„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Bas van Fraassen: Argument from the Bad Lot

Bas van Fraassen hat in "Laws and Symmetry"[1] zwei Argumente gegen den Schluss auf die beste Erklärung vorgebracht, die im Anschluss an Psillos[2] als:

1Argument from the Bad Lot und

2Argument from Indifference

bezeichnet werden können.

Das Argument from the Bad Lot besagt grob gesagt, dass die beste verfügbare Erklärung für ein Phänomen möglicherweise keine besonders gute Erklärung ist.

1. Das Argument

Ein Schluss auf die beste Erklärung ist ein Schluss von einem Phänomen auf die Wahrheit der Hypothese, welches das Phänomen gut und am besten erklärt.

Van Fraassen weist darauf hin, dass wir in konkreten Situationen im Alltag, in der Wissenschaft oder Philosophie immer nur zwischen tatsächlich verfügbaren  Hypothesen wählen können. Deshalb sollten wir besser vom "Schluss auf die beste zum gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Erklärung" sprechen.

Nach van Fraassen können wir prinzipiell nicht wissen, dass die derzeit beste auch die überhaupt beste Erklärung für ein gegebenes Phänomen ist. Denn:

„We can watch no contest of the theories we have so painfully struggled to formulate, with those no one has proposed.“
- Bas van Fraassen: : Laws and Symmetry. 1989, S. 143

Aus demselben Grund ist es auch immer möglich, dass die relativ beste zur Verfügung stehende Erklärung tatsächlich eine absolut schlechte Erklärung ist.

„So our selection may well be the best of a bad lot.

- ebd.

Meiner Ansicht nach bezieht sich van Fraassens Kritik nicht auf die Verlässlichkeitsthese, d.h. auf die Reliabilität des abduktiven Schlussschemas:

A1. P ist eine erklärungsbedürftiges empirisches Phänomen.
A2. Die Hypothese H1 erklärt P gut und relativ besser als alle anderen Hypothesen H2, ... Hn.
K1. Also: H1 ist wahr.

Er zieht vielmehr in Zweifel, dass wir in der Annahme A2 in konkreten Situationen im Alltag, in der Wissenschaft oder Philosophie gerechtfertigt sein können.

Denn wir können immer nur wissen, dass eine Erklärung besser ist als alle anderen verfügbaren Erklärungen. Wir können aber nicht wissen, ob sie im Lichte einer unbekannten Erklärung als schlechter oder unzufriedenstellend erscheint.

2. Stathis Psillos

Stathis Psillos wendet gegen das Argument from the Bad Lot ein, dass es nur funktioniert, wenn man annimmt, dass die Beurteilung von miteinander konkurrierenden Hypothesen in einem Wissensvakuum stattfindet:[3]

„One should observe that the argument from a bad lot works only on the following assumption: scientists have somehow come up with a set of hypotheses each of which entails the evidence - their only relevant informa tion being that these hypotheses just entail the evidence - and then they want to know which of them, if any, is true.“

- Stathis Psillos: Scientific Realism: How Science Tracks Truth. London/New York: Routledge. 1999, S. 217.

Diese Annahme ist nach Psillos aber gerade nicht erfüllt, da bei der Auswahl der besten Erklärung auf das Hintergrundwissen zurückgegriffen werden kann:

„[...] it is at least dubious and at most absurd that theory choice operates in such a knowledge vaccum. Rather, theory choice operates within and is guided by a network of background knowledge.“

- ebd.

Diese These illustriert Psillos anhand der Diskussion um die Wellentheorie des Lichts am Anfang des 19. Jahrhunderts. Dieses zeigt nach Psillos folgendes:

„The first aspect is that background knowledge can drastically narrow down the space in which hypotheses can provide a potential explanation of the evidence at hand. [...] The second aspect is that when the background knowledge does not suggest just one theoretical hypothesis, then explanatory considerations - which are part and parcel of scientific practice - are called forth to assist the selection of the best from among the hypotheses which entail the evidence.“

- ebd., S. 218.

Beide Aspekte machen nach Psillos' Auffassung folgende Behauptung plausibel:

„I think both aspects of the 'background knowledge privilege' make it plausible that, contrary to van Fraassen's claim, scientists can have strong evidence for the belief that the best [available] explanation is also the correct account of the phenomena.“

- ebd., S. 219

Entgegen Bas van Fraassen behauptet Stathis Psillos also, dass wir gute Gründe dafür haben können, dass unsere derzeit beste Erklärung auch die überhaupt beste Erklärung und sogar die zutreffende Erklärung ist.

