„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Phyllis Rooney über epistemische Werte

Phyllis Rooney ist eine einflussreiche Kritikerin der Distinktion zwischen nicht-epistemischen und epistemischen Werten. Sie hat eine Reihe von Argumenten entworfen, die diese Distinktion umterminieren sollen. Ihr berühmtestes "Distinktions-Argument" soll im Folgenden kritisch diskutiert werden.

„Es gibt keinen Konsens darüber, was genau die epistemischen Werte sind.
- Phyllis Rooney[1]

Es lässt sich wie folgt rekonstruieren:[2]

P1Es besteht ein Dissens bzgl. der Frage, welche Werte epistemisch sind.

P2Wenn es einen Dissens darüber gibt, welche Werte epistemisch sind, ist die Abgrenzung epistemischer zu nicht-epistemischen Werten unklar.
C1. Also: Die Abgrenzung ist unklar.

1. Kritik

1.1. Prämisse P1

P1Es besteht ein Dissens bzgl. der Frage, welche Werte epistemisch sind.

Dieser Dissens besteht nur bezüglich einigen Werten. Bezüglich anderen wie beispielsweise "empirische Adäquatheit" gibt es einen breiten Konsens, der besagt, dass diese epistemisch sind. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Listen von epistemischen Werten von Ernan McMullin und Thomas Kuhn - entgegen der Behauptung von Rooney - nicht gravierend voneinander! Die meisten Werte besagen (trotz unterschiedlicher Benennung) das Gleiche:

„Diese Beispiele für Listenmodelle setzen zwar im Einzelfall die Akzente unterschiedlich, sind aber in mehrerlei Hinsicht inhaltlich im Gleichklang. Einfachheit, Größe des Anwendungsbereichs, Kohärenz mit dem Hintergrundwissen, Prüfbarkeit und Vereinheitlichungsleistung sind breit und prominent vertreten.“
- Martin Carrier[2]

1.2. Prämisse P2

P2. Wenn es einen Dissens darüber gibt, welche Werte epistemisch sind, ist die Abgrenzung epistemischer zu nicht-epistemischen Werten unklar.

Das ist ein doppelter Fehlschluss!

Erstens darf man nicht von 1. auf 2. schließen:[4]

1. Es herrscht ein Dissens unter Experten bezüglich der Anwendung einer Begriffsbestimmung auf einen spezifischen Sachverhalt.
2. Die besagte Begriffsbestimmung ist den Experten unklar.

Warum das so ist, kann an einem einfachen Beispiel exemplifiziert werden:[5]  Wenn ein Fußballschiedsrichter sich nicht sicher ist, ob ein Tor gefallen ist oder nicht (weil er etwa nicht deutlich gesehen hat, ob der Ball die Torlinie vollständig überschritten hat), ist dies kein Beleg dafür, dass ihm oder anderen Experten die Definition dessen, wann im Fußball generell ein Tor erzielt wurde, unklar ist.

Zweitens darf man nicht von 2. auf 3. schließen:

2. Die besagte Begriffsbestimmung ist den Experten unklar.

3. Es gibt keine klare Begriffsbestimmung.

Selbst wenn es also einen unüberbrückbaren Dissens unter Wissenschaftlern und unter Philosophen bezüglich der Frage gibt, was ein epistemischer Wert ist, folgt daraus noch nicht, dass es keine epistemischen Werte gibt und sie nicht klar von anderen Werten verschieden sind.

Fußnoten

[1] Phyllis Rooney: On Values in Science: Is the Epistemic/Non-Epistemic Distinction Useful? (1992), S. 15 (eigene Übersetzung)

[2] David Willmes: Zur Legitimität ethischer und sozialer Werte in der Wissenschaft (2013), S. 31.

[3] Martin Carrier: Explanatory Loops and the Limits of Genetic Reductionism (2006), S. 100

[4] Daniel Steel: Epistemic Values and the Argument from Inductive Risk (2010).

[5] ebd.

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Kommentare: 1
  • #1

    Philoclopedia (Samstag, 01 Februar 2020 02:17)

    Argument: Es gibt einen Dissens darüber, welche Werte epistemisch sind & welche nicht.
    (Wissenschaftler & Philosophen. Vgl: Die Listen von Ernan McMullin und Thomas Kuhn).

    Einwand 1: Der Dissens besteht nur bzgl. einigen Werten, bzgl. anderen wie interne Widerspruchsfreiheit, Empirische Adäquatheit, Vorhersagekraft gibt es breiten Konsens.

    Einwand 2: Der Dissens gegenüber einigen Werten könnte auf der semantische Ungenauigkeit & Mehrdeutigkeit der v. Wertbegriffe zurückzuführen sein (zB Einfachheit).

    Einwand 3: Selbst wenn es echte Dissense über die genaue Distinktionslinie zwischen Fachleuten gibt, folgt daraus noch nicht, dass es keine genaue Distinktionslinie gibt.


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