Peter Frederick Strawson war ein großer Philosoph. Seine berühmte These, dass Immanuel Kant in der Kritik der reinen Vernunft eine "deskriptive Metaphysik" verfolgt, halte ich gleichsam für falsch. Sein ebenfalls berühmter Aufsatz "On Referring" ist hauptsächlich aus zwei Gründen bekannt geworden:
1. Strawsons Ausführungen über indexiale Ausdrücke.
2. Strawsons Kritik an Bertrand Russells Kennzeichnungstheorie.
Nachstehend werde ich die zwei Einwände Strawsons gegen Russell vorstellen.
Der erste Einwand besagt, dass Äußerungen mit leeren Kennzeichnungen nicht wahrheitsfähig sind. Ein Beispiel für eine solche Äußerung ist "der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl":
“[S]uppose some one were in fact to say to you with a perfectly serious air: “The king of France is wise”. Would you say “That’s untrue”? I think it’s quite certain that you wouldn’t. But suppose he went on to ask you whether what he just said was true or was false (...). I think you would be inclined to say (...) that the question of whether his statement was true or false simply didn’t arise, because there was no such person as the king of France.”
- Peter F. Strawson: On Referring. In: Mind. 59, 1950, S. 330
Darauf kann man erwidern, dass erstens die Äußerung "Es ist nicht der Fall, dass der gegenwärtige König von Frankreich kahl ist", offenbar wahr ist. Dass er zweitens dass aber nur schwerlich sein kann, wenn der in ihm eingebettete Satz weder wahr noch falsch ist.
Der zweite Einwand besagt, dass wer "der gegenwärtige König von Frankreich ist kahl" äußert, gar nicht behauptet, dass es einen König von Frankreich gibt:
„When a man uses such an expression [i.e. “the king of France”], he does not assert, nor does what he says entail, a uniquely existential proposition.”
- - Peter F. Strawson: On Referring. In: Mind. 59, 1950, S. 331
Darauf kann man erwidern, dass unsere Intuitionen über Behauptungen nichts zur Sache tun. Wir müssen uns fragen, worauf der Sprecher festgelegt ist, so dass gilt: wenn etwas davon falsch ist, ist sein Satz falsch. Und wenn wir der Ansicht sind, dass der Satz falsch ist, dann gehört die Existenzbehauptung dazu.
Um Strawsons eigenen Lösungsvorschlag zu verstehen, sehen wir uns diese beiden Sätze an:
(A) "Der erste Mensch auf dem Mond war Amerikaner"
(B) "Es gibt einen Menschen, der auf dem Mond war"
Laut Bertrand Russell würde der Satz (B) logisch aus dem Satz (A) folgen.
Strawson bestreitet das. Ihm zu Folge ist (B) eine Präsupposition von (A):
Damit gilt laut Strawson für Kennzeichnungen dasselbe wie für Namen. Denn Aussagen mit Namen präsupponieren, dass diese ein Bezugsobjekt haben.
Dieselbe Idee finden wir bereits viel früher bei Frege:
„Wenn man etwas behauptet, so ist immer die Voraussetzung selbstverständlich, dass die gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten Eigennamen eine Bedeutung haben. Wenn man also behauptet, „Kepler starb im Elend“ so ist dabei vorausgesetzt, dass der Name „Kepler” etwas bezeichne; aber darum ist doch im Sinne des Satzes „Kepler starb im Elend” der Gedanke, dass der Name „Kepler” etwas bezeichne, nicht enthalten.“
- Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik (1892), S. 40
In Freges Beispiel ist (D) also eine Präsupposition von (C):
(C) "Kepler starb im Elend."
(D) "Es gibt jemanden, den „Kepler“ bezeichnet."
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