Auf 154 Seiten und in 10 Kapiteln versucht J. LENNOX, seine Überzeugungen zu Glaube vs. Wissenschaft darzulegen, was jedoch inhaltlich aus Sicht der Rezensenten an vielen Punkten misslingt. Diese Auffassung möchten wir in der folgenden Besprechung inhaltlich ausführen. Die Buchinhalte sind in blauer Schrift eingerahmt, Originalzitate in Anführungsstriche gesetzt.
LENNOX behauptet, der atheistische Kosmologe S. HAWKING sei im Irrtum, wenn er dem "Gesetz der Schwerkraft" ein schöpferisches Potenzial zuschreibe; "die Gesetze der Physik sind nicht in der Lage, irgendetwas zu erschaffen… NEWTONs berühmte Bewegungsgesetze haben noch keinen einzigen Billardball dazu gebracht, über den Tisch zu rollen" (S. 47).
Es fällt auf, dass LENNOX das gesetzmäßige Verhalten der Dinge (≡ Naturgesetze-1) und theoretische Aussagen über solche Naturgesetze-1 (≡ Naturgesetze-2) miteinander vermengt: Schwerkraft ist eine Wirkung, die materielle Gegenstände aufeinander ausüben, folglich ist sie ein Naturgesetz-1. NEWTONs Gravitationsgesetz, das es beschreibt, ist dagegen eine formale Repräsentation dessen: ein Naturgesetz-2.
Somit ist es trivial, dass etwas Abstraktes wie der NEWTONsche Formalismus nichts hervorbringt. Wenn also HAWKING dem "Gesetz der Schwerkraft" schöpferisches Potenzial zuschreibt, so kann er nur das ontische Gesetz (≡ Naturgesetz-1) gemeint haben, nicht NEWTONs Gleichung. Das heißt, LENNOX widerlegt eine Behauptung, die niemand vertritt. Das nennt man gemeinhin ein Strohmannargument.
Des Weiteren schreibt LENNOX, HAWKING habe keine Antwort auf die zentrale Frage: "Warum gibt es überhaupt etwas und nicht einfach nichts?" (S. 49) Er widerspreche sich sogar selbst, indem er behaupte, das Universum habe sich selbst mithilfe des Gesetzes der Schwerkraft aus dem Nichts erschaffen, denn die Schwerkraft sei nicht nichts.
Für das rationale Begreifen der Welt, so insinuiert LENNOX, sei es unverzichtbar, Gott als personale Erklärung, als "kreative Kraft" anzuführen, die "hinter seiner Entstehung stand".
Es stimmt, dass ein eigenschaftsloses "Nichts" die Welt nicht hervorgebracht haben kann. Es muss irgendetwas existiert haben, das den Urknall auslöste, und sei es nur so etwas Dürftiges wie das Quantenvakuum (BUNGE & MAHNER 2004, S. 211). Allerdings wäre es vermessen, hier dem Kosmologen HAWKING Unkenntnis zu unterstellen, denn:
"Etwas weltlicher formuliert verbirgt sich hinter dem Quantenvakuum das Nichts. Die Quantentheorie entlarvt das Nichts als ein komplexes, strukturreiches Gebilde. Es stellt sich heraus, dass es prinzipiell unmöglich ist, einen Raumbereich völlig von Teilchen zu entleeren."1)
LENNOX' Frage müsste eher lauten, warum dieses "Nichts" bestimmte Eigenschaften hat oder, weshalb ein eigenschaftsloses "Nichts" im philosophischen Sinn offenbar nicht existiert. Die weltberühmte Frage, die schon Martin HEIDEGGER aufwarf, warum es nicht einfach nichts gibt, kann die Naturwissenschaft in der Tat nicht beantworten. Das liegt aber nicht daran, dass dahinter eine personale Erklärung wie "Gott" stehen muss, sondern an der Logik von Erklärungen.
