„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Folter (Angewandte Ethik)

1. Einleitung

Die Frage nach der rechtlichen sowie moralischen Legitimität von Folterungen an Terrorverdächtigen und vermeintlichen Straftätern ist seit 2001 vermehrt Bestandteil des politischen und philosophischen Diskurses.

Es finden sich zwar schon seit den siebziger Jahren akademische Aufsätze aus Philosophie und Recht zu dem Thema. Mit Beginn des ‚vereinten Kampfes gegen den Terror’ rückte das Thema jedoch auch mehr in den Fokus der öffentlichen Diskussion.

Im Zentrum steht die Frage, ob es u.U. nicht moralisch legitim oder gar geboten sei Menschen zu foltern, um größeren Schaden, wie Terroranschläge oder den Tod eines Entführungsopfers, abzuwenden. Ferner wird diskutiert, ob man dann nicht auch politisch reagieren und bestimmte Formen der Folter staatlich legalisieren sollte.

2. Standardbeispiele

Diese Fragestellungen werden, wie in der Einleitung angedeutet, meist anhand zweier Beispiele erörtert: zum einen anhand des  sogenannten 'Ticking-Bomb-Scenarios' und zum anderen in Bezug auf den in Deutschland statt gefundenen Entführungsfall Metzler.

2.1. Das Ticking-Bomb-Scenario

Das Ticking-Bomb-Scenario ist ein fiktives Beispiel. Es handelt sich meist um eine große Metropole, die im Begriff ist, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen. Diese Sachlage ist den hiesigen Beamten bekannt und man ist verzweifelt bemüht, das Versteck der gesetzten Bombe zu finden.

Im Zuge der Ermittlungen gelingt es, einen Menschen ausfindig zu machen und festzunehmen, der in Verdacht steht, Informationen bezüglich des Versteckes der Bombe zu besitzen. Man ist sich dessen so sicher, wie es zu diesem Zeitpunkt nur möglich ist.

Bei den folgenden Vernehmungen schweigt der vermeintliche Terrorist jedoch beharrlich. Die Zeit läuft den Beamten davon, die Detonation und damit der Tod unzähliger Menschen rücken näher. Da den Beamten die Handlungsoptionen ausgehen, erwägen sie, den Tatverdächtigen zu foltern, um an die lebensrettenden Informationen zu gelangen.

2.2. Die Entführung Jakob von Metzlers

Ein in der deutschen Diskussion oft angeführtes, reales Beispiel ist die Entführung des Bankierssohnes Jakob von Metzler. Bekannt ist dieses Szenario auch als der Daschner Fall.

 

Der zehnjährige Junge wurde 2002 entführt. Kurz darauf erhielt die Familie eine Lösegeldforderung und die Polizei wurde informiert. Um das Leben des Entführungsopfers nicht zu gefährden, hinterlegte die Familie das Lösegeld am vereinbarten Ort. Dieser wurde von der Polizei überwacht und am selben Tag wurde der Mann, der es abholte, fest genommen. Hierbei handelte es sich um Magnus Gäfgen, einen der Familie bekannten Jurastudenten, der nun als dringend tatverdächtig galt.

 

Als er von der Polizei bezüglich des Aufenthaltsortes des Opfers verhört wurde, machte Gäfgen mal von seinem Schweigerecht Gebrauch und mal machte er falsche Angaben. Da man langsam befürchtete, dass das Opfer nicht versorgt würde und es bald verdursten könne, entschied sich der damalige befehlshabende Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner entgegen den noch zur Verfügung stehenden Alternativen, dem Tatverdächtigen mit „unmittelbarem Zwang“ drohen zu lassen und diesen notfalls auch „unter ärztlicher Aufsicht“ (vgl. Pressemitteilung Landgericht Frankfurt am Main, 2005) zu vollziehen, wenn Gäfgen weiter schweige. Daraufhin gestand Gäfgen die Tat und auch, dass der Junge bereits vor der Lösegeldübergabe von ihm getötet wurde.

 

Gäfgen wurde daraufhin wegen Entführung und Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Wolfgang Daschner wurde aufgrund der Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat unter Strafvorbehalt verwarnt und zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. (vgl.ebd.)

