„In einer Welt, die überflutet wird von belanglosen Informationen, ist Klarheit Macht.“ 

- Yuval Noah Harari

Epistemologischer (Non-)Kognitivismus

Kognitivismus

Nonkognitivismus

In den nächsten beiden Blogeinträgen werde ich auf die epistemologische und die sprachanalytische Spielart des Kognitivismus bzw. Nonkognitivismus eingehen.

Die zu führende Debatte hat klare inhaltliche Überschneidungen mit dem Problemkreis des Sein-Sollen-Fehlschlusses bzw. des Naturalistischen Fehlschlusses. Nicht nur, weil auch sie das Verhältnis zwischen Sein und Sollen, zwischen Fakten und Normen aufgreift und großen Einfluss darauf ausübt, wie wir den Wahrheitsbezug des Moralischen einschätzen. Sondern auch und gerade auf struktureller Ebene: Der Sein-Sollen-Fehlschluss argumentiert auf epistemologische Weise gegen eine harte Begründbarkeit von Normen und wird deshalb gerne auch von epistemologischen Nonkognitivisten herangezogen. Derweil bringt der naturalistische Fehlschluss sprachanalytische Argumente gegen eine derartige Begründung hervor, weswegen ihn allen voran sprachanalytische Nonkognitivisten liebgewonnen haben.

In den meisten Fällen sind epistemologische K. auch sprachanalytische K. und e.N. auch s.N. Dennoch handelt es sich um zwei verschiedene Positionen mit je eigenen Standpunkten und Argumenten, die scharf zu unterscheiden sind und die ich im Folgenden nun vorstellen möchte.

I. Definitionen

Der epistemologische Kognitivismus hält moralische Erkenntnis für möglich, der epistemologische Nonkognitivismus nicht.

Notwendige Voraussetzungen für den epistemologischen Kognitivismus:

a)    ­Es gibt objektive moralische Wahrheiten, und

b)    Diese objektiven moralischen Wahrheiten sind erkennbar.

Hinreichende Voraussetzungen für den epistemologischen Nonkognitivismus:

a)    Es gibt keine objektiven moralischen Wahrheiten, oder

b)    Objektive moralische Wahrheiten sind nicht erkennbar.

II. Der Epistemologische Kognitivismus

Dem epistemologischen Kognitivismus zufolge kommt so etwas wie objektive Erkenntnis auch in moralischen Angelegenheiten prinzipiell in Frage, ähnlich wie bei faktischen Zusammenhängen. Gewiss sind nicht alle moralischen Aussagen richtig, vielleicht sind moralische Überzeugungen auch mit weitaus größeren Unsicherheiten behaftet als faktische Einsichten und wohlmöglich gab es deswegen auch noch nie so etwas wie moralische Erkenntnis. Der epistemologische Nonkognitivist bestreitet all diese Etwaigkeiten überhaupt nicht, er glaubt nur, dass moralische Erkenntnis prinzipiell möglich sein muss. Dass die Vorstellung einer moralischen Erkenntnis nicht ganz abwegig sei und sich sinnvoll von dieser sprechen ließe.

Die Möglichkeit einer moralischen Erkenntnis hat zur Voraussetzung, dass es im Moralisch, ähnlich wie beim Faktischen, überhaupt objektive Wahrheiten gibt. Denn wo nichts ist, kann auch nichts erkannt werden. Entsprechend läuft der epistemologische Kognitivismus notwendig auf einen (metaethischen) Objektivismus hinaus: Es gibt eine objektive moralische Wahrheit jenseits willkürlicher Setzungen. Nur unter dieser Bedingung wird objektive Erkenntnis im moralischen Bereich überhaupt erst denkbar.

Es gehört vielleicht zu den erschreckendsten Erkenntnisse der Metaethik, dass falls der epistemologische Kognitivismus falsch liegen sollte, was durchaus denkbar ist, die gesamte normative Ethik ein eher nutzloses Unterfangen wäre. Denn wenn es keine objektiven, erkennbaren Moral-Wahrheiten gibt, kann sich eine normative Ethiktheorie auch auf nichts in der Welt beziehen. Sie kann dann höchstens noch pragmatische Kriterien an eine Theorie anlegen, oder Theorien intuitiv entwerfen, müsste ihren Selbstanspruch aber zweifelsohne deutlich zurückschrauben.