Etwas zu erklären bedeutet, es auf Gesetze und Randbedingungen zurückzuführen. Allein aus der logischen Struktur der Erklärung heraus geht genau das beim Universum und seinen Naturgesetzen-1 nicht. Denn wir müssten dazu eine Umgebung des Universums sowie gesetzmäßige Ereignisse ins Auge fassen, die zeitlich vor den Naturgesetzen-1 und vor dieser Welt liegen (MITTELSTAEDT & VOLLMER 2000, S. 222).
Da das Universum per Voraussetzung alles ist, was existiert, kann es:
"…per definitionem keine Umgebung haben. Man kann also in keine Umgebung hineingehen und über Randbedingungen und unter Zugrundelegung von bestimmten Gesetzen die Existenz des Universums ableiten. Es sei denn, Sie machen die kühne Hypothese einer Pluralität von Universen – d. h., Sie setzen so etwas wie ein Quantenvakuum voraus. Das macht man heute in der Tat so. Dann bleibt aber die Erklärung selbstverständlich beim Quantenvakuum hängen. Sie haben damit lediglich eine tiefere Entität mit einem Vakuum, einem leeren Raum, in dem es immer irgendwelche Schwankungsereignisse gibt und aus denen immer wieder neue Universen entstehen. Aber die Existenz des Quantenvakuums selbst können Sie damit abermals nicht erklären." (KANITSCHEIDER 2000)
Für die Zeit kurz nach dem Urknall (ab etwa10-35 s) gibt es mit dem Standardmodell der Kosmologie zwar plausible physikalische Vorstellungen. Der Urknall selbst bleibt aber weitgehend im Dunkeln, auch wenn es Ansätze für eine Erklärung gibt. Und auch bei diesen Ansätzen kann man nach einer Letzterklärung weiterfragen, denn auch sie müssen "etwas" postulieren, was als Erklärung für den Urknall gilt.
Der analytische Philosoph Hans ALBERT zeigt, dass Letztbegründungen aus gutem Grund scheitern: Warum die Dinge im Kosmos gerade diese Eigenschaften haben, die sie haben, kann man zwar manchmal (historisch) erklären. Aber irgendwo muss die Erklärungskette beginnen, sonst landet man in einem unendlichen Regress. Die allerersten Raumzeit-Strukturen, ihre fundamentalen Naturgesetze und -konstanten, sind also zwangsläufig nicht weiter begründbar.
Im Übrigen wird dieses Problem auch durch einen Schöpfer nicht behoben, denn jener verlagert die Frage nach dem Urgrund lediglich eine Ebene weiter nach hinten. Was sich dann zwangsläufig anschließt, ist die Frage nach einer befriedigenden Erklärung für die Existenz des Schöpfers. Ist es nicht willkürlich, diese Erklärung als Letzterklärung zuzulassen, bei der physikalischen Erklärung aber weiterzufragen (BAUBERGER 2018, S. 203)?
Naturalisten kritisieren zu Recht eine naive Schöpfungsvorstellung, die dort ansetzt, wo die Naturwissenschaft noch keine (gute) Erklärung gefunden hat, nach dem Motto: "Für alles nach dem Urknall ist die Physik zuständig, aber der Urknall selbst, den hat Gott gemacht." Steven WEINBERG (1999, S. 48) hat recht, wenn er bemerkt:
"Wenn wir die Handschrift des Schöpfers irgendwo sehen könnten, dann wohl bei den grundlegendsten Naturgesetzen. Soweit wir sie kennen, sind sie vollkommen unpersönlich und ohne jede Sonderstellung für das Leben."
Lennox schreibt, die Naturgesetze würden die Welt nicht erklären, sondern nur beschreiben; "aus Sicht der Naturwissenschaft" stelle "schon die bloße Existenz der Naturgesetze ein Mysterium in sich dar" (S. 43).