3. Begriffsklärung

3.1. Definition

Eine weithin gebräuchliche Definition der Folter ist die der UN-Antifolterkonvention. Laut diesem Übereinkommen bezeichnet der Begriff ‚Folter’ „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“ (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, 1984)

3.2. Kritik an der UN-Definition

Eine Schwierigkeit bezüglich der Anwendung dieser Definition besteht darin, „große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden“ von ‚kleinen’ Schmerzen oder Leiden zu trennen, die eher anderen Straftatbeständen zugeschrieben werden. Wann entspricht das Schlagen eines Inhaftierten einer Folterung oder eher einer Misshandlung? Es scheint offensichtlich, dass zwar jede Folterung eine Art Misshandlung darstellt, doch ist nicht jede Art einer Misshandlung eines Gefangenen schon Folter.

Gelten Stress und Angst, erzeugt durch eine Androhung von Schmerzen durch einen Polizeibeamten, als so große seelische Leiden, dass diese Drohung selbst schon psychische Folter ist? (Diese Annahme bildete z.B. die Grundlage für die Klage Magnus Gäfgens, weshalb Deutschland vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof der Folter eines Gefangenen schuldig gesprochen wurde.) Ein hoher Grad an Trennschärfe scheint hier nicht gegeben.

Daraus ergibt sich ebenso die Schwierigkeit, dass ‚seichte Formen’ der Folter nicht leicht als solche klassifiziert und geahndet werden können. Strittige Formen der Folter sind z.B. Schlafentzug und Dunkelhaft. Wichtige Faktoren der Klassifizierung scheinen Dauer und Intensität der Handlung zu sein (vgl. Joerden, im Erscheinen).

Das kann zu Problemen führen, wenn diese Definition bei Gerichtsverhandlungen zur Anwendung kommt und diese Unterscheidung großer und kleiner Schmerzen bzw. Leiden in Strafprozessen und entsprechenden Urteilen praktische Folgen hat.

3.3. Grundsätzliche Kritik des allgemeinen Folterbegriffs

Daran anschließend wird von verschiedenen Autoren kritisiert, dass in den oben beschriebenen Szenarien schon der Begriff der Folter selbst verschiedene Probleme für den ethischen Diskurs berge. Anmerkungen Rainer Trapps zufolge, würde zu wenig zwischen den verschiedenen Zwecken von Folterpraktiken unterschieden (vgl. Trapp, 2006). Eine nähere Betrachtung der hintergründigen Zwecke bringe jedoch wichtige ethische Implikationen hervor.

Die Prämisse lautet hier, dass der angestrebte Nutzen der Handlung für ihre ethische Beurteilung essentiell ist, weshalb z.B. eine Folterung zum Zwecke der Demütigung grundlegend von einer Folterung zum Zwecke der Lebensrettung unterschieden werden müsse. Deshalb gebe es aus kosequenzialistischer Sicht gute Gründe, diesem Sachverhalt in einer geänderten Begrifflichkeit Rechnung zu Tragen.

 

Das bedeutet, dass man den Zweck der Gefahrenabwehr von Aussagenerzwingungen wie in den oben beschriebenen Szenarien, in die Bezeichnung der Handlung einfließen lässt und die Definition der Handlung um entsprechende Bedingungen erweitert.

 

Analog zum ‚Finalen Rettungsschuss’ unterbreitet Rainer Trapp z.B. den Vorschlag, nicht von Folter, sondern von „selbstverschuldeter finaler Rettungsbefragung“ zu sprechen (Trapp, 2006: 108). Dieser Begriff hebe die „hintergründigen“ Zwecke der Aussagenerzwingung hervor.

Sinn dieses Vorschlages ist die Erleichterung eines ethischen Diskurses, da die als gut zu bewertenden angestrebten Konsequenzen betont würden und „allerlei die ethische und rationale Urteilsfähigkeit trübenden Konnotationen und Assoziationen“ vermieden werden (vgl. ders.: 107). Ein finaler Rettungsschuss werde aus ähnlichen Gründen eben auch nicht „Eliminierungs-„ oder „Hinrichtungsschuss“ (ders.: 107) genannt.

