Jaegwon Kim hat dafür argumentiert, dass nur eine funktionale Reduktion sowohl eine ontische Identifikation als auch eine epistemische Erklärung von höherstufigen mit niederstufigen Eigenschaftsvorkommnissen ermöglicht.[1]
Die Konzeption einer funktionalen Reduktion geht historisch auf Frank P. Ramsey zurück. Sie wurde insb. von David Lewis[2] ausgearbeitet und von Jaegwon Kim[3] weiterentwickelt. Unter Bezugnahme auf Kim lässt sie sich durch diese drei, aufeinander aufbauende Schritte charakterisieren:[4][5]
(a) Definition: Ein Begriff F wird innerhalb einer relativ höherstufigen wissenschaftlichen Theorie T2 durch eine kausale Rolle definiert im Sinne der charakteristischen (Ursachen und) Wirkungen der Objekte, die unter F fallen.
(b) Suche nach Realisatoren: Es wird innerhalb des Gegenstandsbereiches einer relativ niederstufigeren wissenschaftlichen Theorie T1 nach Konfigurationen von physikalischen Eigenschaften gesucht, deren Relationen untereinander so beschaffen sind, dass sie unter Standardbedingungen, qua Konfiguration die kausale Rolle, welche F definiert, realisieren und in Folge alle unter F fallen.
(c) Erklärung: Für jedes Vorkommnis einer solchen physikalischen Konfiguration zeigt man, wie die Beschreibung der Konfiguration in T1 erklärt, weshalb diese ein Fall von F ist. Mit anderen Worten: Man beschreibt die Konfigurationen in Vokabularen von T1 je einzeln als physikalische Mechanismen und erklärt auf diese Weise, wie diese die Wirkungen, welche F definieren, konkret hervorbringen.
Das folgende Beispiel ist stark vereinfacht, illustriert aber die entscheidenden Kerngedanken hinter den einzelnen Schritten:[11] (a) Der Begriff F »Gen für weiße Blüten im Frühjahr« wird innerhalb der klassischen Genetik durch die charakteristischen phänotypischen Wirkungen der Objekte, welche unter F fallen, definiert. (b) Es wird innerhalb der Molekularbiologie nach physikalischen Konfigurationen von Molekülen (DNA-Sequenzen) gesucht, welche die kausale Rolle, welche F definiert, realisieren. (c) Für jedes Vorkommnis einer solchen Molekülkonfiguration zeigt man, wie die molekularbiologische Beschreibung dieser Konfiguration erklärt, weshalb diese Konfiguration unter den Begriff F fällt. Mit anderen Worten: Man beschreibt die Konfigurationen einzeln als physikalische Mechanismen und erklärt auf diese Weise, wie diese die Wirkungen, welche den Begriff F definieren, konkret hervorbringen.
Somit kann jedes Vorkommnis einer kausalen Eigenschaft in der Welt erklärt werden. Es handelt sich dabei um eine kausale Erklärung: Jedes Vorkommnis eines Gens kann beispielsweise dadurch erklärt werden, dass es im entsprechenden Organismus eine Molekülkonfiguration gibt, welche die charakteristischen Wirkungen besitzt, die dieses Gen charakterisieren. Ferner ist die Erklärung reduktiv[12], insofern ein höherstufiges Merkmal wie ein Gen auf Merkmale von niederstufigeren Entitäten wie einer Molekülkonfiguration zurückgeführt werden. Das bedeutet aber nicht, dass genetische Merkmale Molekülkonfigurationen als solchen innewohnen. Wenn einer einzelnen Molekülkonfiguration genetische Merkmale zugeschrieben werden, dann ist diese Aussage nicht wahr aufgrund intrinsischer Eigenschaften der Moleküle, sondern aufgrund von bestimmten stabilen Regularitäten oder Veränderungen der Konfiguration als Ganze.[13]
Es lässt sich allgemein festhalten: Wenn ein Vorkommnis einer kausalen Eigenschaft in der Welt im Sinne der Konzeption einer funktionalen Reduktion auf eine Konfiguration von physikalischen Eigenschaften reduziert wird, dann erlangen wir sowohl eine ontische Token-Identität als auch eine epistem-ische Token-Reduktion. Wenn man beispielsweise ein Genvorkommnis funktional auf ein Vorkommnis einer Konfiguration von Molekülen reduziert, dann besteht eine Token-Identität zwischen diesem Genvorkommnis und bestimmten kausalen Eigenschaften der Molekülkonfiguration. Und es besteht eine Token-Reduktion im Sinne einer Erklärung des Genvorkommnisses durch die Molekülkonfiguration anhand der Schritte (a) bis (c). Die Kombination aus ontischer Token-Identität und fehlender epistemischer Typen-Reduzierbarkeit wird, wie wir bereits wissen, auch als "nicht-reduktiver Physikalismus" bezeichnet.
