Naturalisierte Erkenntnistheorie

Eine naturalisierte Erkenntnistheorie (auch: naturalistische Erkenntnis-theorie) begreift und betreibt Erkenntnistheorie methodologisch-naturalistisch.

Willard Van Orman Quine (Passbild)
Willard Van Orman Quine (Passbild)

Bildurheber: Stampit (CC BY-SA 2.0.)

1. Einführung

In die zeitgenössische Philosophie wurde der Begriff der naturalisierten Erkenntnistheorie durch den gleichnamigen Vortrag W.V.O Quines eingeführt.[1]

Seitdem wurden und werden viele sehr unterschiedliche Versionen naturalistischer Erkenntnistheorie erarbeitet, analysiert und kritisch diskutiert.

Allen Versionen ist ein Bekenntnis zum methodologischen Naturalismus gemein, dessen Grundzüge Willard Van Orman Quine wie folgt beschreibt:

»I see philosophy not as an a priori propaedeutic or groundwork for science, but as continuous with science. I see philosophy and science as in the same boat – a boat which, to revert to Neurath’s figure as I so often do, we can rebuild only at sea while staying afloat in it. There is no external vantage point, no first philosophy. All scientific findings, all scientific conjectures that are at present plausible, are therefore in my view as welcome for use in philosophy as elsewhere.«
- Willard Van Orman Quine: Natural Kinds (1969), S. 126 f.

Aus Quines (metaphilosophischer) Sicht folgt aus dem methdologischen N.:[2]

1.    Antigrundlegungsthese: Es ist nicht Aufgabe der Philosophie, die Wissenschaften grundzulegen oder zu begründen.

2.    Kontinuitätsthese: Philosophie besitzt keinen epistemisch privilegierten Stand gegenüber den Wissenschaften, vielmehr bestehen zwischen den Bereichen bestimmte Kontinuitäten.

3.    Wissenschaftsverwendungsthese: Die Inanspruchnahme wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse in der Philosophie ist zulässig und zumindest zu Teilen sogar unverzichtbar!

Hierbei ist die Kontinuitätsthese fundamental, da sie die anderen Thesen stützt.

2. Varianten

Auf Grundlage eines methodologischen Naturalismus lassen sich nun verschieden radikale und moderate Varianten der n. Erkenntnistheorie konstruieren.

Dabei vertreten alle eine oder mehrere der folgenden Grundthesen:[3]

1. Expansionsthese: Die Erkenntnistheorie muss ihren Gegenstandsbereich erweitern. Fortan soll sie sich nicht nur mit explikativen und normativen Projekten und Problemen befassen, sondern auch empirische Theorien der Kognitions-wissenschaften sowie die Phylo- und Ontogenese des Menschen miteinbeziehen.

2. Integrationsthese: Die Erkenntnistheorie muss eine oder mehrere empirische Wissenschaften einbeziehen. Welche das genau sind, ist umstritten.

Kanditaten: Neurowissenschaften, Psychologie, Evolutionstheorie, Soziologie, Ethnomethodologie, Anthropologie und viele mehr.

3. Reduktionsthese: Die Erkenntnistheorie kann methodologisch auf die empirischen Wissenschaften reduziert werden. D.h. dass ihre Projekte und Probleme - gegebenenfalls nach entsprechender Reformulierung - durch die Methoden der Erfahrungswissenschaften behandelt und gelöst werden können.

4. Eliminationsthese: Die Erkenntnistheorie kann eliminativ auf die empirischen Wissenschaften reduziert werden. D.h. ihre Projekte und Probleme erweisen sich bei genauerem Hinsehen als unlösbar, falsch konzipiert oder inkohärent. Sie sind aufzugeben und durch Kognitionstheorien oder Wissenssoziologien zu ersetzen.

Anm.: Die Thesen (1) - (4) sind für eine n. E. weder exklusiv noch exhaustiv!

Der Betreiber dieser Website selbst vertritt die Thesen (1) und (2) und lehnt die Thesen (3) und (4) ab. Er ist in diesem Sinne ein Anhänger einer moderaten naturalisierten Erkenntnistheorie.