Meiner Ansicht nach muss man Psillos' Argument aber kritisieren. Denn keiner der von ihm genannten Aspekte lieferte gute Gründe für diese Behauptung.

Der erste Aspekt besagt, dass das Hintergrundwissen die Anzahl an potentiellen Erklärungen des jeweiligen Phänomens in erheblichem Maße beschränken kann.

Das ist sicher korrekt. Van Fraassens Ausgangspunkt ist aber, dass die Menge der gegebenen Erklärungen kleiner ist als die Menge aller potentiellen Erklärungen. Und der erste Aspekt liefert keine guten Gründe für die Annahme, dass die beste Erklärung tatsächlich oder auch nur wahrscheinlich unter der Menge der gegebenen Erklärungen ist. Daher unterminiert er nicht van Fraasens Argument.

Der zweite Aspekt besagt, dass in den Fällen, in denen das Hintergrundwissen nicht schon ohne Berücksichitung explanatorischer Überlegungen eine bestimmte Hypothese nahelegt, gerade auf solche Überlegungen zurückgegriffen wird.

„[...] explanatory considerations - which are part and parcel of scientific practice - are called forth to assist the selection of the best from among the hypotheses which entail the evidence.

- ebd.

Das ist eine eigentümliche Behauptung. Wichtiger aber ist, dass sie einen völlig unstrittigen Punkt betrifft: Explanatorische Überlegungen werden gebraucht, um die beste verfügbare Erklärung auszuwählen, und diese Überlegungen gehören zur wissenschaftlichen Praxis. Dieser Punkt ist auch für van Fraassen völlig unstrittig. Sein Argument wird durch ihn ebenso wenig unterminiert. 

3. Peter Lipton

Nach der Lesart von Lipton umfasst das Argument from a Bad Lot 2 Annahmen:

(A1) Ranking-Annahme: Wenn Wissenschaftler vor verfügbaren und konkurrierenden Theorien stehen, dann können sie zuverlässig ein komparatives Urteil darüber fällen, welche verfügbare Theorie am wahrscheinlichsten wahr ist, jedoch kein absolutes Urteil darüber, wie nahe diese Theorie der Wahrheit ist.

(A2) Kein-Privileg-Annahme: Wissenschaftler besitzen kein Grund zur Annahme, dass die verfügbare Theorie, welche am wahrscheinlichsten wahr ist, wahr ist.

Liptons Einwand beginnt mit der Feststellung, dass Wissenschaftler neue Theorien mit Hilfe von Hintergrundtheorien beurteilen. Nach der Ranking-Annahme sind diese komparativen Urteile sehr zuverlässig. Damit dies der Fall sein kann, müssen die Hintergrundtheorien bereits annähernd wahr sein. Wenn sie das nicht wären, würden sie die Beurteilung der neuen Theorien verzerren und die Ranking-Annahme wäre verletzt.

Die Ranking-Annahme beinhaltet laut Lipton also, dass unsere Hintergrundtheorien annähernd wahr sind. Diese Hintergrundtheorien sind selbst das Ergebnis von früheren Beurteilungen und die besten Theorien, die gegenwärtig beurteilt werden, werden Teil der Hintergrundtheorien von morgen sein. Wenn die Ranking-Annahme also wahr ist, müssen die am höchsten bewerteten Theorien absolut wahrscheinlich wahr sein und nicht nur relativ wahrscheinlicher als die anderen, verfügbaren Theorien. Und hieraus folgt:

„[…] if the ranking premise is true, the no-privilege assumption must be false, and the argument from underconsideration self-destructs.“
- Peter Lipton: Inference to the best Explanation 1991, S. 158

Fußnoten

[1] Bas van Fraassen: Laws and Symmetry. 1989, S. 142ff.
[2] Stathis Psillos: On van Fraassen's Critique of Abductive Reasoning". In: The Philosophical Quarterly 46. 1996.: 31-47.

[3] Stathis Psillos: Scientific Realism: How Science Tracks Truth. London/New York: Routledge. 1999.

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