„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Diskriminierung, Vorurteile und Wahrnehmung bei Trump, Akademikern und Minderheiten

Weiße sind die einzige Ethnie, bei der Joe Biden ein besseres Wahlergebnis als Hillary Clinton erzielte. Bei Hispanics und Latinos holte Donald Trump 3 Prozentpunkte mehr als 2016, bei Schwarzen 4 und bei Asiaten sogar 5. Bei Amerikanern vietnamesischer Abstammung war die Wählerbewegung so dramatisch, dass Trump dort eine glatte Mehrheit erringen konnte. Genau wie bei Kubano-Amerikanern, die den Sozialismus am eigenen Leib erlebt haben. Damit setzten sich Trends fort, die schon seit ca. 15 Jahren anhalten. Auch bei der Präsidentschaftswahl 2016 hatte Trump bereits signifikant höhere Stimmanteile bei Angehörigen von Minderheiten als Mitt Romney 2012 gewonnen.[1][2][3][4]

Die Überzeugung, Trump sei ein Rassist, scheint eine der wichtigsten Triebfedern für den Wechsel weißer Wähler ins Lager der Democrats gewesen zu sein. Warum läuft die Wählerwanderung bei Minderheiten, gegen die sich Trumps Rassismus ja angeblich richtet, dann in die entgegengesetzte Richtung? Eine Erklärung könnte sein, dass viele Angehörige von Minderheiten Trumps kontroverse Äußerungen und Vorgehensweisen ganz einfach nicht als rassistisch wahrnehmen.

Häufig stellen Sozialwissenschaftler bei der Bewertung, ob etwas rassistisch ist, ausschließlich auf die Wahrnehmung von Weißen ab. Wenn ausnahmsweise einmal Minderheiten selbst befragt werden, gibt es häufig überraschende Ergebnisse. So legte zum Beispiel eine kürzlich durchgeführte Studie weißen, schwarzen und hispanischen Wählern Äußerungen vor, die von den Forschern als rassistische „Dog-Whistles“ eingestuft wurden. Dabei handelt sich um eine Form von codierter Sprache, die es erlaubt, versteckte Bedeutungen in Aussagen einzubetten, die nur die eigene Anhängerschaft verstehen bzw. erkennen soll. Bei der Studie stellte sich jedoch heraus, dass Trumps Botschaften bei Schwarzen ebenso gut ankamen wie bei Weißen. Hispanics gefielen die Aussagen über Kriminalität und Einwanderung sogar noch besser als anderen ethnischen Gruppen.[5]

Während Sozialwissenschaftler Trumps Aussagen als rassistisch konnotiert und beleidigend betrachteten und der Meinung waren, sie würden unterschwellig einen weißen Überlegenheitsanspruch kommunizieren, sahen die Wähler das ganz anders. Das gilt für Wähler aller Ethnien, aber ausgerechnet bei Minderheiten fanden Trumps Botschaften am meisten Zustimmung.[6]

Ein weiteres wichtiges Element für das Verständnis der Unterstützung von Minderheiten für Trump könnte darin bestehen, dass Minderheiten oft Antipathien gegen andere Minderheiten hegen. Selbst wenn Trumps Politik und Rhetorik tatsächlich als rassistisch verstanden werden, ist er bei Minderheiten vielleicht gerade deshalb beliebt.[7]

Akademiker behandeln rassistische Einstellungen bei Angehörigen von Minderheiten mit ausgeprägtem Desinteresse und konzentrieren ihre Untersuchungen stattdessen fast ausschließlich auf minderheitenfeindliche Einstellungen in der weißen Mehrheitsgesellschaft. Zudem setzt sich zunehmend eine intersektionale Denkweise in den Sozialwissenschaften durch: Diskriminierung, Benachteiligung und Marginalisierung von Muslimen, Schwarzen, Hispanics, LGBTQs, armen Menschen, Frauen usw. werden als fundamental miteinander vernetzt betrachtet – als Teil desselben allumfassenden Kampfes für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.