2. Geschichte

Die philosophiehistorisch bedeutsamsten und einflussreichsten Vertreter einer    n.E. waren ohne Zweifel Willard Van Orman Quine und Alvin Ira Goldman. 

Ihre Ansätze unterscheiden sich aber fundamental was ihre theoretische Motivation, Zielsetzung und ihr methodisches Vorgehen anbelangt.

Dies kann durch zwei klassische Texte der Autoren belegt werden:

·        Willard Van Orman Quine: Epistemology Naturalized (1968)

·        Alvin Ira Goldman: What Is Justified Belief? (1979)

2.1. Edmund Gettier

Aber zunächst zu einem anderen Klassiker: Edmund Gettier hat 1963 "Is Justified True Belief Knowledge?" publiziert. In diesem gerade einmal 2,5-seitigen Paper argumentiert er gegen die Standardanalyse des Wissens als gerechtfertigte, wahre Überzeugung. Seither erschöpfen sich viele erkenntnis-theoretische Probleme und Projekte um Wissen in reiner Begriffsanalyse.

1.    Quine tritt dafür ein, solche Begriffsanalysen komplett ad acta zu legen.

2.    Goldman plädiert demgegenüber dafür, solchen Projekten eine  grundlegend neue theoretische Ausrichtung zu geben.

2.2. W. V. O. Quine

Die Pointe von Quines naturalisierter Erkenntnistheorie ist heftig umstritten. Dies liegt vor allem daran, dass alles andere als klar ist, worum es Quine in "Epistemology Naturalized" wirklich geht und wofür er dort argumentiert.

Gemäß einer weitverbreiteten Standardauffassung möchte Quine, wie er es selbst tatsächlich einmal formuliert hat, die Erkenntnistheorie "zu einem Kapitel der Psychologie machen." Das heißt, er soll die Eliminationsthese vertreten, nach dem die Erkenntnistheorie durch Psychologie ersetzt werden und ihre begriffsanalytische und normative Dimension komplett aufgeben werden soll.

Diese Standardauffassung stützt sich insbesondere auf einer populären Interpretation von Jaegwon Kim.[4] Und sie findet sich in etlichen Einführungen zur naturalisierten Erkenntnistheorie wieder. Wie Koppelberg aber meint, ist diese Auffassung hermeneutisch fragwürdig und letztendlich unhaltbar.[5][6]

Im schlechtesten Fall muss Kims Darstellung von Quines Position als Strohmann  gesehen werden. Aber was behauptete Quine nun wirklich? Für Quine besteht die Aufgabe der Erkenntnistheorie in der Untersuchung evidentieller Stützung.

Eine solche Untersuchung besteht aus drei Teilbereichen:[7]

1. die psychologische Untersuchung erforscht mit Hilfe der Psychologie, was für Belege wir tatsächlich haben und welche Theorien uns zur Verfügung stehen.

2. die normative und deskriptive Untersuchung erforscht, welche Strategien des Theorienwandels wir verfolgen sollten um unsere Fähigkeit zur Antizipation zukünftiger Wahrnehmungen zu optimieren oder zumindest zu verbessern. 

3. Die logische und statistische Untersuchung untersucht, welche logischen und statistischen Stützungsbeziehungen zwischen unseren Sätzen aufgrund von Wahrnehmungen (Beobachtungssätze) und unseren Theorien bestehen.

Quine selbst hat sich v.a. mit dem zweiten Teilbereich beschäftigt.[8]

Die Pointe von Quines naturalisierter Erkenntnistheorie besteht nach Koppelberg also darin, dass wir keine epistemologische Grundlegung unseres Wissens über die Welt jenseits der Einzelwissenschaften benötigen. Innerhalb der Wissenschaft können wir aber eine naturalisierte Erkenntnistheorie entwickeln.[9]

Quine vertritt nach Koppelberg also kein Eliminationsthese-, sondern eine Reduktionsthese: Die Erkenntnistheorie kann auf die Erfahrungswissenschaften reduziert und mit ihrer Methodologie verstanden und betrieben werden.