Zunächst ist es trivial, dass Gesetzesaussagen (Naturgesetze-2) allein nichts erklären. Sie spielen aber eine wichtige Rolle in Erklärungen, denn "Erklärungen sind ja Argumente, in deren Prämissen eine Gesetzesaussage auftauchen sollte", so der Wissenschaftstheoretiker Martin MAHNER (persönliche Mitteilung). Wenngleich also die Existenz von Naturgesetzen-1 selbst unerklärt bleibt, sind die sie repräsentierenden Naturgesetze-2 unverzichtbare Voraussetzungen für das Erklären: Ohne Aussagen über Naturgesetze-1 und Mechanismen sind rationale Erklärungen unmöglich.
Zunächst ist es trivial, dass Gesetzesaussagen (Naturgesetze-2) allein nichts erklären. Sie spielen aber eine wichtige Rolle in Erklärungen, denn "Erklärungen sind ja Argumente, in deren Prämissen eine Gesetzesaussage auftauchen sollte", so der Wissenschaftstheoretiker Martin MAHNER (persönliche Mitteilung). Wenngleich also die Existenz von Naturgesetzen-1 selbst unerklärt bleibt, sind die sie repräsentierenden Naturgesetze-2 unverzichtbare Voraussetzungen für das Erklären: Ohne Aussagen über Naturgesetze-1 und Mechanismen sind rationale Erklärungen unmöglich.
Das klassische Verständnis von Erklärung, das "Hempel-Oppenheim"- oder "deduktiv-nomologische Schema" (DN-Schema), versteht etwas als gut erklärt, wenn es aus der Kombination von zwei Klassen von Aussagen folgt: Die erste beschreibt kontingente (zufällige, nicht-notwenige) Sachverhalte, die zweite Klasse allgemeine Gesetze. Im einfachsten Fall ist es eine andere Tatsache und ein allgemeines Gesetz, aus dem die zu erklärende Tatsache folgt (BAUBERGER 2018, S. 208).
Wissenschaftliche Erklärungen müssen aber nicht unbedingt dem DN-Schema folgen. Die erklärende Theorie muss vielmehr folgenden Bedingungen genügen, um als wissenschaftlich zu gelten:
Erstens benötigen wir eine auf Mechanismen basierte bzw. mechanismische (diese können kausaler oder probabilistischer Natur sein) Erklärung, welche uns Wie- und Warum-Fragen beantwortet (MAHNER 2018, S. 86).
Zweitens muss eine Erklärung bestimmte methodologische Bedingungen erfüllen: Die erklärenden Prämissen müssen nicht nur überprüfbar, sondern auch erfolgreich überprüft und gut bestätigt sein, ansonsten haben wir es bestenfalls mit einer möglichen bzw. hypothetischen Erklärung zu tun (MAHNER 2018, S. 87).
Die Prämissen werden zusammen als Explanans bezeichnet, aus dem die zu erklärende Tatsachenaussage, das Explanandum, logisch folgt (MAHNER 2018, S. 86). Am Beispiel des D-N-Modells (deduktiv-nomologisches Modell) soll erklärt werden, was ein Explanans bzw. ein Explanandum ist:
Prämisse 1: Alle Menschen, die mind. 300 mg Strychnin einnehmen, sterben.
Prämisse 2: Mensch b hat 400 mg Strychnin eingenommen.
Konklusion: Mensch b wird sterben (was man überprüfen kann!)
Drittens wird das Explanans immer einen begrenzten und definierten Erklärungsrahmen haben: Es erklärt nur das, was erklärt werden soll. So kann zum Beispiel der Mechanismus der Kontinentaldrift zwar die Entstehung von Gebirgen erklären, nicht aber die Entstehung von Leben. Das heißt, die Kontinentaldrift-Theorie erklärt exakt und sehr spezifisch jenen Sachverhalt, den sie erklären soll.
Mit einer "Gottheit" hingegen, deren Wirkgrenzen nicht spezifizierbar sind, ließe sich schlichtweg alles "erklären". Aus dem Grund ist "Gott" als Erklärung, das übersieht LENNOX notorisch, vollkommen beliebig, und diese Erklärung somit wertlos.
John GRAY schreibt: "Der moderne Humanismus ist der Glaube, dass die Menschheit durch Wissenschaft die Wahrheit erkennen und dadurch frei werden kann. Doch wenn DARWINs Theorie der natürlichen Selektion stimmt, ist das unmöglich. Der menschliche Verstand dient dem evolutionären Erfolg, nicht der Wahrheit" (S. 59 f.).