In diesem Framework ist die Tatsache, dass Menschen sowohl Täter als auch Opfer, sowohl Unterdrücker als auch Unterdrückte und sowohl Verursacher als auch Ziel von Diskriminierung sein können, nur schwer unterzubringen. Dass ein arbeitsloser, schwarzer, illegal eingewanderter Muslim, der zur sozialen und ökonomischen Unterschicht gehört und aufgrund seines Aussehens und seines Namens diskriminiert wird, seinerseits Hass gegen Frauen oder Homosexuelle schüren oder ausleben kann, ist im intersektionalen Weltbild im Grunde nicht vorgesehen.

Tatsächlich fällen Mitglieder von Gruppen, die als historisch marginalisiert oder benachteiligt gelten, aber oft sehr negative Urteile über Menschen aus anderen Minderheitengruppen und scheinen mit der intersektionalen Perspektive auf soziale Fragen nicht viel anfangen zu können. Beispielsweise ist in vielen arabischen, hispanischen und asiatischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten eine ausgeprägte Abneigung gegenüber Schwarzen weit verbreitet.[8][9][10]

Antisemitismus kommt bei Schwarzen und Hispanics deutlich häufiger und stärker als bei Weißen vor.[11] Viele schwarze und hispanische Christen hegen starkes Misstrauen gegenüber Muslimen.[12][13] Ein großer Teil der amerikanischen Hindus denkt genauso.[14] Diese Antipathien zeigen sich nicht nur in Umfragen. Laut FBI-Statistiken wird etwa ein Drittel aller Hassverbrechen in den USA von ethnischen Minderheiten begangen.[15]

Insbesondere Schwarze und Hispanics sind als Täter stark überrepräsentiert. Im Vergleich zu Weißen sind Schwarze doppelt so häufig Mitglieder einer Hassgruppe und begehen 3 Mal häufiger Hassverbrechen. In New York City werden 70 % aller Hassverbrechen und 90 % aller Übergriffe gegen Juden von Schwarzen begangen. Seit Beginn der Coronaviruspandemie wurden auch rund 90 % der anti-asiatischen Attacken von schwarzen Amerikanern verübt.[16]

Eine Mehrheit der Schwarzen in den USA hält Homosexualität für „always wrong“.[17Vergleichbare Tendenzen haben sich auch in Europa gezeigt, z. B. bei einer Integrationsstudie über muslimische Jugendliche mit Migrationshintergrund in Wien:[18]

– 50 % der Afghanen und Syrer sowie 40 % der Tschetschenen, Türken und Bosnier lehnen Homosexualität strikt ab („nie okay“).

– 65 % der Bosnier und 52 % der Afghanen finden: „Juden haben zu viel Einfluss auf der Welt.“ 44 % von ihnen empfinden Jüdinnen und Juden als unsympathisch. 68 % der Afghanen und jeweils 40 % der Syrer und Türken sagen wörtlich: „Juden sind der Feind aller Muslime.“

– Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind sich auch untereinander nicht grün und werten Menschen pauschal aufgrund ihres Herkunftslandes ab. Junge Menschen mit bosnischem Migrationshintergrund empfinden vor allem Menschen aus Tschetschenien, aber auch Menschen aus Afghanistan, Afrika und Serbien als eher unsympathisch, während junge Menschen mit türkischem Migrationshintergrund Antipathien gegen Kurden, Afrikaner und Tschetschenen hegen.

Solche Spannungen schlagen sich auch in politischen Präferenzen nieder. Schwarze Amerikaner befürworten eine Begrenzung der Einwanderung stärker als jede andere Gruppe aus dem Lager der Democrats.[19] Nach Auffassung von Hispanics ist illegale Einwanderung sogar ein noch größeres Problem als in den Augen von Weißen oder Schwarzen.[20] Sie befürchten, dass illegale Einwanderung negative Konsequenzen für die Hispanics hat, die bereits in den USA leben und finden, eine stärkere Grenzsicherung sollte höchste Priorität der amerikanischen Einwanderungspolitik sein.[21][22]