2.3. Alvin Goldman

Alvin Goldmans vertritt zweifellos einen Reliabilismus, der auf seine kausale Theorie des Wissens gründet:

K. Ein Subjekt S weiß, dass p, gdw. S´ wahre Überzeugung, dass p, kausal in angemessener Weise mit der Tatsache, dass p, verbunden ist.

Diese Analyse soll das Gettierproblem lösen. Denn in den Gettierfällen herrschen nach Goldman keine angemessenen kausalen Verbindungen zwischen den Überzeugungen und den Tatsachen und damit auch keine Form von Wissen.

Für Goldman muss eine Überzeugung, dass p, also in angemessener Weise kausal mit der Tatsache, dass p, verbunden sein, um Wissen darzustellen. Dabei soll die Philosophie herausfinden, welche Art von kausaler Verbundenheit die angemessene ist (normativ). Und die Kognitionswissenschaften und die Psychologie sollen erforschen, welche kognitiven Prozesse, Methoden oder Fähigkeiten uns diese Art von kausaler Verbundenheit geben (deskriptiv). Philosophie und Erfahrungswissenschaften arbeiten also Hand in Hand und exem-plifizieren Goldmans psychologistische, naturalistische Erkenntnistheorie.

Die Pointe von Alvin Goldmans naturalistischer Erkenntnistheorie besteht darin, dass die Erkenntnistheorie Erfahrungswissenschaften miteinbeziehen bzw. ihren Gegenstandsbereich vergrößern muss. Insofern ist Goldman ein Verfechter der Integrationsthese und der Expansionsthese.

2.4. Fazit

Quine und Goldman vertreten zwei völlig verschiedene Konzeptionen einer naturalisierten Erkenntnistheorie. Quine möchte die Erkenntnistheorie auf die Erfahrungswissenschaften reduzieren. Sie soll erklären, wie wir von dem dürftigen Input unserer Sinne zu dem überwältigenden Output unserer wissenschaftlichen Theorien über die Welt gelangen. Daher vertritt Quine die starke Reduktionsthese (und nicht etwa, wie Kim meint, die noch stärkere Eliminationsthese). Goldman dahingegen möchte die Erkenntnistheorie durch die Erfahrungswissenschaften ergänzen. Sie sollen erklären, wie unsere Überzeugungen auf eine zuvor festgelegte, angemessene Art kausal mit den Tatsachen verbunden sein können.

Einzelnachweise

[1] Willard Van Orman Quine: Epistemology Naturalized (1968)

[2] Dirk Koppelberg: Naturalistische Erkenntnistheorie. In: Handbuch Metaphysik (2019), S. 391 - 397

[3] Dirk Koppelberg: Wozu experimentelle Erkenntnistheorie?. In: Erkenntnistheorie - Wie und Wozu? (2015), S. 275–300.

[4] Jaegwon Kim: What Is ›Naturalized Epistemology‹? In: Philosophical Perspectives 2 (1988), 381–405.

[5] Dirk Koppelberg: Why and How to Naturalize Epistemology. In: Perspectives on Quine (1990), S. 200–211.

[6] Dirk Koppelberg: Normative versus naturalistische Erkenntnistheorie – ein unüberbrückbarer Gegensatz? In: Naturalismus: Positionen, Perspektiven, Probleme (2007), S. 49–64.

[7] Ram Neta: Quine, Goldman and Two Ways of Naturalizing Epistemology. In: Epistemology: The Key Thinkers (2012), S. 193–213.

[8] siehe u.a. Willard Van Orman Quine: "The Web of Belief" (1970)

[9] Dirk Koppelberg: Foundationalism and Coherentism Reconsidered. In: Erkenntnis 50 (1998), S. 255–283.

[10] Alvin Ira Goldman: A Causal Theory of Knowing. In: The Journal of Philosophy 68 (1967), S. 357–372.

Siehe auch

Stand: 2019

Kommentare: 2
  • #2

    Luis (Mittwoch, 06 September 2023 18:24)

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  • #1

    Philoclopedia (Samstag, 07 September 2019 22:40)

    https://www.youtube.com/watch?v=0HBqU8U1UII


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