„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Jürgen vom Scheidt: Das Drama der Hochbegabten

Der Autor ist Psychologe und hat „ein Buch für Erwachsene mit blockierter Kreativität“ geschrieben. Man merkt es dem Werk an, dass der Autor Seminare zum kreativen Schreiben hält, er verknüpft in seinem Buch mehrere Stränge miteinander:

·        Reflexionen über Hochbegabung und Hochbegabte

·        Ratschläge zur Entfaltung der eigenen Kreativität

·        Ausflüge in die Mythologie

·        Einblicke in sein eigenes Leben und das Schreiben dieses Buches

·        die Lebensgeschichte einer Familie mit 5 Mitgliedern mit sehr unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichem Erfolg, die er offenbar bei seiner Arbeit als Therapeut kennengelernt hat.

Das Buch ist recht interessant, einige Aussagen erwecken aber auch Widerspruch.

Die Psychologie definiert als Hochbegabte alle Menschen, die bei einem IQ-Test in den besten 2% der gesamten Bevölkerung abschneiden. Meiner Meinung nach ist diese Begriffswahl sehr unglücklich, denn ein gutes Ergebnis in einem solchen Test bedeutet zunächst nicht mehr, als dass der Betreffende mit den dort gestellten Aufgaben gut zurecht gekommen ist. Er ist also intelligent (in Bezug auf die im Test gewünschten Antworten.) Begabungen gibt es aber auch auf künstlerischem oder sportlichem Gebiet. Wird der Begriff Hochbegabung nur am IQ festgemacht, bleiben diese Talente außen vor. (Zudem habe ich noch nirgends eine Erklärung dafür gefunden, welche Begründung es für den 2%-Grenzwert gibt, wenn die Skala menschlicher Fähigkeiten kontinuierlich ist.)

Scheidt hält den IQ deshalb nur für ein mögliches Merkmal von Hochbegabung. Im Buch und auf seiner Homepage findet man einen Selbsttest*Inwieweit man einen solchen Selbsttest ernst nimmt, hängt von der eigenen Intelligenz ab. ;-) Für Scheidt zählen dann 3% der Bevölkerung als Hochbegabte, also etwa 2,4 Millionen Deutsche. Er schätzt den Anteil derjenigen, die ihre Möglichkeiten ausschöpfen, auf ein Drittel:

Ein Drittel davon, so schätze ich, verwirklicht erfolgreich seine Begabungen und wird zu den rund 824.000 Unternehmern, Topmanagern, Bestsellerautoren, Supersportlern, Spitzenprogrammierern, Ministern und anderen Stützen der Gesellschaft, ohne die ein komplexes soziales System nicht existieren kann.

Seine Erweiterung um 1% erinnert mich an die Definition von Andrea Brackmann  „partiell hochbegabt“, mit der Kinder bezeichnet wurden, die in einigen Gebieten klassischer IQ-Tests sehr gut (z.B. im mathematischen Teil), in anderen (z.B. im verbalen Teil) weniger gut abgeschnitten haben. – Da stellt sich doch die Frage, welche Aussagekraft der Gesamtwert überhaupt haben soll? Aber viel problematischer finde ich, das hier von Hochleistung auf Hochbegabung rückgeschlossen wird. Und warum Unternehmer automatisch hochbegabt sein müssen und nicht einfach zumindest in einigen Fällen nur bessere Gauner als der Durchschnitt sind, ist mir auch nicht klar.

Eines seiner Lieblingsbeispiele im Buch ist Jodi Foster, eine sehr talentierte und erfolgreiche Schauspielerin und Regisseurin, die mit Das Wunderkind Tate einen sehr tollen Film, passend zum Thema, gemacht hat. Gibt man in Google IQ Jodi Foster ein, dann wird man mit einer großen Zahl von Links bedient, in denen ihr ein IQ von 140 zugeschrieben wird (man findet so auch die IQs von Goethe, Adolf Hitler und nahezu jedem beliebigen noch lebenden oder schon verstorbenen Prominenten). Jodi Foster aber antwortet in der Süddeutschen auf die Frage nach ihrem IQ:

Erstaunlich, dass das immer wieder über mich zu lesen ist. Ich kenne meinen IQ nicht. Ich habe ihn nie testen lassen!

Wenn man etwas genauer darüber nachdenkt, dann kann man erkennen, dass es mindestens 3 Persönlichkeitsmerkmale gibt, die bestimmt miteinander korrelieren, aber in jedem einzelnen Menschen vollkommen unterschiedlich gewichtet sind: Intelligenz, Begabung, Kreativität. Diese drei tragen (gestützt oder gehemmt durch viele innere Faktoren und äußere Einflüsse) zu dem bei, was dann alle sehen können, die Leistung des Betreffenden. Scheidt unterscheidet nicht zwischen Intelligenz, Begabung und Kreativität. Das führt dazu, dass er annimmt, dass alle Hochbegabten kreativ (=erfolgreich) sein müssen und umgekehrt, alle Kreativen hochbegabt. Diesem stringenten Zusammenhang widerspricht zum Beispiel Andrea Brackmann in ihrem Buch. Und Detlev Rost hat in seinen Studien gezeigt, dass es keinen 1:1-Zusammenhang zwischen IQ und (schulischen) Leistungen gibt.

Fazit: In einem Punkt stimme ich Scheidt zu: Intelligenz und Begabung sind zweierlei, in einem zweiten Punkt nicht: Begabung muss sich nicht in Kreativität (bzw. Erfolg, auch das bei ihm fast synonym) zeigen. Wer sich ein eigenes Bild machen will, ohne das Buch zu lesen, kann auch die Homepage von Jürgen vom Scheidt besuchen, er hat dort viel ergänzendes Material bereitgestellt.

Gastbeitrag von: Dr. Ralf Poschmann

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