Ein großes Problem von dieser Position ist dieses hier: Die These der Token-Identität besagt, allgemein gesprochen, dass jedes Vorkommnis einer höherstufigen Eigenschaften identisch ist mit einem Vorkommnis einer niederstufigeren Eigenschaft. Das gilt meist aber nicht umgekehrt: Beispielsweise ist jedes Gen eine Molekülkonfiguration, aber nicht jede Molekülkonfiguration ist ein Gen. Daraus folgt, dass einige niederstufige Eigenschaftsvorkommnisse unter höherstufige Eigenschaftstypen fallen und andere nicht. Nehmen wir zum Zwecke der Illustration beispielsweise an[14], es gäbe zwei niederstufige Eigenschaftsvorkommnisse x und y, wobei x mit einem höherstufigen Eigenschaftsvorkommnis identisch ist und y nicht. Dann scheint es einen Unterschied zwischen x und y geben zu müssen, der dafür verantwortlich ist, dass x unter einen höherstufigen Eigenschaftstyp fällt und y nicht. Andernfalls wäre dies ein factum brutum, eine Tatsache ohne Erklärung. Dies erscheint aber unplausibel. Wenn es aber kein factum brutum ist, dann gibt es eine Erklärung dafür, dass generell bestimmte niederstufige Eigenschaftsvorkommnisse höherstufige Beschreibungen wahr machen und andere nicht. Der Vertreter eines nicht-reduktiven Physikalismus schuldet uns dafür eine Erklärung, die nicht auf Typen-Identität und Typen-Reduktion beruht.
Konzeptionen von funktionaler Reduktion gehen ihrem Anspruch nach daher meist weiter, als nur eine reduktive Erklärung für jedes einzelne Vorkommnis einer kausalen Eigenschaft in der Welt bieten zu wollen. Wenn, sagen wir, ein bestimmtes Vorkommnis einer DNA-Sequenz die phänotypische Wirkung hat, die den oben genannten Genotyp für weiße Blüten definiert, dann gilt der folgende, gesetzesartige Zusammenhang:[15] Alle Vorkommnisse einer DNA-Sequenz des gleichen Typs haben unter Standardbedingungen im Organismus und dessen Umgebung zur Folge, dass die Pflanze weiße Blüten im Frühjahr hervorbringt. Der Grund für diesen gesetzesartigen Zusammenhang ist die starke Supervenienz von höherstufigen Eigenschaften (genetischen Eigenschaften) über niederstufigere Eigenschaften (molekularbiologische Eigenschaften). Dieser gesetzesartige Zusammenhang spiegelt sich auch in den Begriffen der wissenschaftlichen Theorien wider. Es sei F wieder ein funktionaler Begriff einer Theorie T2. Und P1 sei ein physikalischer Begriff einer niederstufigeren Theorie T1, der sich auf alle Vorkommnisse von Konfigurationen physikalischer Eigenschaften bezieht, die auf eine bestimmte Weiße zusammengesetzt sind und aufgrund der Art und Weiße ihrer Zusammensetzung unter Standardbedingungen solche Wirkungen hervorbringen, dass diese Konfigurationen eben-falls unter F fallen. Dann lässt sich dieser Zusammenhang formal wie folgt darstellen:
(I) ∀x (P1x à Fx)
In Worten: Für alle x gilt: wenn x die physikalische Beschreibung P1 erfüllt, dann erfüllt x auch die funktionale Beschreibung F. Oder weniger technisch: Alles dasjenige, was unter den Begriff P1 fällt, fällt auch unter den Begriff F.