Auch für die derzeit als progressiv geltende Idee, eine Auflösung oder Budgetreduzierung der Polizei würde dem sozialen Frieden dienen, zeigen einem schwarze Wähler den Vogel: 81 % wünschen sich in Zukunft genauso viel oder sogar noch mehr Polizeipräsenz in ihrem Viertel. Zu guter Letzt erreichte Joe Biden bei Frauen ein um 2 Prozentpunkte besseres Wahlergebnis als Hillary Clinton, was weitere Luft aus dem Frauenquoten-Argument lässt, Frauen würden sich nur von anderen Frauen vertreten oder repräsentiert fühlen.

Mit anderen Worten: Öffentliche Diskurse über ethnische Konflikte, die Interessen von Minderheiten oder (angeblich) diskriminierte Gruppen in der westlichen Welt stellen die Realität regelmäßig auf den Kopf. Viele würden vermutlich genau das Gegenteil erwarten, aber Trumps Haltung in Sachen Einwanderung, Law and Order und Wertkonservatismus stößt in Wahrheit eher Weiße ab, während sie bei den People of Color anschlussfähig ist.[23]

Einzelnachweise

[1] https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/nov/14/joe-biden-trump-black-latino-republicans?fbclid=IwAR2GyAqQlR-gnzWtZKFperiijFunu4MDvQHfXn_oNB_pmDcMKxqeAozUXSg

[2] https://www.washingtonpost.com/gdpr-consent/?next_url=https%3a%2f%2fwww.washingtonpost.com%2fgraphics%2f2020%2felections%2fexit-polls-changes-2016-2020%2f%3ffbclid%3dIwAR2ve6YUSnhxnbK1HcC-Ut634QyqsAtE3Wh7V5xFYOJMOJdE6RwgPpSlhvk&fbclid=IwAR2ve6YUSnhxnbK1HcC-Ut634QyqsAtE3Wh7V5xFYOJMOJdE6RwgPpSlhvk

 

[3] https://www.nytimes.com/interactive/2020/11/03/us/elections/exit-polls-president.html?fbclid=IwAR0qRTIuudyT2FTO5UoRVlDD0J-ahkruOdy9gfWlTGr-IAVIsF9E-zJ1v_w

 

[4] https://www.nytimes.com/interactive/2016/11/08/us/politics/election-exit-polls.html?fbclid=IwAR3XgBhMvI3aE2ZAaZCmgqUmifDkvF1RZnZP7KqinONolotYbbMENCupDmE&mtrref=l.facebook.com&gwh=6D0E7C3A2D718780C103ABCCD5CEF8BB&gwt=regi&assetType=REGIWALL

[5] https://www.nytimes.com/2020/09/18/opinion/biden-latino-vote-strategy.html?fbclid=IwAR3xEes4jpvXsmKKIrdxJrhirF7uL7cYSA3vNXDFwQlVEKuSO5b8FFw59vs

[6] https://contexts.org/blog/who-gets-to-define-whats-racist/?fbclid=IwAR3iUwlKpCEGeRiK1e_9-AjcNLuj1G-a5kMoX-bttE4GN0Nhs4LXGwF2s8k

 

[7] https://academic.oup.com/poq/article-abstract/80/2/480/2588828?fbclid=IwAR2LEEt6_VsW_KB6PHsUT35wLwx9pvkcWshXDwwAntRDFX0GO1LRLlKslcc

[8] https://www.theguardian.com/us-news/2019/jan/09/detroit-arab-african-american-discrimination-race?fbclid=IwAR2RZp9N_hSBjoDMfCHR2Mkf1mnximMU_nl0WkVC3lqADkORBI1DSznEfRo

[9] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1559-1816.2011.00836.x?fbclid=IwAR0Um7KozxcNthlICaCG7bzoXPcSAqB67ixF8YLVbLFH97itsiJmlOfo0a0