Bei diesem Argument werden zwei Dinge unzulässig vermischt: Beim Humanismus steht das Wohl und die Würde des Menschen im Mittelpunkt: Humanismus ist eine Weltanschauung. Entscheidend ist, dass Bildung und Wissen notwendig sind, wenn man dessen Ideale verwirklichen möchte (VOLLMER 2017, S. 415). Nun erhebt sich die Frage, was dies überhaupt mit Evolution zu tun haben soll: Evolution ist ein Naturprozess, der von der Evolutionstheorie (natur-) wissenschaftlich beschrieben wird.
Die evolutionäre Erkenntnistheorie beantwortet die Frage, was wir diesbezüglich mit "evolutionärem Erfolg" und Erkenntnisfähigkeit meinen: eine Passung! Menschen sind körperlich und physiologisch Mittelmaß. Unser "phylogenetisches Erfolgsrezept" ist unser Erkenntnisapparat als Ergebnis der (biologischen) Evolution. Die subjektiven Erkenntnisstrukturen passen auf die Welt, weil sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an die reale Welt herausgebildet haben (VOLLMER 2017, S. 363).
Die Tatsache, dass unser Verstand nicht "der reinen Wahrheit" dient, liegt daran, dass biologische Anpassung nie ideal ist: In der Evolution kommt es nicht darauf an, perfekt zu sein, sondern etwas besser als die Konkurrenz (VOLLMER 2017, S. 365). Und hier ist Erkenntnisfähigkeit unser Trumpf!
Bei der Frage, welches Bild wir von unserer Außenwelt erhalten, sind wir längst von der Position einer Abbild- oder Korrespondenztheorie zu einer Kohärenztheorie der Erkenntnis übergegangen, wonach kognitive Strukturen ihren Trägern keineswegs eine "vollständige" Vorstellung von den sie umgebenden Gegenständen und ihren Eigenschaften vermitteln (KLOSE & OEHLER 2008, S. 213).
1. "Wenn das Geistige für sich genommen aber nicht bloß physikalisch ist, dann kann es von der physikalischen Wissenschaft nicht vollständig erklärt werden… Der evolutionistische Naturalismus impliziert, dass wir keine unserer Überzeugungen ernst nehmen sollten, auch nicht das wissenschaftliche Weltbild, auf dem der evolutionistische Naturalismus selbst beruht" (S. 60) (NAGEL 2014/2016, S. 46).
2. "Das heißt: Der Naturalismus, und damit auch der Atheismus, untergräbt die Grundlagen der Rationalität, die jedoch notwendig ist, um überhaupt Argumente zu konstruieren, zu verstehen oder zu glauben, allen voran die Naturwissenschaft." (S. 60)
zu Punkt (1.)
Zunächst einmal ist die fehlende Begriffsklarheit zu rügen: "Das Geistige" ist zu definieren! Dabei zeigt sich, dass es etwas rein Geistiges nicht gibt, sondern dass Geist – stets und notwendigerweise – an hochkomplexe materielle Entitäten (Gehirne) gebunden ist. Schon deshalb ist eine "unbefriedigende Erklärung des Geistigen" kein Argument gegen den Naturalismus oder Materialismus. Es ist nur ein Appell an das Nichtwissen: ein argumentum ad ignorantiam. Aber aus Nichtwissen folgt nichts (MAHNER 2018, S. 96).
Zudem scheitert LENNOX an dem kategorialen Problem, etwas vermeintlich Immaterielles ("Geist") mit etwas Materiellem ("Gehirn") interagieren zu lassen. Das setzte voraus, dass das Immaterielle bestimmte Zustände einnehmen und einen Prozess der Zustandsveränderung durchlaufen bzw. initiieren könnte. Zustände, Prozesse und Interaktionen sind für immaterielle Objekte aber gar nicht definiert; wir "wissen nicht einmal ansatzweise, wie eine Veränderung in einem immateriellen Gegenstand begrifflich gefasst werden sollte" (BUNGE & MAHNER 2004, S. 145). Aufgrund dieses ontologischen Defekts, so BUNGE & MAHNER weiter, bleibt völlig unklar, warum mein "Geist" mit meinem Gehirn statt beispielsweise mit meiner Leber interagieren sollte. Das sind bereits gute Gründe, LENNOX' Argumentation zurückzuweisen.