Ein weiterer Vorschlag findet sich bei Dieter Birnbacher, der Trapps Argumente für eine neue Bezeichnung zu befürworten scheint. Er bemängelt jedoch die „unglückliche Nomenklatur“ Trapps und bevorzugt den Begriff der „gewaltsamen lebensrettenden Kooperationserzwingung“ (Birnbacher, 2006: 137).

Es bleibt allerdings fraglich, ob eine euphemistische Umettikettierung des Phänomens dem Problem der emotionalen Aufgeladenheit der Diskussion vorbeugt.

4. Nationale / Internationale Rechtslage

In Deutschland ist es auf nationalstaatlicher Ebene auf zweierlei Art verboten, Gefangene zu foltern. Zum einen findet sich in den Polizeigesetzen der Länder das Verbot der Anwendung direkten Zwangs (vgl. z.B. § 35 des Baden-Württembergischen Polizeigesetzes „Die Polizei darf bei Vernehmungen zur Herbeiführung einer Aussage keinen Zwang anwenden.“, zitiert nach Breuer, 2006: 19).

Zum anderen ist es verfassungsrechtlich mit Rückbezug auf Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes verboten, die Würde des Menschen zu verletzen (s. Grundgesetz 2001, S. 7). Weiterhin ist in Art. 104 Abs. 1 die körperliche und seelische Misshandlung Gefangener untersagt (ebd.: 64).

Völkerrechtlich ist Deutschland zusätzlich durch verschiedene Konventionen an das Folterverbot gebunden.

Zu nennen wären hier die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 (Art. 5), die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 (Art. 3) sowie das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 (kurz: UN-Antifolterkonvention).

Die letztgenannte Konvention ist besonders interessant, da sie eine Definition der Folter enthält (vgl. Abschnitt Definition), sowie extreme Notstände explizit als Rechtfertigung für Folterungen ausnimmt „Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische In-stabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“ Dem entsprechend gelten auch Befehle durch Amtsträger nicht als Rechtfertigungsgrund (s. UN-Antifolterkonvention Art. 2 Abs. 2 und 3).

5. Ethische Fragestellungen

5.1. Folter zwischen Recht und Moral

Eine Besonderheit der ethischen Debatte zum Thema Folter ist die starke Verschränkung mit der rechtlichen Diskussion. Das bedeutet, dass sich die Mehrheit der Autoren nicht nur mit der moralischen Legitimität von Folterhandlungen auseinandersetzt. Es schließt sich immer auch eine Diskussion bezüglich der rechtlichen Legitimität von Folter an.

Dem entsprechend kann man drei Grundströmungen moralischer Argumentationen ausmachen:

·         für ein absolutes Folterverbot in Moral und Recht (Abschnitt 5.1.1.)

·         für ein eingeschränktes moralisches Folterverbot (Abschnitt 5.1.2.) und gegen eine rechtliche Legalisierung (Abschnitt 5.1.3.)

·         für eine eingeschränkte Praxis des Folterns und für eine rechtliche Legalisierung (Abschnitt 5.1.4.)

Allen Argumentationen ist gemein, dass sie weder für eine vollkommene moralische Legitimität jedweder Art von Folter argumentieren, noch die generelle rechtliche Freiheit zu foltern einfordern.

Es geht in der Diskussion immer um die so genannte ‚Rettungsfolter’, für die die Autoren ganz bestimmte Konditionen bezüglich der Art (was darf gemacht werden)  und der genauen Umstände (wie genau müsste sie durchgeführt werden und wann darf es gemacht werden) definieren.

5.1.1. Absolutes Folterverbot in Moral und Recht

Für ein absolutes Folterverbot kann man grob auf zwei verschiedene Weisen argumentieren: deontologisch und konsequentialistisch.

Deontologisch kann man sich auf die Pflicht eines jeden stützen, die Würde des Menschen zu achten. Hier orientiert man sich klassisch an Kants Würdebegriff, demzufolge ein Mensch einen absoluten Wert in sich trägt. Das macht sein Personsein aus und gebietet uns ihm sogleich mit Achtung zu begegnen, mithin ihn niemals zu instrumentalisieren (vgl. Kant, 2005: 435ff.).

