsablagerungen und werden heute als archaische Vertreter des ersten Lebens angesehen. Dieser Sache gingen Wissenschaftler auf den Grund und fanden Bakterien vom selben Stamm in der Tiefsee, in der ähnliche Bedingungen herrschen wie in den heißen Quellen des Nationalparks (siehe Abbildung 5). Die Bakterien sind in der Nähe von Bruchzonen zweier auseinanderdriftender ozeanischer Platten zu finden, wo aufgrund der Gegenwart glutflüssigen Magmas, das sich dicht unter dem Meeresboden befindet, heißes Wasser austritt. Diese heißen Quellen der Tiefsee bezeichnet man als black smokers, "Schwarze Raucher", weil sie Schwefelwasserstoff emittieren und "Wolken" aus schwerlöslichen schwarzen Metallsulfiden entstehen. Das austretende Wasser ist dort 350 Grad Celsius heiß, der Druck beträgt teilweise mehr als das 300-fache des Atmosphärendrucks. Und doch können diese archaischen Bakterien nur in dieser höllischen Umgebung gedeihen. Diese Funde legen den Schluß nahe, daß die ersten Lebensformen unter Ausschluß von Sauerstoff in der Nähe der Tiefsee entstanden sein müssen und später durch aerob lebende Bakterien verdrängt wurden. Nur im sauerstofffreien Milieu der Tiefsee konnten Populationen überleben.
In Anlehnung an die gut zu Wächtershäusers Theorie passenden Befunde halten heute viele Forscher die Tiefsee für die wahre Brutstätte des Lebens: Auch wenn die Organisation von einfachen Molekülen zu großen Biomolekülen und komplexeren Strukturen im freien Wasser sehr unwahrscheinlich war, könnten die Bedingungen in der Tiefsee diesen Prozeß begünstigt haben. Dort herrschten die notwendigen Temperaturen und Drücke, und auch die Minerale (Metallsulfide) waren in der Tiefsee vorhanden. Metallsulfide ermöglichen eine Reihe chemischer Umsetzungen; sie besitzen katalytische Eigenschaften. Weitere Belege für die Annahme, daß das Leben in der Tiefsee entstanden sein könnte, lieferten die Experimente des japanischen Wissenschaftlers Yanagawa aus Tokio, der mit den Komponenten der Ursuppe zu experimentieren begann. Er stellte eine Lösung aus Aminosäuren her und setzte sie denselben Bedingungen aus, wie sie in der Tiefsee herrschen. Das Gemisch wurde im Autoklaven eingeschlossen und 6 Stunden lang einer Temperatur von 260 Grad Celsius sowie einem Druck von 130 bar ausgesetzt. Das Ergebnis betrachtete Yanagawa unter dem Mikroskop, wobei sich folgendes zeigte:
Abbildung 6:
Kleine Mikrosphären unter dem Mikroskop. Die Ähnlichkeit mit primitiven einzelligen Lebewesen (etwa Hefezellen) ist verblüffend. Mittlerweile fand man 3,8 Milliarden Jahre alte Fossilien, die den Mikrosphären sehr ähnlich sehen. Mikrosphären sind in der Lage zu wachsen und kleinere Auswüchse zu bilden, die sich dann von der Muttersphäre ablösen (Knospung).
Zu beobachten waren in allen Versuchen dieser Art stets kleine kugelige Proteinoid-Strukturen von etwa zwei Tausendstel Millimeter Durchmesser, welche zellartige Membrane aufwiesen (siehe Abbildung 6). Diese Kügelchen nennt man Mikrosphären. Die Protein-Membranen sind in der Lage, selektiv gewisse Stoffe, wie den Energieträger ATP, Glucose und andere Substanzen aus der Umgebung aufzunehmen und bestimmte Stoffe wieder auszuscheiden. Diese Mikrosphären sind sogar in der Lage zu wachsen und sich durch Knospung zu "vermehren". Hinzu kommt die erstaunliche Ähnlichkeit mit 3,8 Milliarden Jahre alten Fossilien in zu Stein gewordenen Meeressedimenten, die man in Grönland fand. Sie existierten zu einer Zeit, als die Erde noch jung war und die Evolution ihre großen Experimente erst begann.
Der Biochemiker Prof. Dr. Karl Stetter von der Universität Regensburg ist in Anlehnung an Wächtershäuser der Überzeugung, daß das Leben auf der Oberfläche von Pyrit seinen Anfang genommen hat. Das Eisendisulfid "Pyrit" weist Halbleitereigenschaften auf, worauf sein golden-metallischer Glanz beruht (siehe Abbildung 7). Auf der Oberfläche derartiger Metallsulfide befinden sich Ionen, also freie Ladungsträger, die auf molekularer Ebene nicht durch Gegenladungen kompensiert werden (siehe Abbildung 8). Auf diese Weise können organische Substanzen gebunden werden, die aufgrund der katalytischen Eigenschaften des Pyrits in diversen chemischen Umsetzungen zu komplexen Makromolekülen, Metabolisen und primitiven Protobionten geführt haben könnten.