Dieser Zusammenhang ist aufgrund des starken Supervenienz von höherstufigen über niederstufige Eigenschaften nomologisch, wenn nicht sogar metaphysisch notwendig: Wenn P1 die Supervenienzbasis für Eigenschafts-vorkommnisse beschreibt, die wiederum von F beschrieben werden und wenn ein x unter P1 fällt, dann ist das hinreichend dafür, dass dieses x auch unter F fällt.
Die umgekehrte Konditionalaussage gilt hingegen nicht:
Der Grund hierfür ist die multiple Realisierbarkeit (fortan kurz: MR) von funktionalen Eigenschaften. Etwas ausführlicher: Es gibt typischerweise[16] mehrere, type-verschiedene Konfigurationen von Vorkommnissen physikalischer Eigenschaften, die unter Standardbedingungen die kausale Rolle realisieren, welche einen funktionalen Begriff F definieren. Formal:
(III)
∀x
(P2x
à
Fx)
(IV) ∀x
(P3x
à
Fx)
(V) …
Die Formeln (I), (III), (IV) … drücken schwache Brückenprinzipien aus. Das heißt sie schlagen Brücken in Form von einseitigen Konditionalen zwischen den Begriffen einer niederstufigeren Theorie T1 zu den Begriffen einer höherstufigen Theorie T2. Solche Brücken sind notwendig[17], da die Begriffe höherstufiger Theorien i.d.R. in einem anderen (funktionalen) Vokabular formuliert sind als die (physikalischen) Begriffe der niederstufigeren Theorie. Beispielsweise spricht die klassische Genetik in Begriffen wie "Genotyp", "Phänotyp", die Molekularbiologie hingegen in Begriffen wie "DNA-Sequenz" und "Molekül". Die Brücke zwischen solchen Begriffen baut man über das Kriterium der Kausalität auf: Man zeigt auf, dass Typen von Konfigurationen, welche in einer niederstufigen Theorie T1 mit P1 beschrieben werden, Wirkungen manifestieren, welche auch in einer höherstufigen Theorie T2 mit F beschrieben werden können.[18] Allerdings erhalten wir auf diesem Wege und aufgrund der multiplen Realisierbarkeit von funktionalen Eigenschaften nur schwache Brückenprinzipien in Form von einseitigen Konditionalen. Gewissermaßen reichen diese Brücken nur „in eine Richtung“: Sie verbinden einen physikalischen mit einem funktionalen Begriff, aber nicht umgekehrt.
Hierin liegt das Problem mit der multiplen Realisierbarkeit (fortan kurz: MR-Problem). Denn einseitige Konditionale von den Begriffen einer niederstufigeren Theorie T1 zu den Begriffen einer höherstufigeren Theorie T2 reichen nicht aus, um T2 auf T1 zu reduzieren.[19] Der Grund ist, dass sie uns keine Begriffe in T1 an die Hand geben, die koextensional zu den Begriffen in T2 sind. In Folge kann man die Gesetze von T1 – in dem Maße, wie diese Gesetze für den Gegenstandsbereich von T2 relevant sind – auch nicht in Begriffen formulieren, die mit Begriffen von T2 koextensional sind. Deshalb lassen sich die Gesetze von T2 nicht aus den von T1 deduzieren und deshalb ist mit bloß schwachen Brückenprinzipien keine (klassisch-nagelsche) Theorienreduktion von T2 auf T1 möglich.
Eine naheliegende Reaktion auf das MR-Problem im Kontext funktionaler Reduktion besteht darin, einen funktionalen Begriff F mit einer Disjunktion von physikalischen Begriffen Pn zu verbinden, die alle n Konfigurationstypen beschreiben, welche die Eigenschaft realisieren, die von F beschrieben wird. Damit kommen wir in der Tat zu einem "starken Brückengesetz" in Form dieses gültigen Bikonditionals:
(VI) ∀x (Fx <-> (P1x v P2x v P3x … v Pnx)).