Positionen, die sich auf die Würde des Menschen stützen, sehen in der Folter eine große Verletzung derselben. Der Mensch wird hier in hohem Maße instrumentalisiert. Der Gefolterte wird nicht als Zweck an sich selbst behandelt sondern zum Mittel des Informationsgewinns. Deshalb ist das Foltern eines Menschen nach diesem Ansatz  auch als Nothilfe niemals moralisch legitim.

Juristisch wird hier analog zum moralischen Ansatz mit dem Art.1 Abs.1 des Grundgesetzes (s. oben) argumentiert.

Ein weiteres Argument, dass sich gegen die moralische Legitimität der Folter richtet, bezieht sich auf die Wehrlosigkeit des Gefolterten. Henry Shue führt in seinem Aufsatz „Torture“ (Shue, 1978) aus, dass die moralische Legitimität der Tötung von Kombattanten  in Kriegssituationen nicht als Grund angegeben werden kann, Folterungen wie in den oben beschriebenen Fällen analog als legitim zu betrachten (vgl. Diskussion unter (2)).

Er vertritt die These, dass das moralische Gebot Nicht-Kombattanten zu schonen und von Kämpfen auszunehmen auf die Bestrebung zurückzuführen ist, den Kampf fair zu gestalten. Deshalb sei es verwerflich, Wehrlose zu attackieren. Damit möchte er nachweisen, dass es moralische Gründe gibt, die für das Töten im Krieg sprechen, aber nicht auf die Folterung Gefangener anzuwenden sind. Denn der Schutz Wehrloser in Kriegssituationen ist bei Folterungen explizit ausgenommen, weshalb man hier nicht analog argumentieren kann, mithin Folter auf diese Weise nicht rechtfertigen kann.

Dem entsprechend spricht sich Shue auch gegen eine rechtliche Legalisierung von Folter aus. Nur ein Verbot könne Bürger vor Willkür schützen. Zumal auch nicht einzusehen ist, warum man einem Menschen zum Zweck der Lebensrettung Folter zumutet, aber einem Beamten die Zumutung einer Rechtfertigung nicht aufbürden möchte.

5.1.2. Für ein bedingtes Gebot der Folter

Die Argumente, die für eine moralische Legitimation oder gar ein bedingtes Gebot der ‚Rettungsfolter’ sprechen, sind vor allem konsequentialistischer Natur. Im Kern wird argumentiert, dass in Anbetracht des Zwecks der Lebensrettung auf eine den Umständen entsprechend moderate Art gefoltert werden darf und auch sollte. Allerdings nur, wenn keine Erfolg versprechenden Alternativen mehr zur Verfügung stünden. Grundtenor dieser Positionen ist es, dass die fehlenden Handlungsoptionen in den beschriebenen Notlagen absolute Folterverbote an ihre Plausibilitätsgrenzen stoßen ließen. Kurzum, ist es moralisch nicht rechtfertigbar, nichts mehr zu tun, um die Würde des Entführers zu schützen und somit das Opfer im schlimmsten Fall sterben zu lassen (vgl. Erb, 2006: 29f.; Ipsen, 2006: 44; Trapp spricht gar von „ethisch skandalösen Kosequenzen“ (Trapp, 2006: 104). Das absolute Verbot der Folter scheint Konsequentialisten deshalb höchst begründungsbedürftig (vgl. u.a. Birnbacher, 2006:137f.) vor allem in Fällen, in denen sehr viele Leben auf dem Spiel stünden (vgl. Joerden, 2011).

Zusätzlich wird im Zusammenhang mit dem Notwehrrecht angebracht, dass es moralisch keinen Unterschied macht, sich in einer Notwehrsituation selbst zu verteidigen und den Angreifer zu töten oder, um einem Dritten zu helfen, einen Entführer oder Attentäter zu foltern und so zu versuchen, den Schaden abzuwenden. Diese Art der Argumentation ist umso triftiger, je mehr man geneigt ist, davon auszugehen, dass es moralisch schlechter ist, jemanden zu töten, als ihn zu foltern, bzw. seine Würde zu verletzen. Wenn es also manchmal gerechtfertigt ist, jemanden in Notwehr zu töten und das Töten eines Menschen sogar schlimmer ist, als ihn zu foltern, ist es analog in Situationen der Nothilfe ebenso legitim zu foltern, um das Leben der Opfer zu retten.