Abbildung 7:
Pyrit (im Volksmund auch Eisenkies, Katzen- oder Narrengold genannt) besticht durch seinen goldenen Glanz und seine großflächigen Kristalle. In feinster Verteilung bildet es jedoch ein schwarzes Pulver. So entsteht es in der Tiefsee in der Nähe von heißen Quellen in nicht unbedeutenden Mengen.
Dabei hätte Pyrit als "Biokatalysator" und Energiequelle zugleich diesen können: Eisenmonosulfid wird mit Schwefelwasserstoff zu Pyrit und elementarem Wasserstoff umgesetzt. Der Wasserstoff könnte primitiven Bakterien als Energielieferant zur Verfügung gestanden haben. Stetter glaubt, daß die ersten "Mikroben" zunächst auf Pyrit als "lebensspendendes Agens" angewiesen waren und sich erst im Laufe der Zeit, nachdem der Genapparat entwickelt war, von ihm ablösten.
Abbildung 8: Räumliches Gitter von Pyrit. Die roten Kugeln repräsentieren die zweifach negativ geladenen Disulfidanionen, die blauen Kugeln die zweifach positiv geladenen Eisenkationen. An der Oberfläche des Pyrits werden die Ladungen in atomaren Dimensionen nicht vollständig durch die entsprechenden Gegenladungen kompensiert, so daß sich etwa organische Moleküle anlagern können.
Ob letztlich Pyrit oder andere Mineralien zur Entwicklung des Lebens führte, ist allerdings offen. Bis heute konnten noch keine Mikroben "auf Pyritbasis" nachgewiesen werden.
Panspermie: Die sog. Panspermie löst das Problem der Entstehung des Lebens auch nicht sondern verschiebt es nur auf einen anderen Planeten.
Gastbeitrag von: Martin Neukamm (Buch)
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WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:36)
„Die Entstehung des Lebens aus unbelebter Materie setzt relativ hohe Konzentrationen von Ausgangsstoffen (Bausteinen des Lebens) voraus, aus denen sich komplexere Moleküle bilden können. Hohe Konzentrationen aber können in der Ursuppe sicher nur lokal vorgelegen haben.“
Dieser Einwand, der oft aus dem Lager der Kreationisten gegen eine natürliche Entstehung des Lebens vorgetragen wird, hat zwar kein großes Gewicht: Schon lange ist bekannt, dass sich Moleküle teils selektiv anmineralischen Oberflächen wie Eisen- und Zinksulfid, in den Poren von Tonmineralien und Meteoriten sowie in Fettsäure-Vesikeln anreichern und dort miteinander reagieren können. Gleichwohl waren konkrete, empirisch untermauerte Szenarien dafür bislang Mangelware.
Zwei neuere Studien scheinen diese Lücke nun teilweise zu füllen, wobei in naher Zukunft mit weiteren spannenden Erkenntnissen gerechnet werden darf.
http://evobioblog.de/entstehung-des-lebens-in-der-tiefsee/
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:37)
Spricht die Existenz der Welt und des Lebens für einen intelligenten Schöpfer?
Die Wahrscheinlichkeit für eine Entstehung des Lebens ohne Schöpfer lässt sich zwar nicht genau darstellen, da einige Eckdaten fehlen - sie ist aber definitiv nicht so extrem unwahrscheinlich und unplausibel wie Theisten immer weismachen wollen.
Im Grunde geht es wirklich nur darum, wie wahrscheinlich ein Kettenmolekül entstehen konnte, das die Fähigkeit besaß, sich selbst zu kopieren. Was an sich weder unmöglich noch unplausibel ist, da es eigentlich ein simpler molekularer Vorgang ist, vor allem in einem thermodynamisch offenen System mit Energiezufuhr (Sonnenlicht). Dazu kommt, dass selbst wenn das Leben im Universum mit hunderten Milliarden Galaxien mit je hunderten Milliarden Sternen nur einmal entstanden wäre, wir logischerweise auf diesem leben - was also das Experimentierfeld von einer "Ursuppe" auf viele Trilliarden "Ursuppen" erhöht.