Eines von vielen Problemen mit dieser Reaktion ist dieses: Es geht uns bei unseren Reduktionsbemühungen in der Regel um die Reduktion von natürlichen Eigenschaften oder Gesetzen.[20] Das sind die einzig interessanten Fälle![2a] Das heißt der funktionale Begriff F sollte eine natürliche Eigenschaft bezeichnen. Weiterhin gewährleisten starke Brückenprinzipien wie das obere Extensionsgleichheit, was heißt, der funktionale Begriff F und der physikalische Kunstbegriff müssen trotz ihrer Bedeutungsverschiedenheit auf die gleichen Entitäten referieren. Daraus und aus dem Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen folgt, dass der Kunstbegriff auch eine natürliche Eigenschaft bezeichnen muss. Das ist aber nicht der Fall: Die durch ihn bezeichnete Disjunktionseigenschaft stellt keine natürliche Eigenschaft dar, sondern eine beziehungslose Aneinanderreihung von Einzeleigenschaften. Folglich ist die soeben skizzierte Reaktion unzufriedenstellend.[21]
Eine weitaus populärere Reaktion auf das Multirealisierbarkeitsproblem geht auf David Lewis und Jaegwon Kim zurück.[22] Sie besteht darin, die Gesamtmenge der Entitäten, welche die funktionale Beschreibung "F" erfüllen, in Untermengen einzuteilen: Die Untermenge der Entitäten, die "F" erfüllen, indem sie "P1" erfüllen; die Untermenge der Entitäten, die "F" erfüllen, indem sie "P2" erfüllen, … die Untermenge der Entitäten, die "F" erfüllen, indem sie "Pn" erfüllen. Auf diese Weise kann man die Konzeption funktionaler Reduktion zu einer lokalen Reduktion ausweiten: die funktionale Beschreibung "F" wird funktional-reduziert auf die physikalische Beschreibung "P1" in dem durch "P1" definierten Konfigurationstyp; die funktionale Beschreibung "F" wird funktional-reduziert auf die physikalische Beschreibung "P2" in dem durch "P2" definierten Konfigurationstyp; …… die funktionale Beschreibung "F" wird funktional-reduziert auf die physikalische Beschreibung "Pn" in dem durch "Pn" beschriebenen Konfigurationstyp.
Diese Reduktionsstrategie ist in dem folgenden Sinne lokal: Zunächst wird eine höherstufige wissenschaftliche Theorie T2, welche F enthält, unterteilt in Subtheorien T2a, T2b, …, welche die Begriffe F in G1, F in G2, … enthalten. Dabei bezieht sich bspw. eine Subtheorie T2a, welche den Begriff F in G1 enthält, auf genau den Gegenstandsbereich G1, in dem die durch F definierte, kausale Rolle von physikalischen Konfigurationen des Typs P1 ausgeführt wird. Danach wird eine niederstufigere wissenschaftliche Theorie T1, welche P enthält, unterteilt in Subtheorien T1a, T1b, …, welche die Begriffe P1, P2, … enthalten. Offensichtlich sind jetzt die Begriffe in T1a koextensional zu denen in T2a, die in T1b zu denen in T2b, …. Daher lässt sich nun T2a lokal auf T1a reduzieren; T2b auf T1b, usw. usf.
Hier ist erneut ein Beispiel, das wissenschaftlich inadäquat ist, aber die entscheidenden Kernideen illustriert: Angenommen Schmerz sei ein psychologischer, funktionaler Eigenschaftstyp. Und angenommen Schmerz wird ausschließlich und einheitlich bei Menschen durch das Feuern von C-Fasern und bei Kraken ausschließlich und einheitlich durch das Feuern von G-Fasern realisiert. Dann ist dieser Eigenschaftstyp durch type-verschiedene, neuronale Konfigurationen multipel realisierbar. Gleichzeitig sind aber die Begriffe wie "Schmerzen in Menschen" und "Feuern von C-Fasern" sowie auch "Schmerzen in Kraken" und "Feuern von G-Fasern" koextensional. Das heißt man kann eine psychologische Subtheorie des Schmerzes in Menschen lokal reduzieren auf eine neurobiologische Subtheorie über das Feuern von C-Fasern. Und die psychologische Subtheorie des Schmerzes in Kraken lässt sich lokal reduzieren auf eine neurobiologische Subtheorie über das Feuern von G-Fasern. Man erreicht auf diese Weise eine lokale Reduktion im Sinne einer Spezies-spezifischen Reduktion. Wenn Schmerzen auch innerhalb einer Spezies multipel realisierbar sind, muss man die Reduktion weiter auf einen kleineren Gegenstandsbereich (z.B. biologische Unterarten) einschränken.