Weiterhin ist "evolutionistischer Naturalismus" kein Fachterminus für einen philosophischen Standpunkt, sondern ein Kampfbegriff ohne Inhalt. Daher impliziert ein solcher Naturalismus auch nichts. Es handelt sich um ein Strohmann-Argument: Der Gegenseite werden Argumente untergeschoben, die sie nicht vertritt.
Wenn schon, dann muss man von "evolutionärem Naturalismus" sprechen. Darunter wird i.d.R. die Idee verstanden, dass es ein universelles Evolutionsprinzip gibt, das naturalistisch beschrieben werden kann (VOLLMER 2017, S. 452). Aber das ist hier irrelevant, denn die Evolutionstheorie kann erklären, wie Gehirnfunktionen entstanden sein müssen und dass (und warum) sie genetisch verankert sind (VOLLMER 2017, S. 394).
Der zweite Satz stammt aus Thomas NAGELs Buch "Geist und Kosmos". Solange das Mentale nicht auf das Physikalische zurückführbar sei, könne das Bewusstsein naturalistisch nicht erklärt werden (NAGEL 2014, S. 70).
Auch dieser Haltung liegen wieder einige Irrtümer zugrunde: Erstens ist das Argumentieren mit einer fehlenden Erklärung erneut ein argumentum ad ignorantiam und somit ein Fehlschluss. Zweitens wird es heute kaum einen Neurowissenschaftler mehr geben, der bestreitet, dass Bewusstsein allein von Hirnfunktionen erzeugt werden; die hierfür vorliegenden Evidenzen sind viel zu stark.
Ob wir das nun schon verstehen und in Form einer geschlossenen Theorie abbilden können, ist ziemlich unerheblich. Warum ausstehende Erklärungen für einen psychophysischen Dualismus sprechen sollten, bleibt LENNOX' und NAGELs Geheimnis. Hier ist noch nicht einmal die Struktur des Arguments nachvollziehbar.
zu Punkt (2.)
Wenn LENNOX behauptet, Vernunft sei auf naturalistischem oder atheistischem Boden unmöglich, so zeigt dies, dass er weder von naturalistischer Wissenschaftsphilosophie noch von Evolutionärer Erkenntnistheorie Ahnung hat. Zur Frage, warum Rationalität nur auf Basis des Naturalismus möglich ist, siehe z. B. NEUKAMM (2019).
Die Naturwissenschaft könne das Übernatürliche gar nicht ausschließen, die naturwissenschaftliche Methodik und jede Art logisch-rationalen Schlussfolgerns setze es notwendigerweise voraus (S. 63).
Das ist vollkommen falsch. Würden wir Übernatürliches voraussetzen und als Explanans zulassen, könnten wir nicht einmal mehr unserer Wahrnehmung und unseren Messergebnissen vertrauen. Wissenschaft wäre von vornherein sinnlos, da ihre Ergebnisse (ja, selbst unser Denken!) beliebiger transnaturaler Manipulation unterliegen könnten. Dieses Problem können fundamentalistisch Gläubige nur umschiffen, indem sie ad hoc postulieren, dass alles Übernatürliche plötzlich "ganz schnell weg" guckt, sobald wir Experimente durchführen (MAHNER 2007, S. 86).
Konsequent und wissenschaftskompatibel ist daher nur die methodologisch erzwungene Annahme, dass es in dieser Welt keinerlei übernatürliche Beeinflussung gibt. Der Naturwissenschaftler setzt diese ontologische Prämisse voraus und schaut dann, wie weit er damit kommt. Chemie, Kernphysik, Biologie und Geologie sind ohne Übernatürliches erklär- und verstehbar. Ergo wird man – wenn man auf naturalistischer Ausgangsbasis zu vollständig befriedigenden Erklärungen gelangt – keine (heuristisch überflüssigen) Götter, Geister, oder Kobolde einführen.
