„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Wie wird die Zukunft?

Über das Staunen und das Wundern als Methoden der Prognose

Vor der grenzenlosen Wucht dieser Frage muss jede Antwort versagen. Aber das sie mir – von Journalisten, denen nichts besseres einfällt – immer wieder gestellt wird: Hier ein Versuch, sie als Anlass für eine Reflexion zu nutzen. Über das, was Zukunft „eigentlich” ist. Beziehungsweise: mit uns macht. Oder IN UNS BEDEUTET.

Wenn der Begriff „Zukunft” fällt, werden in unserem Hirn eine Reihe von Synapsen angesprochen, die den Begriff ankern und umgeben. Zukunft kann einerseits

In der Frage steckt zunächst eine interessante Doppeldeutigkeit. Einerseits erfordert sie, dass man mental „in die Zukunft reist”. Und sich dort, quasi wie ein Tourist umsieht. Was sehen wir? Aha, Fliegende Autos... Das muss also die Zukunft sein. Andererseits steckt im „was macht... ?” auch die Frage nach dem Produktionsprozess der Zukunft. Also „was treibt die Welt voran?” oder „nach welchem Prinzip funktioniert Wandel?”

1.    etwas mit sehr persönlichen Wünschen oder Ängsten zu tun haben: dann wird sie zur Frage: „Wie wird des mir irgendwann ergehen?” (die Lese-Motivation für´s Horoskop).

2.    mit einem inneren Weltbild verknüpft sein, einer Ideologie, einem bestimmten Denk-Muster, einer drängenden VISION, die bestätigt oder widerlegt werden will.

Es ist sehr schwer die Zukunft außerhalb dieser Voreinstellungen zu denken. Die erste Motivation führt zu einer Verflachung, die zweite zum Klischee, zum „future Bullshit” wie er an jeder Straßenecke zu hören ist. Die Zukunft wird immer schneller, virtueller, digitaler, gefährlicher, sensationeller und so fort... Der Zukunftsforscher ist EIGENTLICH dazu da, diese Klischees zu bestätigen. DANN wird er gehört. Wenn er spekulativen Unsinn erzählt. Und gefeiert.

Wie können wir aus dieser Falle entkommen?

Es gibt grundsätzlich zwei Arten, die Zukunft mental zu konstruieren. Da ist zunächst die klassische Methode des „Futuristischen”. In dieser Variante – ich möchte sie hier „FUTUR 1” nennen – ist das Kommende eine lineare STEIGERUNG der Gegenwart. Die Tradition dieser Denkweise stammt aus dem Gründungsmythos einer funktionalistischen Wissenschaft, die bestrebt war, das Universum in seine Einzelteile zu zerlegen. Albert Lazlo-Barabasi, der Physiker und Netzwerk-Theoretiker, schrieb in seinem Buch „Linked”: „Hinter den meisten wissenschaftlichen Ansätzen des 20sten Jahrhunderts steht die Idee des Reduktionismus. Um Natur zu verstehen, so heisst es, müssen wir sie in ihre Einzelteile auseinander nehmen. Die Vermutung lautet, dass wir, wenn erst wir die Teile genau kennen, wir das Ganze verstehen.” (nach Brooks S. 108).

Im reduktionistischen „FUTUR 1” ist die Zukunft , zum Beispiel, ein Produkt schlichter Beschleunigung. Sie sieht so aus wie auf dieser Zeichnung/ Meldung, die im Februar 2016 auf ZEITonline, stand: www.zeit.de.

 

Interessant ist, dass diese Zukunft gewissermassen ZEITLOS ist. Die Abbildung findet sich fast unverändert in meinem Archiv von Zukunftsbildern in Heften von 1901, 1910, 1955, 1960. 1061, 1962, 1966, 1967 und 1989. Immer fliegt ein Flugzeug in utopischer Stromlinienform über einer Großstadt mit vielen Hochhäusern. DAS also ist Zukunft. Die STANDARD-Zukunft.

 

In der Zwischenzeit gab es sogar ein Flugzeug, das noch deutlich „utopischer” aussah, die Concorde, die aber längst im Museum steht. Der IDEE des technisch beschleunigten Morgen tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Es ist, als ob die AUSGESTEUERTE Zukunft die fiktive nur noch bestätigt.