Es braucht also moralische Wahrheiten, damit der Status Quo der Normativen Ethik aufrechterhalten werden kann. Doch was sind moralische Wahrheiten überhaupt? Es lassen sich grob zwei Hauptvarianten unterscheiden, die divergeriende Ansichten dazu vertreten, wie moralische Wahrheiten zu denken sind:

  1. Die naheliegendere der beiden Varianten ist der Realismus, demgemäß moralische Wahrheiten (z.B. in Form von Normen) in ihren wesentlichen Teilen entdeckt werden. Sie werden als objektive Bestände in der Realität vorgefunden, ähnlich wie faktische Zusammenhänge und auch durch Vernunft oder Sinne erfasst. Ein solcher metaethisch Realismus muss nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass moralische Entitäten eigentümliche Gegenstände in einem abgesonderten Seinsbereich wären. Er behauptet einfach nur, dass es moralische Einsichten als etwas unabhängig Gültiges gibt und trifft keine weiteren Aussagen darüber, wie diese in der Welt liegen sollen. Diese Positionen wird in den meisten Ethiken vertreten.


  2. Demgegenüber steht der Konstruktivismus. Der Konstruktivist ist der Meinung, dass moralische Normen nicht als ein bereits Vorliegendes entdeckt, sondern zu größeren Teilen entworfen werden. Dieser Entwurf hat dann allerdings, und das ist enorm wichtig, nach objektiven Regeln zu erfolgen. Diese Regeln gewährleisten dann, dass die entstehenden Normen nicht beliebig sind, sondern man sich nach ihrer Anwendung in der Lage sieht eine verbindliche Gültigkeit zu beanspruchen. So müssen Normen beispielsweise das Ergebnis eines öffentlichen, gleichberechtigten und zwangsfreien Diskurses sein, wie in der Diskurstheorie. Oder sie sollen dem hypothetischen Resultat eines freien, fairen Vertragsschlusses entsprechen, wie im Kontraktualismus. In konstruktivistischen Ethiken erscheint uns Moral in gewissem Umfang als etwas "Gestaltetes", gleichwohl sollen die gewonnenen Normen aber objektive Gültigkeit haben. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich damit auf, dass die Verbindlichkeit der jeweiligen Konstruktionsregeln (Diskursprinzip, Vertragsszenarien etc.), aus denen die Normen entspringen, ihrerseits als in ihrem Resultat bindend oder gar wahr angesehen werden. In diesem Sinne hält der metaethische Konstruktivist die Möglichkeit einer moralischen Kenntnis für gegeben. Ob er damit wirklich noch epistemologischer Kognitivist in einem engeren Sinne ist, ist natürlich anstreitbar.

III. Der Epistemologische Nonkognitivismus

Der epistemologische Nonkognitivismus bezieht eine gegenteilige Position, wenn er behauptet so etwas wie objektive Erkenntnis käme im moralischen Bereich prinzipiell nicht vor. Moralische Aussagen sind nicht nur gelegentlich unwahr, analog zu faktischen Irrtümern, sie besitzen vielmehr grundsätzlich keine Wahrheitswerte und sind allgemein unberechtigt, wenn sie mit einem Anspruch auf objektive Gültigkeit vorgetragen werden. Hintergründig impliziert diese Einschätzung in aller Regel die Auffassung, dass keine moralischen Wahrheiten existieren. Es gibt aber auch noch die Möglichkeit anzunehmen, dass es zwar moralische Wahrheiten gibt, wir diese aber unter keinen Umständen erkennen können. Beide Wege gehen mit einem moralischen Skeptizismus einher: Die Existenz von moralischer Wahrheit oder deren Erkennbarkeit werden angezweifelt, und deshalb können moralische Aussagen niemals wahr, falsch oder objektiv gültig sein.