Zumal sich die jeweiligen Entführer oder Terroristen selbst in diese Lage gebracht haben, wohingegen ihre Opfer ihnen ohne die lebensrettenden Informationen schutzlos ausgeliefert sind. Des weiteren obliegt es den vermeintlichen Tätern, freiwillig zu kooperieren, weshalb sie die Freiheit besäßen, sich der Fortsetzung der Folter durch die Signalisierung von Kooperationsbereitschaft zu entziehen. Diesen Umstand betonen unter anderem Birnbacher (2006: 137; 141), sowie Trapp (2006), weshalb sie ihn auch in ihren Begriffsvorschlägen zum tragen lassen kommen (vgl. Abschnitt zur Kritik des allgemeinen Folterbegriffs). Diese Annahme setzt natürlich voraus, dass die Beamten den tatsächlichen Täter verhören.

5.1.3. Gegen eine rechtliche Institutionalisierung

Nun muss man jedoch die moralische Legitimität der Folter von der Legitimität ihrer rechtlichen Institutionalisierung trennen. Hier sehen auch Autoren Probleme, die eine Einschränkung des absoluten Folterverbotes moralisch befürworten.

Zum einen befürchtet man einen Dammbruch hinsichtlich des Rechtsschutzes der Bürger. So eng umgrenzt die jeweiligen Bedingungen für den Einsatz der Rettungsfolter auch sein mögen (eine vorhandene Notlage, es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der wahre Täter sein, der verhört wird etc.), ist zu erwarten, dass sich der Einsatz tendenziell ausweiten wird.

Ebenso sieht man ein Problem darin, dass das Vertrauen der Bürger in die Rechtsstaatlichkeit sehr wahrscheinlich Schaden nehmen würde und man mit einer Legalisierung 'direkten Zwangs' die Grundfesten unseres demokratischen Systems unterminiert wären. Diesen Umstand beschreibt z.B. Ralf Poscher (2006) sehr nachvollziehbar in seiner Schilderung des Tabu-Charakters des verfassungsrechtlichen Würdeschutzes, der auf den starken identitätsstiftenden Charakter dieses Gebots für unsere Gesellschaft zurück zu führen ist.

Ein recht pragmatischer, jedoch stichhaltiger Aspekt einer Legalisierung, wäre die Schaffung einer Art Folterprofession. Bufacchi und Arrigo  zeigen, zu welchen Problemen es kommen kann, wenn schlecht gefoltert wird (Bufacchi/Arrigo, 2006: 362f.). Eine große Gefahr besteht darin, den Verhörten im schlimmsten Fall unabsichtlich zu töten, weshalb Foltern als Handwerk gelernt werden muss. Zumal eine Bedingung im Zusammenhang einer moralischen Legitimität von Rettungsfolter der möglichst gering zu haltende Schaden des Gefolterten ist. Das erfordert jedoch sehr genaue Kenntnis, von dem, was man einem Menschen wie zufügen kann. So zynisch dieser Punkt auch anmuten mag, so macht er doch deutlich, was man mit zu bedenken hat, wenn man eine rechtliche Legalisierung der ‚Rettungsfolter’ konsequent zu Ende denkt. Eine Konsequenz wäre das Training und die Ausbildung von Folterern. Eine weitere Folge ist dann jedoch die Versuchung, die ausgebildeten Beamten vermehrt einzusetzen, was wieder für eine tendenzielle Ausweitung der Praxis spricht.

5.1.4. Für ein bedingtes Gebot der Folter und ihre rechtliche Legalisierung

Was laut Literatur für eine moralische Legitimation der ‚Rettungsfolter’ spricht, wurde im vorherigen Abschnitt, (2) I, erörtert.