Die Strategie einer lokalen Reduktion schafft damit einen Spagat zwischen einer bloßen Token-Identität und Token-Reduktion auf der einen Seite und einer vollen Typen-Identität und Typen-Reduktion auf der einen Seite, die durch MR verhindert zu sein scheint. Das macht sie für viele wohl auch so attraktiv. Dennoch hat sie mit großen Problemen zu kämpfen. Sehen wir uns zur Illustration dieser Probleme erneut ein Beispiel an: Den Begriff "Wasser" definieren wir im Alltag und in der Chemie je über eine kausale Rolle. Im Alltag definieren wir den Begriff über die charakteristischen Wirkungen, wie durchsichtig und weitgehend geruchslos, farblos und durstlöschend auf unsere Körper zu wirken. In der Chemie erfolgt die Definition über die chemischen Eigenschaften des Wassers, die als kausale Rolleneigenschaften des Wassers verstanden werden können.[23] Die Objekte in der Welt, welche unter diesen Begriff fallen, können durch verschieden zusammengesetzte Atomkonfigurationen (Moleküle) multipel realisiert werden. Im Wesentlichen sind das neben dem herkömmlichen Wassermolekül H20, Hydrodeuteriumoxid HD0, Deuteriumoxid D2O und Tritiumoxid T2O. Wie sieht in diesem Fall eine Strategie der lokalen Reduktion aus? Man bildet wohl eine Subtheorie des Wassers T2a, die sich genau auf den Gegenstandsbereich bezieht, in dem die kausale Rolle des Wassers von den Atomkonfigurationen des Typs H20 ausgeführt wird. Dann reduziert man diese Subtheorie T2a auf so etwas wie die chemische Subtheorie von Wasserstoffdioxid T1a. Das macht man, indem man zeigt, dass Wasserstoffdioxid in dem Gegenstandsbereich von T2a genau die kausale Rolle ausführt, welche Wasser in T2a definiert und somit die Vokabularien der Theorien koextensional verknüpft. Entsprechend geht man auch mit den anderen Atomkonfigurationstypen HD0, D20 und T20 vor.
Das Beispiel zeigt meiner Meinung nach gleich mehrere Probleme der lokalen Reduktionsstrategie. Erstens scheint sie in der Realität nirgendwo anwendbar zu sein. Denn das, was wir in unseren Meeren, Flüssen und Badewannen vorfinden, ist neben H20 immer auch durch andere Konfigurationstypen wie insbesondere HDO realisiert.
Zweitens scheint funktionalen Beschreibungen wie hier "Wasser" im Kontext einer lokalen Reduktion gar keine wissenschaftliche Bedeutung mehr zuzukommen. Denn diese werden aufgespalten in funktional-physikalische Mischbeschreibungen der Form "F in G1", "F in G2", … und diese werden reduziert auf physikalische Beschreibungen der Form "P1", "P2" … Damit wird anerkannt, dass es funktional-physikalische Eigenschaftstypen wie Schmerz-in-Kraken in der physischen Welt gibt, indem diese in den wiederkehrenden Wirkungen von physikalischen Konfigurationen wie in feuernden C-Fasern lokalisiert werden. Die ursprüngliche Einheit der wissenschaftlichen Beschreibung "F" geht dabei aber verloren, da diese in keinen Gesetzen oder Theorien mehr auftaucht und nun multipel auf type-verschiedene Eigenschaften referiert.[24] Die Strategie einer lokalen Reduktion läuft damit in Gefahr auf einen Eliminativismus in Bezug auf höherstufige Eigenschaftstypen und damit auch in Bezug auf die wissenschaftliche Bedeutung von höherstufigen Beschreibungen (Gesetze und Theorien), welche diese Eigenschaften behandeln, hinauszulaufen.[25]
Das ist ein ernstzunehmendes Problem. Sehen wir uns hierzu wieder den Begriff »Wasser« an. Dieser Begriff tritt innerhalb von reifen wissenschaftlichen Theorien in Gesetzesaussagen auf, die kontrafaktische Aussagen stützen und schließlich zu Erfolgen bei Prognosen und kausalen Erklärungen führen. Es käme angesichts dieser Erfolge aber einem schieren Wunder gleich, wenn die Objekte, welche unter den Begriff »Wasser« fallen, nicht einige relevante Eigenschaften teilen würden, welche von den reifen Theorien und Gesetzen nicht zumindest annähernd korrekt beschrieben werden. Mit anderen Worten: Wir haben gute Gründe für die Annahme, dass Begriffe wie »Wasser« homogene kausale Muster (Pattern) umfassen und für den Erfolg der Wissenschaften wesentlich sind. Die Strategie lokaler Reduktion kann die Einheit dieser Muster jedoch nicht einfangen. Denn sie negiert, dass höherstufige Eigenschaftsvorkommnisse qua Vorkommnis eines höherstufigen Eigenschaftstyps etwas bestimmtes sind (etwas bestimmtes verursachen).
