Die Gegenwart (auch: Jetztzeit) ist ein nicht genau bestimmter Zeitpunkt, oder ein Zeitintervall zwischen Vergangenheit und Zukunft.
"Wir müssen uns nicht über die Zukunft beunruhigen,
denn wir leben in einer Gegenwart, die für immer andauern wird."
Douglas Rushkoff
Bewusstseinsinhalte sind nicht statisch. Die Erlebnisse, Gedanken, Bedürfnisse, Vorstellungen, Gefühle… in unseren Köpfen wechseln stetig. Wir erleben diesen Wechsel als eine Art Zeitfluss. Diese Fluss ist mitnichten symmetrisch, im Gegenteil, er birgt eine tiefe Asymmetrie in sich: Er kommt von dem, was wir Vergangenheit nennen. Alle Inhalte auf dieser Seite scheinen auf alle Ewigkeit festzustehen. Und er fließt in Richtung Zukunft, wo die Inhalte möglich, aber noch nicht realisiert zu sein scheinen. Man spricht aufgrund dieser erlebten Gerichtetheit der Zeit auch von einem Zeitpfeil .
Die beiden Seiten, Vergangenheit und Zukunft, sind jedoch nie selbst Bestandteil unseres Erlebens, sondern nur die geistigen Abstraktionen aus unserem immer gegenwärtigen Erleben. Die Vorstellung einer Vergangenheit rührt von einem gegenwärtigen Bündel an Bewusstseinsinhalten, den wir „Erinnerungen“ getauft haben. Von diesem schließen wir regelmäßig auf die Existenz einer solchen Vergangenheit, was einer Zeit vor dieser Gegenwart entsprechen soll. Selbst erlebt haben wir eine solche Vergangenheit aber noch nie. Auf der anderen Seite hält uns ein Bündel namens „Erwartungen“ an dem Glauben, dass es eine Zeit nach dieser, eine sog. Zukunft gäbe. Aber auch diese Zukunft hat noch nie einer von uns erlebt.
Das einzige, was wir erleben, ist Gegenwart mit immer neuen Bewusstseinsinhalten. Die Konstrukte Vergangenheit und Zukunft sind nützlich, weil wir ohne sie im praktischen Leben aufgeschmissen wären. Aber sind sie auch mehr als das?
Was sind die erkenntnistheoretischen Konsequenzen aus dem Präsentismus?
Er lehrt uns ganz grundlegend, dass ich nicht wissen kann, ob meine Existenz eine Zukunft, und auch nicht, ob sie eine Vergangenheit hat. Ein Nachher muss es nicht geben, denn jetzt könnte der letzte Moment meiner Existenz sein. Ganz einfach.
Aber auch ein Vorher muss es nicht gegeben haben. Steve Ramizes vom MIT manipulierte beispielsweise den Hippocampus von Labormäusen derart, dass er ihnen gezielt falsche Erinnerungen einpflanzen konnte. Das Gleiche kann auch mit uns passieren. Nur, weil wir Erinnerungen haben heißt das nicht, dass wir auch eine Vergangenheit haben. Stellt man das menschliche Gehirn in Analogie zu einem Computer, entspricht das Gedächtnis einer Festplatte. Und wer versichert mir, dass nicht ein allmächtiger Programmierer mich gerade eben in die Welt gesetzt und mir dabei ein paar vergangenheitsillusionierende Erinnerungen auf die interne Festplatte geschrieben hat?
Welche absurd-anmutenden Gedanken lassen das zu? Es macht denkbar, dass ich allein jetzt existiere und mir das jetzt gar nicht auffällt. Erinnerungen und Erwartungen könnten mir die Illusion einer zeitlichen Kontinuität geben. Dass ich in einer Dauerschleife stecke und immer wieder denselben Moment, wäre möglich, mit immer denselben Erinnerungen und Erwartungen, durchlebe und mir das gar nicht auffällt. Ich hätte das fälschliche, aber ewig wiederkehrende, Gefühl, jetzt nur einmalig und vorübergehend diesen Moment hier zu durchleben.
Meine Gegenwartsmomente könnten sich aber auch fundamental voneinander unterscheiden. Im vorherigen Gegenwartsmoment hätte ich eine indische Frau mit entsprechenden Bewusstseinsinhalten –u.a. Erinnerungen und Erwartungen – sein können, im jetzigen ein New Yorker Banker und im nächsten eine chilenische Transe. Wenn ich jedes Mal die entsprechenden Erinnerungen, Erwartungen usw. der Personen im Kopf hätte, hätte ich das Gefühl, schon seit immer in ihren Körpern zu stecken. Mir würden kein einziges Mal Ungereimtheiten auffallen können, denn außer diesen unsicheren Bewusstseinsinhalten habe ich ja nur den unmittelbaren Gegenwartsmoment. Als übernächste Station könnte ich dann noch schließlich als Darmvirus in der Antarktis, ohne nennenswerte Bewusstseinsinhalte, vollbringen. Vielleicht tue ich das auch tatsächlich?
"Wir brauchen nur zu fragen, mit welcher Geschwindigkeit sich das ,Jetzt' durch die Zeit bewegt und wie das Gefühl von Vergehen mit dem Eindruck von Beständigkeit vereint werden kann, um zu bemerken, dass wir das Wesen der Zeit noch immer nicht verstehen."
- Edward R. Harrison
Bleibt denn überhaupt
irgendwas, dessen ich mir sicher sein kann? Ja, ich denke schon. Mein
gegenwärtiges Erleben in seiner subjektiven
Erscheinungsform, scheint mir doch nur sehr schwer anzweifelbar zu sein. Alle Erkenntnis über diese hinaus scheint aber schon unsicher zu
werden: Aufgrund seiner Qualia denkt der Mensch in einer objektiven Realität zu leben. Qualia ist im Kern aber ein subjektives Phänomen
und kann auch erträumt werden. Sie muss nicht von einer Außenwelt verursacht werden. Vielleicht träume ich nur, dass es eine Außenwelt gibt?
Treiben wir es auf die Spitze: Vielleicht existiere nur Ich im Jetzt. Vergangenheit und Zukunft könnten mir ebenso durch meinen Verstand vorgegaukelt werden, wie alles um mich herum, die vermeintliche Außenwelt.
Stand: 2015
Tulacelinastonebridge (Sonntag, 07 August 2022 10:54)
Gefällt mir sehr gut, ich war so frei und haben deinen Text verlinkt.
Dein Artikel ist wirklich in der Gegenwart geschrieben, viele Autoren schreiben über die Gegenwart aber der Inhalt weist eher auf einen Nebenschauplatz hin, als auf die Gegenwart.
Danke für deine Gedanken.
WissensWert (Sonntag, 24 Juni 2018 06:16)
https://www.youtube.com/watch?v=x6Nkb8J8lCo
WissensWert (Sonntag, 09 Oktober 2016 21:05)
https://de.wikipedia.org/wiki/Gegenwart