Die Menschheit existiere um die Schöpfung zu erforschen. J. LENNOX verweist auf eine "Studie unter kontrollierten Bedingungen" im ersten Kapitel des Buches Daniel (S. 69 f.).
Über die Tatsache, dass es sich bei dieser Geschichte um eine Legende handelt (SPITZER & BERTRAM 2010, S. 290), wird der Leser nicht aufgeklärt. Wie man darüber hinaus die vermeintliche "Schöpfung" (und damit den Schöpfungsakt und dessen Urheber) erforschen können soll, bleibt ebenfalls obskur.
John LENNOX berichtet von der Bekehrung Antony FLEWs. Als Begründung für seine Bekehrung gab dieser an, dass die Erforschung der DNA durch Biologen gezeigt habe, dass aufgrund der unglaublich komplexen Konstellationen, die für die Entstehung von Leben notwendig sind, Intelligenz im Spiel gewesen sein müsse (S. 73).
Wir wissen heute sehr wohl, dass die chemische Evolution eine Kombination von RNA-Welt- und Kompartiment-Hypothese der einzig plausible Kandidat für eine wissenschaftlich akzeptable Erklärung ist, dafür ist kein intelligenter Designer nötig.
Im Übrigen übersieht LENNOX, dass sich FLEW keineswegs zu einem personalen Gott bekannte, sondern zum Deismus. Und dieser lässt nach Entstehung des Universums nur natürliche Faktoren gelten. Ferner musste FLEW zugestehen, dass sein Meinungswandel in der Sache nicht fundiert war: "Ich habe bemerkt, dass ich mich blamiert habe, als ich annahm, dass es eine vorweisbare Theorie für die Entwicklung unbelebter Materie hin zum ersten reproduktionsfähigen Leben gebe" (Quelle: Wikipedia, Antony FLEW).
Im Kapitel über Wunder erfährt man, dass HUME falsch gelegen hätte, als er behauptete, Wunder würden die Naturgesetze verletzen (S. 94).
Dazu sollte man wissen: Naturgesetze-1 zu ändern bedeutet immer, essenzielle Eigenschaften dieser Welt – ohne Daten und theoretische Begründung – als (beliebig) veränderlich zu erklären.
Ergo könnte selbst ein allmächtiger Gott Naturgesetze-1 nur ändern, indem er die Eigenschaften der Dinge selbst verändert. Naturgesetze-1 sind schließlich keine übermateriellen Vorschriften, sondern gehören zu den essenziellen Eigenschaften von Dingen bzw. der Welt (MAHNER 2018, S. 58). Wie auch immer man es dreht und wendet: Man manövriert sich mit LENNOX' Position in unauflösbare Schwierigkeiten.
Bezüglich der Verlässlichkeit des neuen Testaments meldeten viele Menschen Zweifel an, da es viele Male abgeschrieben wurde. Durch den Manuskriptvergleich sei es aber möglich, den Originaltext zu rekonstruieren. Dabei verträten Fachleute die Meinung, dass weniger als 2 Prozent des Textes unsicher seien (S. 100 f.). Es sei daher sehr unwahrscheinlich, dass die Evangelien nur auf einem Mythos beruhten (S. 109).
Die ältesten Evangelien sind Jahrzehnte nach Jesu Tod entstanden; an der Abfassung war kein Augenzeuge mehr beteiligt. Bis dahin wurden sie vor allem mündlich und möglicherweise in Form von einzelnen Notizen und Briefen tradiert. Das alles ist historisch nicht mehr nachvollziehbar. Im Übrigen gibt es einige Dutzend Evangelien, etliche datieren aus dem 2. Jahrhundert. Somit kann man mit diesen Texten nicht argumentieren, als seien sie historisch zuverlässige Quellen. Die Übereinstimmung zwischen den drei synoptischen Evangelien besagt im Übrigen nur, dass sie aus derselben Quelle schöpften, sagen aber über die Zuverlässigkeit jener Quellen nichts aus.