Drittens war kein praktizierender Wissenschaftler aufgrund der MR von Wasser durch verschiedenartige Moleküle wohl je der Meinung, dass es deshalb[26] ein dringendes Problem hinsichtlich der Reduzierbarkeit der Molekularchemie auf die Atomphysik gibt. Das MR-Argument wird aber klassisch als ein Argument gegen Typen- und Theorienreduktion verstanden. Und der Fall von der multiplen Realisierbarkeit von Wasser ist nicht prinzipiell anders als der von Genen für weiße Blüten im Frühjahr oder der von Schmerzen (siehe mein Analysevorschlag in Abschnitt 3.1.). Das alles deutet darauf hin, dass etwas mit dem MR-Argument faul ist und in Folge die Strategie einer lokalen Reduktion fehlmotiviert ist.
Fassen wir zusammen: Die klassische Konzeption einer funktionalen Reduktion ermöglicht prinzipiell die Erklärung eines Vorkommnisses einer kausalen Eigenschaft, indem gezeigt wird, dass es eine konkrete Konfiguration von physikalischen Eigenschaften gibt, welche qua Konfiguration die Wirkungen, welche die kausale Eigenschaft charakterisieren, realisieren. Diese Konzeption kann über Brückenprinzipien ausgebaut werden, sodass gezeigt werden kann, dass alle Konfigurationen von physikalischen Eigenschaften des gleichen Typs auch denselben funktionalen Eigenschaftstyp hervorbringen. Dieses Implikationsverhältnis gilt aufgrund der multiplen Realisierbarkeit von funktionalen Eigenschaften durch type-verschiedene Konfigurationen von physikalischen Eigenschaften jedoch nicht umgekehrt. Dies wird als ein allgemeines Problem für die Typen-Reduktion von multirealisierbaren Eigenschaften wahrgenommen. Die beiden diskutierten Lösungsstrategien über disjunktive Eigenschaften und funktional-physikalische Mischeigenschaften konnten dieses Problem nicht überzeugend lösen. Es war deshalb innerhalb der Fachdebatte lange Zeit ein Konsens, dass eine Typen-Reduktion und eine Theorien-Reduktion in Fällen, in denen MR vorliegt, scheitern müssen. Dieser Konsens scheint sich langsam aufzuweichen und es wird immer häufiger behauptet, dass am MR-Argument etwas prinzipiell nicht stimmen kann. Ich teile diese Annahme und lege im nachfolgenden Abschnitt zunächst meine eigene Analyse des MR-Argumentes vor. Diese Analyse hat den Anspruch, auf alle in der Literatur diskutierten MR-Fälle anwendbar zu sein. Danach werde ich zeigen, dass MR-Fälle einer Theorienreduktion und Typenreduktion in Wirklichkeit gar nicht im Wege stehen.
Ich versuche in meinem Reduktionismus diese Probleme von Kims Reduktionismus zu lösen:
[1] Kim (2008).
[2] Lewis (1970), Lewis (1972), Lewis (1980) und Lewis (1994).
[3] Kim (1998), Kapitel 4; Kim (2005), Kapitel 4, insbesondere S. 101 – 102; siehe ferner Chalmers (1996), S. 42 – 51.
[4] siehe jeweils ähnlich Esfeld und Sachse (2007), S. 3; Esfeld (2011a), S. 133; Esfeld, Sachse und Soom (2012), S. 220; sowie ausführlicher Esfeld und Sachse (2010), Kapitel 5.1.
[5] Siehe für eine ausführliche Argumentation zugunsten der hier vorausgesetzten Gleichsetzung von funktionalen Eigenschaften mit kausalen Eigenschaften Mumford (1998), Kapitel 9.
[6] siehe ausführlicher mit Bezugnahme auf die entsprechende Fachliteratur Sachse (2007), Kapitel 4.