Einige Autoren gehen jedoch noch einen Schritt weiter und fordern auch die rechtliche Legitimation für Beamte in Notsituationen foltern zu dürfen. In der rechtlichen Debatte gibt es zwar schon Positionen, die eine Folterung als Nothilfe durch das Notwehrrecht gedeckt sehen(vgl. Winfried Brugger und Erb in Lenzen, 2006). Doch dieser Ansatz ist sehr umstritten, weshalb sich manche Autoren eine eindeutige Rechtslage mit einer expliziten Rettungsfolterregelung wünschen. Trapp weist z.B. darauf hin, dass es im höchsten Maße „perfide“ sei, eine gebotene Handlung unter Strafe zu stellen und die jeweiligen Polizeibeamten ihrem Konflikt zwischen Karrierewunsch, rechtsgetreuem Handeln sowie ihren „Gerechtigkeitsüberzeugungen“ zu überlassen (Trapp, 2006: 110ff.). Zumal es im Zweifelsfall um das Leben der Opfer ginge, wenn ein Beamter aus der Angst vor den Konsequenzen, das letzte Mittel, die Folterung des Entführers oder Attentäters, außen vor ließe.

5.2. Folter als Dilemma

In Anbetracht der deontologischen und der utilitaristischen Sichtweise auf das Problem der Folter als Notwehr, kann man die Situation der jeweiligen Beamten auch als moralisches Dilemma kennzeichnen. Als solches wird das Problem in der Literatur oft mehr oder weniger explizit diskutiert.

Ein moralisches Dilemma ist ein praktischer Konflikt zwischen moralischen Werten, Normen, Pflichten und/oder Rechten, wobei das Handeln zugunsten einer Seite, die Verletzung der jeweils anderen moralischen Norm oder Pflicht nach sich zieht (vgl. Brune, 2006: 330). Angewandt auf die Situation des Beamten kann man von einem Konflikt zwischen seiner Pflicht das Leben des Opfers zu retten und seiner Pflicht, die Würde des Gefangenen zu schützen, sprechen. Beiden Gütern, das Leben und die Würde des Menschen, kann man einen absoluten Wert zuschreiben, weshalb sich der Beamte nach dieser Ansicht in einem unauflösbarem moralischen Konflikt befände.

6. Quellen

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte [1948]. In: Bardo Fassbender „Menschenrechteerklärung. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Neuübersetzung, Synopse, Erläuterung, Materialien“. München, 2009.

Birnbacher, Dieter: „Ethisch ja, rechtlich nein – ein fauler Kompromiss?“. In: Lenzen (Hg.) 2006, S. 135-149.

Breuer, Clemens: „Das Foltern von Menschen. Die Differenz zwischen dem Anspruch eines weltweiten Verbots und dessen Praktischer Missachtung und die Frage nach der möglichen Zulassung der ‚Rettungsfolter’“. In: Beestermüller/Brunkhorst (2006), S. 11-23.

Brune, Jens Peter: „Dilemma”. In: Marcus Düwell/Christoph Hübenthal/Micha H. Werner (Hg.): Handbuch Ethik. Stuttgart/Weimar 22006, S. 331-337.

Bufacchi, Vittorio/Arrigo, Jean Maria: „Torture, Terrorism and the State: a Refutation of the Ticking-Bomb Argument”. In: Journal of Applied Philosophy, Bd. 23, 3(2006), S. 355-373.

Erb, Volker: „Folterverbot und Notwehrrecht“. In: Lenzen 2006, S. 19-38.

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. [erste Fassung 1950] 2010 (neuste Fassung inkl. Aller aktuellen Zusatzprotokolle). In deutscher Fassung siehe: http://www.echr.coe.int/ECHR/EN/Header/Basic+Texts/The+Convention+and+additional+protocols/The+European+Convention+on+Human+Rights/

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland [1949]. Hg. von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 2001, im Internet siehe:

http://www.gesetze-im-internet.de/gg/index.html

Ipsen, Jörn: „Folterverbot und Notwehrrecht“. In: Lenzen 2006, S. 39-47.

Joerden, Jan C.: „Folter“, In: Stoecker, Ralf/Raters, Marie-Luise/Neuhäuser, Christian (Hg.): Handbuch Angewandte Ethik. Stuttgart, im Erscheinen.

Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten [1786]. Frankfurt a.M., 2005.

Landgericht Frankfurt a.M.: Presseinformation. Schriftliche Urteilsgründe in der Strafsache gegen Wolfgang Daschner. Frankfurt a.M., 2005. Siehe:

http://www.anstageslicht.de/dateien/LG_PM150205_DASCHNER.pdf

Lenzen, Wolfgang (Hg.): Ist Folter erlaubt? Juristische und philosophische Aspekte. Paderborn, 2006.