 

Auffällig ist, dass in diesen klassischen utopischen Bildern, deren goldene Zeit in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts lag, selten Menschen zu sehen sind. Auf den vielen Utopie-Bildern in meinem Archiv sind Menschen entweder kleine Würmer, die in gewaltigen architektonischen Gebilden herumwimmeln. Oder seltsam aus der Zeit gefallene Anachronismen. Da steigt dann der Papi mit Hut und Aktentasche ins Atomauto, und die Hausfrau winkt mit Schürze von der Tür des vollautomatischen Bungalows...

 

Im „FUTUR 1” ist die Frage nach der Zukunft des Menschen – oder des Menschlichen – ziemlich schnell beantwortet: Wir sind nicht so wichtig! Menschliches Verhalten und Erleben ist nur das RESULTAT übergeordneter Codes, die sich im Technischen, im Wirtschaftlichen, im großen, digitalen Beschleunigungsraum vollziehen. Liebeskummer? Scheidungskrisen? Elternfreuden? Nichts als Restbestände der Vergangenheit, also unserer heutigen Gegenwart.

 

Das „FUTUR 1” gehört dem WUNDERN. Es lässt deshalb unsere inneren Synapsen aufleuchten, weil wir uns in geradezu kindischer Weise drüber freuen können, wie bunt, schnell, „geil” alles geworden ist. Unsere Wünsche (oder Befürchtungen) werden befriedigt. Die Zukunft ist ein Themenpark mit dem Motto „Zukunft”. Ungefähr so wie die utopische Stadt, auf die George Clooney und der kleine Tom im gleichnamigen Disneyfilm bewundern.

 

„FUTUR 2” dagegen konstruiert Zukunft aus einem anderen mentalen Prozess, einer völlig unterschiedlichen Denkweise. Während beim Wundern unsere affektive kindliche Sensationslust befriedigt wird – unsere NEU-GIER – verändert sich beim Staunen etwas in uns selbst. Wir machen eine Erfahrung, die uns selbst verändert und verwandelt. Unsere Synapsen ordnen sich neu. Wir produzieren die Zukunft – das Neue – IN UNS selbst, indem wir unsere Sichtweisen auf die Welt verändern.

 

Das Wundern ist die passive Form der Erkenntnis, das STAUNEN die aktive. Der spirituelle Gesundheits-Guru Deepak Chopra sagte: „Immer, wenn wir eine Wahl treffen, VERÄNDERN wir die Zukunft!” Das ist typisches „FUTUR 2”-Denken. In „FUTUR 2” entsteht das, was vor uns liegt aus graduellen, evolutionären, kognitiven Schritten, die sowohl Subjekt wie Objekt, Innen wie Außen beinhalten. Zukunft ist das Produkt einer komplexen Evolution, in der WIR eine Rolle spielen.

 

In dieser Variante sieht die Zukunft möglicherweise gar nicht so furchtbar verschieden aus wie die Gegenwart. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Und das ist natürlich frustrierend, wenn das „Wesen” der Zukunft – ihr kulturelles Konstrukt – darin besteht, dass sie sich radikal von der Gegenwart unterscheidet. Im „FUTUR” wird die Zukunft vom Kopf auf die Füße gestellt. Sie ist keine Fiktion mehr, sondern „werdende Wirklichkeit”.

 

Pro-gnose heisst: Etwas vor-schöpfen. In der komplexen Erzählweise ist die Zukunft kein homogener Raum, und deshalb lässt sich in diesem Modus die Frage wie die Zukunft WIRD, nicht beantworten. Beziehungsweise die Antwort lautet immer: Es hängt von DIR ab! Von uns, und dem, was wir in diesem wunderbaren Moment erkennen. Zukunft ist das Produkt unendlich vieler Schleifen, Spiralen, in denen wir als Menschen mit den Möglichkeiten interagieren. Die Zukunft ist eine ENTFALTUNG. Ein Raum, der sich in die Komplexität hinein öffnet. Ein Raum der Möglichkeiten, der letztlich durch unsere spirituellen Kräfte geformt wird.

 

Die Philosophin Nathalie Knapp formuliert in ihrem Buch „Der unendliche Augenblick”:

„Die Zukunft verursacht die Gegenwart. Die Zukunft kann nämlich ganz grundsätzlich nur deshalb aus der Gegenwart wachsen, weil ebendiese Gegenwart bereits vom Licht der möglichen Zukunft genährt wird.”

Ganz ähnlich sagte es schon Joseph Beuys:

„Es muss etwas ins Blickfeld kommen, bevor es da ist. Das nenne ich aus der Zukunft heraus bewegt sich etwas. Da gibt's auch eine Ursache, aber die Ursache liegt in der Zukunft, und logischerweise ist die Wirkung in der Gegenwart eher da, als die Ursache in der Zukunft zu finden ist.”