[7] Unter anderem Chalmers (1996), S. 42 – 51 und Kim (2005), Kapitel 4 sprechen in diesem Zusammenhang von einer reduktiven Erklärung. Eine reduktive Erklärung muss sich also nicht auf Eigenschaftstypen, sondern kann sich auch auf Eigenschaftstokens beziehen.
[8] siehe ausführlicher mit Bezug auf die Fachliteratur Abschnitt 5.1. in dieser Arbeit. ABC Esfeld (2019), S. 86 – 87.
[9] Vergleich für das Folgende McLaughlin (1995), S. 603.
[10] Ich folge hier weitestgehend der Darstellung von Esfeld, Sachse und Soom (2012), S. 220f.
[11] Es gibt eine lebhafte Debatte darüber, welchen Status die MR-These hat. Ich vertrete dabei den Standpunkt, dass MR empirisch und damit kontingent und nicht apriori-notwendig gilt. Stellen wir uns beispielsweise eine mögliche Welt w1 vor, in der es nur 3 fundamentale Eigenschaften gibt. Wenn E1, E2 und E3 in der Relation R stehen, dann realisieren sie die nicht-fundamentale Eigenschaft E4. Es gibt in w1 keine andere Konfiguration von Eigenschaften, welche E4 realisieren könnte. Also ist die MR-These in w1 falsch. Es ist sogar vorstellbar, dass es in unserer aktualen Welt funktionale Eigenschafen gibt, welche in einem relevanten Sinne nicht multipel realisierbar sind. Holger Lyre schreibt in diesem Sinne vollkommen richtig: „Not only should it be obvious that we cannot infer about the MR status of the world from mere a priori considerations […].“ (Lyre (2009), S. 4). Ebenso David Rosenthal: „Multiple realizability is the possibility that mental-state types are instantiated by states of distinct physiological types. It’s an empirical matter whether that’s actually the case.“ (Rosenthal (1994), S. 351). Siehe für ausgefeiltere Argumente im Sinne meines Standpunktes auch Shapiro (2000, 2004).
[12] Es kann keine Konzeption einer Reduktion einer Theorie T2 auf eine Theorie T1 (im Unterschied zu einer Elimination von T2 zugunsten von T1) geben, die ohne Brückenprinzipien auskommt. Siehe: Endicott (1998); Hüttemann (2003), Kapitel 4.3.; Marras (2005), S. 344 – 347; Fazekas (2009).
[13] Vergleich Reduktionsschritt (b) oben.
[14] Und zwar auch dann nicht, wenn der Gegenstandsbereich von T2 ein echter Teil vom Gegenstandsbereich von T1 (T1 mag eine universelle physikalische Theorie sein) ist.
[15] Gesetze lassen sich häufig als Allquantifikationen über natürliche Eigenschaften rekonstruieren, insofern gehören diese beiden Punkte eng zusammen. Dabei muss ein Gesetz über natürliche Eigenschaften (Arten) qualifizieren, um nicht in eine Vielzahl zusammenhangsloser Regularitäten zu zerfallen.
[16] siehe für ein gelungenes Beispiel zur Illustration dieses Problems Papineau (1993), S. 40.
[17] Lewis (1969); Lewis (1980); Kim (1998), S. 93 – 95, S. 106 - 112 und Kim (2005), S. 25.
[18] Lyre (2012).
[19] Es ist in solchen Fällen deshalb auch angebrachter, statt von einer multiplen Realisierbarkeit von funktionalen Eigenschaften (ontisch) von einer multiplen Referenz von funktionalen Beschreibungen (sprachlich) zu sprechen (Vgl. Esfeld und Sachse (2010), S. 36 im Zusammenhang mit dem sogenannten Realisierer-Funktionalismus).
[20] Lewis (1966, 1970, 1972, 1994) ist mit seiner Version des Funktionalismus sowieso auf diese Konsequenz festgelegt (Vgl. Esfeld und Sachse (2010), Kapitel 1.3.). Kim nimmt sie an verschiedenen Stellen eher widerwillig an (Kim (1998), S. 111; Kim (1999), S. 17 – 18; Kim (2005), S. 26 und 58; Kim (2008)).
[21] Das bedeutet natürlich nicht, dass es solche praktischen Probleme nicht gibt, aber sie haben sicher nichts mit der MR von Wasser zu tun.
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