Dass der Theologe Rudolf BULTMANN eine "Entmythologisierung des Neuen Testaments" vorangetrieben hat (RANKE-HEINEMANN 2002, S. 192), scheint J. LENNOX fremd zu sein. Was ist mit "Entmythologisierung" gemeint? BULTMANN ging es um ein Erkennen der Fremdartigkeit des biblischen Textes und um das Vermeiden einer vorschnellen Anwendung auf die Gegenwart: "Und wer das Eigentümliche, Unwiederholbare der einstigen geschichtlichen Situation erfasst hat, wird auch den Abstand seines Textes von der Gegenwart empfinden und nicht das damals Geltende ohne weiteres für die Gegenwart anwenden" (VALERIO 1994, S. 242).
Man kann es auch direkter ausdrücken: "Die kanonischen Texte, spät wie sie überliefert sind, präsentieren sich - trotz ihrer Exegese seit zweitausend Jahren - nicht weniger legenden-, mythen-, mitunter geradezu märchenhaft" (FRIED 2019, S. 135).
Es sollte in der Rezension klargeworden sein, dass das Vorliegen widersprüchlicher Evangelien lediglich eine "historische Annäherung" liefern kann, jedoch keine wissenschaftliche Erklärung. Der historische Jesus ist und bleibt schwer rekonstruierbar, er sollte von der Figur Christi klar getrennt werden. Nur so können Widersprüche zwischen Wissenschaft und Glaube vermieden werden.
BAUBERGER, S. (2018) Was ist die Welt? Zur philosophischen Interpretation der Physik. W. Kohlhammer.
BUNGE, M. & MAHNER, M. (2004) Über die Natur der Dinge. S. Hirzel.
FLEW, A. Wikipedia, Hinwendung zum Deismus, Brief an Richard Carrier (29. Dez. 2004), vgl. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Antony_Flew
FRIED, J. (2019) Kein Tod auf Golgatha. Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus. C. H. Beck.
KANITSCHEIDER, B. (2000) Alpha-Forum: Im Gespräch mit Wolfgang Küpper. https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/alpha-forum/bernulf-kanitscheider-gespraech100.html.
KLOSE, J. & OEHLER J. (2018) Gott oder Darwin? Vernünftiges Reden über Schöpfung und Evolution. Springer.
MAHNER, M. (2007) Unverzichtbarkeit und Reichweite des ontologischen Naturalismus. In: KLINNERT, L. (Hg.) Zufall Mensch? Das Bild des Menschen im Spannungsfeld von Evolution und Schöpfung. WBG, S. 77–90.
MAHNER, M. (2018) Naturalismus. Die Metaphysik der Wissenschaft. Alibri.
MITTELSTAEDT, P. & VOLLMER, G. (2000) Philosophia naturalis. Was sind und warum gelten Naturgesetze? Klostermann.
NAGEL, T. (2014/2016) Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist. Suhrkamp.
NEUKAMM, M. (2019) Naturalismus und Evolutionäre Erkenntnistheorie.
RANKE-HEINEMANN, U. (2002) Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum. Heyne.
SPITZER, M. & BERTRAM, W. (2010) Hirnforschung für Neu(ro)gierige. Schattauer.
VALERIO, K. de (1994) Altes Testament und Judentum im Frühwerk Rudolf Bultmanns. de Gruyter.
VOLLMER G. (2017) Im Lichte der Evolution. Darwin in Wissenschaft und Philosophie. S. Hirzel.
WEINBERG, S. (1999) Es gibt keinen Beweis für Gott. Bild der Wissenschaft 12, S. 48–49.
[1] Siehe: Lexikon der Astronomie:
www.spektrum.de/lexikon/astronomie/quantenvakuum/376.
Gastbeitrag von: Martin Neukamm und Klaus Steiner.
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