Wir stoßen hier an ein entscheidendes futuristisches Paradox, das gleichzeitig seine Lösung beinhaltet: Wir können uns Zukunft als ABSTRAKTUM vorstellen, aber nie in Beziehung zu uns selbst. Wenn wir mit einer Zeitmaschine unterwegs wären, würden wir uns ja immer als Gegenwarts-Menschen mitnehmen. Wir wären gewissermassen Papi mit dem Hut, und die Hausfrau mit der Schürze. Deshalb bleiben wir immer Fremde in der Zukunft. Wir passen dort nicht hin. Sie lässt uns gewissermassen nicht hinein! NO ACCESS! NO TRESPASSING!

 

Wenn wir dagegen Chopras Diktum und Nathalie Knapps Formulierung als Schlüssel zum Morgen verstehen, entwickeln wir zur Zukunft EINE BEZIEHUNG. Sie ist nicht jener Raum, der alles Menschliche technisch transzendiert oder jenes Kontinuum, in dem alles schrecklich vorbei ist, was wir lieben, sondern ein Raum der HEUTIGEn Möglichkeiten. Zukunft entsteht aus ANVERWANDLUNG. Und diese Idee gibt uns unsere Selbst-Verantwortung , unsere Selbst-Wirksamkeit, unsere ZUKUNFTS-WÜRDE zurück.

 

Ist die zweite futuristische Form einfach eine „konservative” Art, über die Zukunft nachzudenken? Nicht, wenn wir das Wesen der Komplexität verstehen. Komplexität verlangt nach komplexen Erklärungsmustern. Schon im Jahr 1890 schrieb Thomas C. Chamberlin, einer der ersten „Naturalisten” in der Zeitschrift SCIENCE:

„Wenn man einer einzigen Hypothese folgt, wird der Geist zu einer einzigen Erklärungs-Konzeption geführt. Aber eine ANGEMESSENE Erklärung braucht meistens die Koordination MEHRERER Instanzen, die sich zu einem kombinierten Ergebnis vereinen. Die wahre Erklärung ist deshalb notwendigerweise komplex. Diese komplexe Erzählweise wird ermutigt durch die Methode der „multiplen Hypothesen”...(zitiert nach Roger Martin, The Opposable Mind, S. 8)

Im „Futur 2” geht es um die Konnektome der Welt. Jene Muster, die uns als Menschen miteinander verbinden. Und jene, die das Gestern mit dem Morgen verbinden. Das heißt nicht, dass alles beim Alten bleibt, während die Zeit vergeht. Aber es gibt auch KONSTANTEN, und diese Konstanten sind womöglich reichhaltiger und robuster als die Brüche, die Gegenwart und Zukunft trennen. „Die Zukunft zeigt sich in uns, lange bevor sie eintritt”, formulierte Rainer Maria Rilke. „Zukunfts-Forschung” hieße dann, dass wir diesem inneren Ahnen lauschen. Und dafür müssen wir still sein. Und ganz aufmerksam. Sonst verscheuchen wir die Zukunft. Ach, übrigens: Die Zukunft wird bunt, eckig, quadratisch, hochkant. Sie wird gefährlich, dramatisch, unausstehlich. Sie ist gruselig, bedrohlich und sensationell. Auch irgendwie günstig und komfortabel. Und irgendwie doch ganz normal, wenn man erstmal dort ist. Ganz sicher!

Gastbeitrag von: Matthias Horx (Buch)

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Kommentare: 2
  • #2

    dadalutz (Freitag, 14 April 2017 23:07)

    Alle meine Filme habe ich kostenlos ins Netz gestellt. Ich brauche keinen Datenschutz

  • #1

    dadalutz (Freitag, 14 April 2017 23:03)

    Gleichheit bedarf zur Sicherung des Fortbestandes der Menschheit in Zukunft der Durchsichtigkeit des Menschen, die Mittel zur seiner Entfaltung und Sicherung seines Lebens gerecht und differnziert zu messen und zu bekommen als ökonomische Grundlage für eine Verteilung der Mittel gegen das 'Wolfsgesetz'. Dazu muß das Grundgesetz präzisiert werden.
    Als Filmemacher untersuche ich die Möglichkeit davon ein Bild zu entwickeln. Wer spielt mit?


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