Poscher, Ralf: “Menschenwürde als Tabu. Die verdeckte Rationalität eines absoluten Rechtsverbots der Folter“. In: Beestermöller/Brunkhorst 2006, S. 75-87.

Shue, Henry: "Torture". In: Philosophy and Public Affairs 124, 1978.

Trapp, Rainer: „Wirklich ‚Folter’ oder nicht vielmehr selbstverschuldete Rettungsbefragung?“. In: Lenzen (Hg.) 2006, S. 95-134.

Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder

erniedrigende Behandlung oder Strafe. (UN-Antifolterkonvention), 1984. In deutscher Fassung siehe: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/anti-folter-konvention-cat.html

7. Weiterführende Literatur

7.1. Grundlagentexte aus Philosophie und Recht

Beestermöller, Gerhard/Brunkhorst, Hauke (Hg.): „Rückkehr der Folter. Der Rechtsstaat im Zwielicht?“. München, 2006.

Ginbar, Yuval: „Why Not Torture Terrorists? Moral, practical, and legal aspects of the ‘ticking bomb’ justification for torture”. New York u.a, 2008.

Greenberg, Karen: “The Torture Debate in America”, New York, 2006.

Lamprecht, Florian: “Darf der Staat foltern, um Leben zu retten? Folter im Rechtsstaat zwischen Recht und Moral“. Paderborn, 2009.

Lang, Anthony/Russel Beatti, Amanda: „War, Torture and Terrorism. Rethinking the rules of international security“. New York, 2009.

Lenzen, Wolfgang (Hg.): "Ist Folter erlaubt? Juristische und philosophische Aspekte“. Paderborn, 2006.

Levinson, Sanford: "Torture: A Collection". Oxford u.a., 2006.

Reemtsma, Jan Philip: "Folter im Rechtsstaat?". Hamburg, 2005.

Rodin, David (Ed.): „War, Torture and Terrorism. Ethics and War in the 21st Century“. Oxford, 2008.

Wisnewski, J. Jeremy/Emeryck, Ryan D.: "The Ethics of Toture". London, 2009.

7.2. Zur Historischen Entwicklung der Folter und ihrer Diskussion

McCoy, Alfred: “Foltern und Foltern Lassen. 50 Jahre Folterforschung und – Praxis von CIA und US-Militär“. Frankfurt a.M., 2005.

Rother, Wolfgang: "Verbrechen, Folter, Todesstrafe: Philosophische Argumente der Aufklärung". Basel, 2010.

Zagolla, Robert: „Im Namen der Wahrheit. Folter in Deutschland vom Mittelalter bis heute“. Berlin, 2006.

7.3. Autobiographische Berichte Gefolterter

Alleg, Henri: "Die Folter". Wien, 1958.

Améry, Jean: "Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten". Stuttgart, 2004.

7.4. Empirische Berichte zur aktuellen Häufigkeit von Folterungen

Amnesty International: "Report 2011: Zur weltweiten Lage der Menschenrechte". Frankfurt a.M. 2011.

7.5. Unterrichtsmaterialien

Herrmann, Axel: "Folter und Rechtsstaat". Themenblätter im Untericht, Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn, 2005. Siehe: http://www.bpb.de/publikationen/NRPE0E,0,0,Nr_45_Folter_und_Rechtsstaat.html

8. Filme und Dokumentationen

"Folter - Made in USA". (2010), Dokumentation, Regie: Marie-Monique Robin. Siehe: http://www.arte.tv/de/Die-Welt-verstehen/Folter---Made-in-USA/3914466.html

„Unthinkable“. (2010), Film, Regie: Gregor Jordan. Siehe: http://www.imdb.com/title/tt0914863

Beitrag von: Anne Mindt

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Kommentare: 3
  • #3

    WissensWert (Mittwoch, 12 Juni 2019 00:03)

    https://plato.stanford.edu/entries/torture/

  • #2

    WissensWert (Donnerstag, 05 Oktober 2017 21:01)

    https://www.youtube.com/watch?v=lTSi9KRXB4Y

  • #1

    WissensWert (Donnerstag, 05 Oktober 2017 21:00)

    siehe auch: https://plato.stanford.edu/entries/torture/


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