Offenbar hat diese ausdrückliche Leugnung moralischer Erkenntnis zur Folge, dass normative Ethik keine ernsthafte Wissenschaft mehr darstellen kann. Es ist folglich ein grundsätzliches, essentielles Problem, ob der Nonkognitivismus moralische Erkenntnis zu Recht leugnet, oder nicht. Dabei tritt der N. wiederum in zwei Hauptvarianten auf, die genauer Stellung dazu beziehen, woher Normen denn stammen sollen, wenn sie nicht erkannt werden. Denn das wir Menschen Normen haben, bestreitet natürlich auch der N. nicht:

  1. Der Subjektivisimus vermutet hinter moralischen Normen allein die persönlichen Einstellungen und Bauchgefühle von Subjekten. Statt Wahrheiten zu transportieren, gehen moralische Aussagen ausschließlich auf die Präferenzen Einzelner zurück und artikulieren deren private Geschmacksurteile bezüglich menschlichen Verhaltens.


  2. Der Relativismus dahingegen erkennt in moralischen Normen kulturelle Gepflogenheiten und kollektive Sitten wieder. Auf diese Weise bringen sich in ihnen wiederum keine objektive gültigen, moralischen Wahrheiten zum Ausdruck, sondern lediglich das Produkt von öffentlichen Erwartungen und überlieferten Bräuchen in Gemeinschaften.

IV. Bemerkungen und Überleitung

Der Löwenanteil unter den Ethikern ist epistemologisch-kognitivistisch gesinnt. Dies trifft (logischerweise) insbesondere auf jene zu, die sich mit normativen Ethiken beschäftigen. Wäre ein normativer Ethiker Nonkognitivist, müsste er sich eingestehen, dass er sich nicht mit der Welt an sich beschäftigt und seine Beschäftigung bzw. seine Ergebnisse in gewisser Hinsicht beliebig sind. Die großen Ethikströmungen, die sich auf Aristoteles, Kantoder Mill berufen, kommen folglich, trotz aller Differenzen in den Einzelfragen, in jener kognitivistischen Grundüberzeugung überein.

Die von mir vorgenommene Einteilung der verschiedenen Standpunkte in epistemologisch-kognitivistisch und epistemologisch-nonkognitivistisch ist leider nicht universell. Daher können andere Auflistungen mehr oder weniger stark von dieser hier abweichen. Dies hat zum einen systematische Gründe, insofern Zuordnungen zumeist künstlich, ad-hoc und deshalb auch nur tendenzieller Art sind. Es kann aber auch historische Gründe haben, da einzelne Positionen in der Philosophiegeschichte unterschiedlich prominent vertreten und verschieden semantisch besetzt waren.

Schließlich gibt es für Kognitivismus und Nonkognitivismus neben der hier besprochenen epistemologischen Formulierung auch noch eine sprachanalytische Fassung:

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Kommentare: 2
  • #2

    Seelenlachen (Mittwoch, 16 Dezember 2015 21:35)

    1.) Deine Dichtonomie von Entdecken und Finden ist mMn sehr gelunden und trifft das, was ich unter Kognitivismus bzw. Nonkognitivismus verstehe.

    2.) Kants Erkenntnistheorie und die E.E. halte ich in letzter Konsequenz jedoch für inkompatibel: Kant stellt fest, dass uns gewisse Kategorien wie Raum und Zeit von vornerein (a priori) gegeben seien und es ERST NACHDEM die Dinge an sich durch diese Kategorien geordnet werden, zu deren (durch die K. verzerrte) Wahrnehmung kommt.
    Die Chronologie ist klar: Erst die Kategorien der Wahrnehmung, dann die empirische Erfahrung.


    Die Evolutionäre Erkenntnistheorie stellt Kant gewissermaßen Kopf: Kategorien wie Raum und Zeit seien nicht a priori gegeben, sondern "stammesgeschichtlich" durch die hunderte Millionen Jahre gehende evolutionäre Entwicklung von Sinnesorgnen, Gehirnfunktionen etc. entwickelt. Und diese Entwicklung basiert eben auf unserer Interaktion mit der Welt.
    Der E.E. kehrt die Chronologie also um: Zuerst die (stammesgeschichtlichen) Erfahrung der Welt und daran anknüpfend dann die Kategorien als evolutionäre Anpassungen an eben jene erlebte Umwelt.

    Mit den phil. Intentionen geht es mir genau wie dir:

    1.) Die Metaethik ist der Bereich in der Philosophie, in dem ich die stärkste Intuition habe. Und diese sagt mir, um bei deiner adäquaten Wortwahl zu bleiben: Moralische Urteile werden erfunden und nicht etwa entdeckt.