[10] https://theoutline.com/post/1351/black-asian-conflict-beauty-supply?zd=2&zi=wu4txncz&fbclid=IwAR0d37GsERAnxS14Xk9Ib0rVvwLr8anOOplC2QznBlGsCvCc0s4tGCyqAGo

[11] https://reason.com/volokh/2019/12/11/anti-semitic-propensities-by-race-according-to-the-anti-defamation-league/?fbclid=IwAR32mVP0p6fR10OYLmKqFnOr0CgSza_UBmNM7xlyiZ9uGBcjOOiEujl1q0k

[12] https://www.prri.org/wp-content/uploads/2015/11/PRRI-AVS-2015-Web.pdf?fbclid=IwAR2LEEt6_VsW_KB6PHsUT35wLwx9pvkcWshXDwwAntRDFX0GO1LRLlKslcc

[13] https://www.pewresearch.org/hispanic/2007/04/25/iii-religious-practices-and-beliefs/?fbclid=IwAR1o77wamLjq-cxbjbiP2bVhPFHeHmAdvna-GnGPma_-XNQflNKwSN4pBkU#how-they-view-other-faiths

[14] https://www.nytimes.com/2016/10/15/us/politics/indian-americans-trump.html?fbclid=IwAR1nUIWLGd4SzyoeNzW9Yx25_5tQL7blovO7O3qLN7zTDUfq8_0Sz0UL6kw

[15] https://www.justice.gov/hatecrimes/hate-crime-statistics?fbclid=IwAR0vTHxr8rI56MIMNQmQWOuoC5-rFind5kAQiXRju74BC64mCxdnrv8yMts

 

[16] https://nypost.com/2019/11/25/what-the-left-doesnt-want-to-mention-about-new-york-city-hate-crimes/?fbclid=IwAR0U3k5obWcwrInvn5FbbunfmO0kOIHYaid4F_hihoi4n1zAS-EEQERQQ38

[17] https://www.gnxp.com/WordPress/2019/11/05/huge-difference-in-attitudes-toward-homosexual-behavior-among-democrats-by-race/?fbclid=IwAR3XgBhMvI3aE2ZAaZCmgqUmifDkvF1RZnZP7KqinONolotYbbMENCupDmE

[18] https://www.integrationsfonds.at/mediathek/mediathek-publikationen/publikation/forschungsbericht-junge-menschen-mit-muslimischer-praegung-in-wien-213/?fbclid=IwAR3XgBhMvI3aE2ZAaZCmgqUmifDkvF1RZnZP7KqinONolotYbbMENCupDmE

[19] https://www.latimes.com/opinion/op-ed/la-oe-seminara-trump-immigration-reform-african-americans-20180316-story.html?fbclid=IwAR3iUwlKpCEGeRiK1e_9-AjcNLuj1G-a5kMoX-bttE4GN0Nhs4LXGwF2s8k

 

[20] https://news.gallup.com/poll/206681/worry-illegal-immigration-steady.aspx?fbclid=IwAR1o77wamLjq-cxbjbiP2bVhPFHeHmAdvna-GnGPma_-XNQflNKwSN4pBkU

[21] https://www.pewresearch.org/fact-tank/2020/02/11/path-to-legal-status-for-the-unauthorized-is-top-immigration-policy-goal-for-hispanics-in-u-s/?fbclid=IwAR2RZp9N_hSBjoDMfCHR2Mkf1mnximMU_nl0WkVC3lqADkORBI1DSznEfRo

[22] https://www.pewresearch.org/fact-tank/2020/02/11/path-to-legal-status-for-the-unauthorized-is-top-immigration-policy-goal-for-hispanics-in-u-s/?fbclid=IwAR2RZp9N_hSBjoDMfCHR2Mkf1mnximMU_nl0WkVC3lqADkORBI1DSznEfRo

[23] https://www.nbcnews.com/think/opinion/trump-vote-rising-among-blacks-hispanics-despite-conventional-wisdom-ncna1245787?fbclid=IwAR1X6ELn9HL7SP0tbCnY9d0d_fcpsCbfOKo-NjallXXhuW3E6kibJLx9HNQ

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