Was aber die Wahrscheinlichkeit der Entstehung des Lebens durch einen Schöpfer angeht, so haben wir da überhaupt keine Daten, da es keinerlei Indiz für einen Schöpfer gibt und sogar einige Grundfragen gegen einen intelligenten Schöpfer sprechen:
a) Der Prozess der Evolution erfordert von seinem Grundprinzip her keine Lenkung (mutativer Drift + funktionale Selektion = Wegsterben des Dysfunktionalen und Übrigbleiben des Funktionalen).
b) Es finden sich in der Natur viele flickschusterhafte "dumme" Konstruktionen, die absolut auf eine ungelenkte Evolution deuten und nicht auf einen "intelligenten" Schöpfer.
c) Es entspricht nicht ethischen Prinzipien, dass ein intelligenter, allwissender und allmächtiger Schöpfer so viel unnötiges Leid durch wegsterbende Fehlmutationen und durch das Prinzip von Fressen und Gefressenwerden entstehen ließe.
d) Psychologisch ist der Glaube an einen Schöpfer als emotionaler Wunsch erkennbar - was die Plausibilität verringert, da es sich um Wunschdenken handelt.
e) Epistemologisch ist das Deuten der Natur als intelligent kreiert ein typischer Fehlschluss, hinter unverstandenen dynamisch-komplexen Prozessen einen intelligenten Akteur zu vermuten.
f) In den Gott zugesprochenen Eigenschaften finden sich massiv logische Widersprüche, die nicht auflösbar sind
g) Es gibt keinerlei Hinweise auf die Existenz eines Gottes, der sich offenbart hat, da alle angeblichen Offenbarungen aufgrund ihrer Fehlerhaftigkeit, Zeit- und Kulturrelativität und mythologischen Abstammung eindeutig menschlicher Herkunft sind.
h) Selbst menschliche Verständnislücken bei der Entstehung von Universum und Leben bedeuten noch lange nicht die Existenz eines Gottes. Genauso wie das Deuten früher unverstandener Naturphänomene wie Blitz und Donner als göttliche Akteure ein Fehlschluss war, so kann auch der Schluss von heutigen Ungeklärtheiten auf eine Gottheit ein Fehlschluss sein.
j) Selbst wenn sich Gründe für eine Existenz eines Gottes / intelligenten Schöpfers der Welt / des Lebens ergeben sollten, so ist damit noch lange nicht geklärt, wie die Gläubigen daraus schließen, dass dieser gerade ihrer Vorstellung ihres Gottes (jüdisch / christlich / islamisch) entspricht - und ob und was diese Gottheit überhaupt von uns will.
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:38)
"Ein sehr interessanter Beitrag, doch stellt sich mir die Frage, was Leben eigentlich ist. Kann nicht auch ein Planet oder sogar das Universum selber leben?"
Eine spannende Frage. Ich habe sie schon einmal in einem anderem Zusammenhang gehört:
Warum suchen Astronomen nur nach extraterrestrischem Leben, das dem unserem ähnelt?
Die Antwort eines Astronomen war verblüffend einfach: Nach welchem Kriterium sollten wir grundlegend anderes Leben überhaupt erkennen? Natürlich könnte auch ein Stein und alles eigentlich alles ein Lebewesen darstellen, wir können aber nur nach solchem Leben Ausschau halten, von dem wir aus eigener Erfahrung wissen, dass es Leben ist und welche Attribute für es hinreichend sind.
Ich denke, dasselbe gilt für deine Frage: Natürlich könnten auch Planeten oder das Universum als Ganzes eine Form von Leben darstellen. Da spricht a priori denke ich überhaupt nichts dagegen.
Aber wir besitzen einfach kein Kriterium, nach dem wir beurteilen könnten, ob sowas tatsächlich der Fall ist oder nicht.
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:39)
http://www.spektrum.de/pdf/spektrum-kompakt-entstehung-des-lebens/1415678?utm_source=FB&utm_medium=AZ&utm_campaign=FB_AZ_KOMPAKT
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:39)
http://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/biologie/biologen-erschaffen-kuenstliches-leben-13371939
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:40)
http://hintergrundstrukturen.de/index.php/therma-naturwissenschaft/206-1-die-entstehung-des-lebens?showall=1&limitstart=
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:41)
https://www.youtube.com/watch?v=qKeR0DmYfJ8&list=UUN-27DQV31ersYTsCeBfOZQ
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:41)
http://de.richarddawkins.net/foundation_articles/2014/8/30/wie-aus-dem-nichts-leben-entstanden-sein-k-nnte#
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:42)
https://www.youtube.com/watch?v=_zHhqrMSOdw&feature=youtu.be
WissensWert (Freitag, 09 September 2016 12:43)
http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/03/25/zwiebelkuchen-und-die-entstehung-des-lebens-auf-der-erde/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=zwiebelkuchen-und-die-entstehung-des-lebens-auf-der-erde