    Ich habe übrigens schon begonnen, einen grundlegenden Text zum Nonkognitivismus zu schreiben: http://www.sapereaudepls.de/was-soll-ich-tun/metaehtik/nonkognitivismus/ . Als ich begonnen habe den Text zu schreiben hatte ich eine feste Vorstellung davon, wie ich ihn konzeptualisieren möchte. Diese war aber irgendwie wirr und deshalb habe ich den Text bis auf Weiteres auf Eis gelegt.

    2.) Bei der Universalienfrage bzgl. mathematischen Entitäten fehlt mir hingegen, wie dir, eine solche klare Intuition. Manchmal höre ich Argumente für den Nominalismus und er scheint mir richtig zu sein, dann stoße ich auf Argumente, die für einen Neuplatonismus sprechen und tendiere wieder zu dieser Auffassung.


    Grüße!

  • #1

    Köppnick (Mittwoch, 16 Dezember 2015 12:14)

    Deine beiden Texte über den epistemologische bzw. sprachanalytischen Kognitivismus sind mir in den letzten Tagen häufiger durch den Kopf gegangen. Man merkt deutlich, dass du inzwischen voll ins Philosophiestudium eingestiegen bist. Die zentrale Frage im ersten Text ist offenbar, ob ethische Grundsätze objektiv begründbar sind oder nicht. Da es für beide Richtungen (Kognitivismus, Nonkognitivismus) Vertreter gibt, gibt es sicher auch für beide Beispiele, in denen diese Ansicht plausibler ist.

    Nach einiger Zeit ist mir für diese Dichotomie zwischen "objektiv" und "subjektiv" eine Verallgemeinerung der Fragestellung eingefallen, die an vielen Stellen angewendet werden kann: "Wird X entdeckt oder erfunden?" Für viele Anwendungsfälle fällt die Entscheidung leicht: Kontinente wurden entdeckt, die Schiffe für ihre Entdeckung erfunden. Früher war ich bezüglich der Mathematik Neuplatoniker, also von der Existenz mathematischer Wahrheiten unabhängig von der menschlichen Existenz überzeugt, jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.

    Kant hat bestimmte Dinge für unser Denken vorausgesetzt, z.B. sollen uns Raum und Zeit apriori vor jeder Sinneserfahrung gegeben sein. Das Rätsel, wie das funktionieren soll, hat für mich die Evolutionäre Erkenntnistheorie gelöst: Bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse bringen wir bei der Geburt mit, sie sind für den Einzelnen apriori, aber für unsere Spezies in der Evolution erworben, für diese also aposteriori. Für die Mathematik (und Raum und Zeit) wird die Frage nach ihrer unabhängigen Existenz unter diesem Gesichtspunkt gegenstandslos, denn wir können unsere (subjektive) Beobachterperspektive niemals verlassen.

    Bei Ethik tendiere ich mehr zum subjektiven Standpunkt, denn Ethik setzt menschliche Existenz voraus. Vielleicht zwei Beispiele: Ist Sklaverei ethisch in Ordnung, ist die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ethisch geboten? In unserem Kulturkreis ist ist Sklaverei und Nichtgleichberechtigung inakzeptabel. Aber wenn wir in die griechische Demokratie vor 2500 Jahren zurückgehen, dann waren Sklaverei und Nichtgleichberechtigung dort Standard. Können wir unseren Vorfahren unethisches Verhalten vorwerfen? Sie würden unseren Vorwurf wahrscheinlich gar nicht verstehen. Für mich heißt das, dass ethische Grundsätze vom historischen und sozailen Kontext abhängen.

    Wegen solcher Überlegungen habe ich auch große Zweifel an der Universalität der Menschenrechte. Wenn wir z.B. Saudi-Arabien Vorwürfe machen, weil Frauen dort nicht Auto fahren dürfen, dann mMn nicht, weil es eine objektive ethische Regel gibt, die Gleichberechtigung verlangt, sondern weil unsere Gesellschaft jetzt zu dieser pragmatischen Entscheidung gekommen ist. Und das hat evolutionäre Gründe - unsere Gesellschaft funktioniert so heute besser.


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