„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Karl Popper über Emergenz

Karl Popper gehört zu meinen Lieblingsphilosophen. Trotzdem muss man zugeben, dass er in vielen Dingen einfach Unrecht hatte. Der Kritische Empirismus ist beispielsweise keine adäquate Beschreibung wissenschaftlicher Praxis und die Quantenmechanik hat er grundlegend missverstanden. Dieses Urteil trifft wohl leider auch auf Poppers Verständnis der Emergenztheorie zu.

In den siebziger Jahren hat Karl Popper eine Theorie der emergenten Evolution skizziert, die sich durch die folgenden Merkmale auszeichnet[1]:

1.    Neuartigkeit

2.    Indeterminismus

3.    Unvorhersagbarkeit

4.    Abwärtskausalität

1. Die Neuartigkeitsthese zeichnet Poppers Emergenztheorie als diachron aus: "Die Idee der ,kreativen´ oder ,emergenten´ Evolution […] verweist auf die Tatsache, dass im Verlauf der Evolution neue Dinge und Ereignisse mit unerwarteten und tatsächlich unvorhersehbaren Eigenschaften auftreten."[2] Die folgenden vier Vorkommnisse in der natürlichen Entwicklung gehören nach Popper in diesem Sinne zu den wichtigsten emergenten Ereignissen:[3] (i) die Entstehung der schweren Elemente; (ii) die Entstehung des Lebens; (iii) die Entstehung des Bewusstseins; (iv) die Entstehung der Sprache und des Gehirns.

2. Die Indeterminismusthese unterscheidet Poppers Emergenztheorie von den klassischen Emergenztheorien: "Wenn wir nun den Wandel von der klassischen (Newtonschen) Physik zur modernen Atomphysik und deren objektiven Wahrscheinlichkeiten oder Verwirklichungstendenzen bedenken, so entdecken wir, dass wir eine vollständige Verteidigung für die Idee der emergenten Evolution gegen die Anklagen (1) bis (3) haben."[4] Die drei Anklagen gegen den Emergentismus sind: (i) Der Laplacesche Determinismus, nach dem es keine prinzipiell unvorhersagbare und damit emergente Ereignisse geben soll. (ii) Der Atomismus, nach dem alles aus Atomen besteht und es deshalb keine (mehr als nur strukturell) neuartigen Eigenschaften geben kann. (iii) Und eine schwache Form des Präformationismus, nach dem die bei der Entstehung von etwas Neuem beteiligten Teile bereits zuvor die Kapazität besessen haben müssen, das Neue hervorzubringen und es deshalb nichts prinzipiell Unvorhersagbares geben kann.

Kritik

2. Karl Popper hätte sich mehr mit den klassischen Emergenztheorien von Alexander, LLoyd Morgan, Broad und Sellars auseinandersetzen müssen:

(i) Die klassischen Emergenztheoretien vertrugen sich mit den Determinismus. Denn sie trennten die notwendige epistemische Unvorhersagbarkeit von der nicht-notwendigen metaphysischen Determiniertheit eines Ereignisses.

(ii) Die klassischen Emergenztheorien vertrugen sich mit dem Atomismus.

Denn sie meinten, dass neuartige Eigenschaften auch durch strukturelle Veränderungen hervortreten können.

(iii) Die klassischen Emergenztheorien vertrugen sich mit dem  Präformationismus. Denn sie verneinten, dass Entitäten schon vorher die Disposition haben müssen, zusammen neuartige Eigenschaften hervorzubringen.

3. Karl Popper hätte den Begriff der "Unvorhersagbarkeit" einheitlich verwenden müssen. Wenn man Poppers "Das Ich und sein Gehirn" liest, verwendet er diesen Begriff einmal in einer schwachen Form des Unerwartet-seins (44), in einer etwas stärkeren Form des menschlich nicht-Vorhersehbaren (36) und in einer noch stärkeren Form des prinzipiell Unvorhersagbaren (35).

4. Karl Popper hätte den Begriff der "Abwärtskausalität" einheitlich verwenden müssen. In "Das Ich und sein Gehirn" vertritt Popper die These, dass "Welt 3" und "Welt 2" keine höheren Strukturen sind, die auf "Welt 1" qua Substrukturen einwirken können (Vergleich: 3-Welten-Lehre). In "Natural Selection and the Emergence of Mind" schreibt er aber: "We may speak of downward causation whenever a higher structure operates causally upon its substructure." (S. 348).

Fazit

Nicht zuletzt hätte Popper sich auch bei der Verwendung des Emergenzbegriffs  mehr Mühe geben müssen. So schreibt er an einer Stelle, dass es so aussieht, "als ob der genaue Wert der Halbwertszeit eines Kerns für immer eine emergente Eigenschaft bleiben müsste, eine aus den Eigenschaften seiner Bestandteile nicht genau vorhersehbare Eigenschaft."[4] Die Grammatik des Emergenzbegriffs sieht aber nicht vor, dass eine Eigenschaft aufhören kann, emergent zu sein.

Karl Popper bleibt mit seinen Ausführungen zur Emergenz also weiter hinter dem zurück, was frühere Emergentisten über und frühe Positivisten gegen die Emergenztheorie vorgebracht hatten. Ich schätze ihn auch weniger für seine theoretische Philosophie, als für seine Gesellschaftsphilosophie und seine generelle Art zu denken: Wenn ich mich philosophisch als irgendetwas begreife, dann als Kritischer Rationalist.

Einzelnachweise

[1] Achim Stephan: Emergenz, S. 178 f.

[2] Karl Popper: Das Ich und sein Gehirn, S. 44

[3] Karl Popper: Das Ich und sein Gehirn, S. 50

[4] Karl Popper: Das Ich und sein Gehirn, S. 51

zum vorherigen Blogeintrag                                        zum nächsten Blogeintrag 

 

 

Liste aller Blogbeiträge zum Thema "Karl Popper"

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Impressum | Datenschutz | Cookie-Richtlinie | Sitemap
Diese Website darf gerne zitiert werden, für die Weiterverwendung ganzer Texte bitte ich jedoch um kurze Rücksprache.